Die Zeit verging und es wurde Spätsommer. Die Temperaturen stiegen ins Unerträgliche und die Arbeit auf dem Hof wurde beschwerlicher.
Aveline half ihrer Herrin beim Weben, Waschen und Kochen. Obwohl die Arbeit in der Hitze so anstrengend war, wurde sie von Tag zu Tag kräftiger. Ihr geschundener Rücken nahm seine natürliche Farbe wieder an und ihre Rippen heilten gut. Mit jedem Tag, den Aveline bei den Jarsons verbrachte, wurde sie der nordischen Sprache mächtiger und konnte sich besser verständigen.
Dies verdankte sie insbesondere ihrem Kameraden Richard, der ihr spätabends die wichtigsten Worte beibrachte, wenn beide nach der anstrengenden Arbeit schweissgebadet in ihren Betten im Arbeiterhaus lagen und sich nach Abkühlung sehnten.
„Woran glauben die Wikinger eigentlich?", fragte Aveline ihren Zimmerkameraden eines Abends, nachdem sie den ganzen Tag am See verbracht hatte und Kleidung mit Salka und den Waschweibern aus dem Dorf geschrubbt hatte.
Ihre Hände waren wund und aufgeweicht vom vielen Scheuern. Sie rieb sich eine Paste in ihre Handrücken ein.
„Die Normannen glauben nicht an einen Gott, sie haben viele Götter", antwortete Richard, der sich die Füsse mit einer Salbe aus Pfefferminze massierte. Er stöhnte vor Wohlbehagen auf.
Da ihr Salka so viel Bewegungsfreiheit gewährte, hatte sich Aveline dies zunutze gemacht, um Salben herzustellen, von deren heilenden und balsamischen Wirkung mittlerweile die ganze Familie auf dem Hof profitierte. Ihre Herrin war davon äusserst begeistert gewesen. Das war gut, denn Aveline wollte ihr Vertrauen gewinnen. Nur so konnte sie ihren Freilauf sicherstellen.
Dieses Vertrauen ihr gegenüber ging sogar schon so weit, als dass Salka sie manchmal an den Kochkessel liess. Aveline schmunzelte bei dem Gedanken, wie leicht es für sie gewesen war, die gutmütige Normannin von ihr zu überzeugen.
„Wer sind diese Götter?", hakte sie nach.
An diesem Abend wollte sie mehr über den Glauben der Wikinger in Erfahrung bringen — nun, da sie deren Sprache schon besser beherrschte. Sie hatte schon einige merkwürdige Rituale beobachtet und Salka Namen sagen hören, die ihr fremd waren. Es war an der Zeit, zu verstehen, woran diese Heiden glaubten.
Richard überlegte einen Moment. „Es gibt da eine Menge", antwortete er dann. „Am besten beginnen wir mit dem Göttervater: Odin. Er ist der Hauptgott der Wikinger. Der wichtigste von allen. Seine Eltern waren Riesen und Odin hat gemeinsam mit seinen Geschwistern die Welt erschaffen, indem sie den Riesen Ymir zerhackt haben. Aus den Körperteilen und dem Blut wurde die Welt in neun Teile geteilt. Yggdrasil ist der erste Baum, der daraus erwuchs und welcher sich von Wurzel bis Baumkrone über alle neun Teile erstreckt. Odin ist aber nicht nur Erschaffer der Welt, sondern auch der Gott des Krieges. Die Wikinger glauben, dass sie sich nach ihrem Tod in Walhalla mit Odin vereinen werden, um sich für den Endkampf Ragnarök vorzubereiten."
Aveline kniff die Augen zusammen. Das war viel Information auf einmal, aber den Namen hatte sie schon mehrmals gehört. Odin. Jedes Mal, wenn Hjalmar fluchte, dann nahm er diesen Namen in den Mund.
„Was ist Walhalla?", wollte sie weiter wissen.
„Das ist der Saal, in welchem sich die gefallenen Krieger wiederfinden, die von Odin ausgesucht wurden. Diese Halle befindet sich in Odins Palast in der Götterwelt Asgard."
„Und wie kommen die Krieger in diesen Saal? Indem sie einfach sterben?", forschte Aveline nach. Dieses Walhalla schien wichtig zu sein.
„Nein. Ein Krieger muss in der Schlacht mit seiner Waffe in der Hand sterben, um von den Walküren — das sind Todesengel — nach Walhalla geführt zu werden."
DU LIEST GERADE
Plünderung
Tarihi KurguBand I Die junge Fränkin Aveline verliert an einem Tag alles: Ihr Zuhause und ihre Familie. Wikinger fallen über ihre Stadt her. Sie wird vom flinken Krieger Rurik entführt und ihrer Heimat entrissen. In einer fremden Welt kämpft sie um ihr Überlebe...