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Ich war noch nie aus der Schule weggerannt - allgemein war ich noch nie von irgendwo weggerannt. Ich wusste nicht mal warum ich überhaupt geflüchtete war, geschweige denn wo ich überhaupt hinrannte. Ich bahnte mir meinen Weg einfach immer weiter, ohne Ziel, durch die Straßen, an zig Häusern und Vorgärten vorbei und dachte gar nicht erst daran, stehen zu bleiben. Immer weiter trugen mich meine Beine, während meine Lungen schwer in meinem Brustkorb rasselten.

Warum rannte ich? Warum floh ich? Oder sollte ich mich besser fragen vor wem?

Plötzlich kam ich abrupt zum Stehen. Meine Beine erzitterten unter der schnellen Bremsung und ich musste mich keuchend auf meinen wackligen Knien aufstützen. Einige Schweißperlen tropften mir von der Stirn und in meinem Brustkorb wurde es gefährlich eng. Jedoch nicht, weil ich aus der Puste war - natürlich war ich das auch, aber meine Kondition war nicht die allerschlechteste - sondern viel mehr, weil mir als Antwort auf die Fragen in meinem Kopf nur ein Grund einffiel.

Oder viel mehr eine Person.

Und diese Person war nicht Hobi, Yoongi oder Namjoon, nein, nicht einmal dieser ulkige Taehyung, sondern ich ganz allein. Ich rannte vor mir selbst weg; und je mehr mir das bewusst wurde, desto mehr konnte ich nur über mich selbst lachen. Wie wollte ich denn vor mir selbst weglaufen? Und warum überhaupt?

Fahrig fuhr ich mir mit der Hand durch die Haare, nahm einen tiefen Atemzug und richtete mich wieder auf. Mein Herz hämmerte immer noch in meiner Brust und bei dem Gedanken an meine schlagartige Flucht aus der Klasse, hätte ich mir gerne selbst in den Allerwertesten getreten. Nur, weil es einmal etwas brenzlig wurde, musste ich gleich den Abgang meines Lebens hinlegen?

Schockiert riss ich meine Augen auf. Warte, was war dort soeben passiert? Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass mich die Fragen meines besten Freundes nicht nur aus dem Konzept gebracht hatten, sondern mir auch überhaupt nicht egal waren. Viel mehr ließen sie mich gar nicht mehr los und brachten mich in so eine verzwickte Situation, aus der ich keinen anderen Ausweg als eine bescheuerte Flucht aus der Klasse wusste.

Ja, ich rannte definitiv vor mir selbst weg. Vor dem, was sich da tief in mir drin angestaut hatte und auf eine verrückte Art und Weise meine ganze Existenz in Frage stellte. All die Jahre war mir alles egal gewesen - mein Leben, meine Hobbys, meine Freunde, die Schule. Mir hatte nie etwas viel bedeutet oder am Herzen gelegen, denn so etwas konnte ich überhaupt gar nicht empfinden. Nicht ein Funken Leidenschaft wohnte tief in mir drinnen, nicht ein Funken Freude an etwas. Ich lebte, weil sterben zu anstrengend gewesen wäre und ich meine Prinzipien hatte. Prinzipien von einem guten Leben, so wie ich es von meinen Eltern vermittelt bekommen hatte.

Und aufeinmal tauchte eine Person in meinem Leben auf, die ich nicht einmal wirklich leiden konnte und brachte das alles durcheinander? Wie hatte dieser Penner es bitte geschafft, dass sich die ganze Galaxie um mich herum gedreht hatte und ich mich selbst in Frage stellte?

Als ich weggerannt war, hatte ich noch gedacht, es läge an Taehyung, da all die Fragen von Hobi in genau diese Richtung gingen. Und ich konnte nicht leugnen, dass ich immer wieder an ihn denken musste - an seine dunklen Augen, die funkelnden Sterne und seine sanfte Stimme. Doch es lag nicht generell an ihm oder meinen Empfindungen in Bezug auf seine Person. Es lag einfach daran, dass er mir nicht egal war. Er beschäftigte mich und er rief Gefühle in mir hervor, von denen ich niemals geglaubt hätte, sie zu empfinden.

Und die einzige Frage, die sich mir jetzt stellte, war ob ich das gut oder schlecht finden sollte? Wollte ich das alles überhaupt? Ich bin doch immer gut klar gekommen, hatte nie Probleme oder war irgendwo angeeckt. Mein Leben lief gut. Schlicht und langweilig, aber gut. Drama hatte dort keinen Platz und eigentlich hatte es das auch jetzt noch nicht.

Ein frustriertes Seufzen verließ meine Kehle, während ich meinen Rucksack erneut schulterte und den Bürgersteig herablief. In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken und in meiner Brust galoppierte meine Herz wie ein aufgeregtes Fohlen. Kein Wunder, dass mir das alles zu viel wurde, dieses Chaos ist ja schließlich nicht zum Aushalten.

Und genau aus diesem Grund fällte ich auch die Entscheidung, die schon längst von Nöten gewesen wäre; das alles musste ein Ende finden. Ich hatte es mir jetzt schon mehrmals vorgenommen, aber der heutige Vorfall hatte es mir erst so richtig klar gemacht. Ich wollte mein langweiliges Leben endlich zurück und da passte dieser bunte Freak auf keinen Fall rein. Ich sollte zu ihm laufen und ihm sagen, dass ich keinen Kontakt mehr zu ihm haben wollte. Genau, ich würde auf der Stelle zu ihm lau-

Mit weit aufgerissenen Augen blieb ich vor einem Reihenhaus stehen, das mir mehr als bekannt vorkam. Langsam wanderte mein Blick den kleinen Weg herauf zu der dunkelgrünen Tür in der roten Backsteinwand, wobei das Klopfen in meiner Brust mit jeder Sekunde stärker wurde. Das war doch jetzt ein schlechter Scherz?!

Ich war doch nicht die ganze Zeit ohne Verstand und Ziel durch die Stadt gerannt, um dann ausgerechnet hier zu landen? Als ob mein Unterbewusstsein schon vorher gewusst hatte, dass ich früher oder später hierhin wollte, um endlich einen Schlussstrich zu ziehen. Und dennoch beunruhigte mich die Erkenntnis, dass ich ganz von selbst hier gelandet war.

Wie erstarrt lag mein Blick weiterhin auf der Haustür zu Taehyungs Wohnung, wobei es Urwald wohl besser treffen würde. Fieberhaft überlegte ich, ob ich jetzt tatsächlich dort heraufgehen und bei ihm klingeln sollte, nur um ihm verständlich zu machen, dass es so nicht weitergehen konnte oder ich mich viel mehr nie wieder mit ihm treffen und ihn nicht mehr in meinem Leben haben wollte. Bei dem Gedanken daran zog es sich in meiner Brust schmerzhaft zusammen und ich biss mir hart auf die Unterlippe. Irgendwie bereitete mir allein der Gedanke an einen Abschied Sorgen. Ich wusste es würde besser sein, aber ganz tief in mir drinnen mochte ich diesen Jungen doch irgendwie... was heißt hier mögen? Er war mir sympathisch ja, aber ich wollte ja nicht gleich übertreiben.

Aufeinmal flammten die Erinnerung an den Abend mit Taehyung wieder vor meinem Inneren Auge auf und bei dem Echo seines warmen, herzlichen Lachens jagte mir ein kribbelnder Schauer den Nacken herab. Hastig schüttelte ich den Kopf, um die Gedanken loszuwerden und räusperte mich kurz. All meinen Mut zusammennehmend schloss ich meine Hände zu Fäusten und stapfte tapfer den schmalen Weg zu der Tür herauf.

Dort angekommen, stoppte ich auf der obersten Stufe und starrte etwas verloren auf das Klingelschild zu meiner Rechten. Ich wollte es ignorieren, aber mein Herz pochte unaufhörlich in meiner Brust und auch in meinem Bauch machte sich ein komisches Kribbeln breit, als ich den schnörkeligen Namen auf dem weißen Papierchen lesen konnte. Das ist doch nicht mehr normal, also wirklich... das musste dringend aufhören!

Erneut schüttelte ich meinen Kopf, bevor ich entschlossen meine Hand anhob und meinen Zeigefinger auf die Klingel drückte. Sofort konnte ich im Inneren ein Schellen hören und wie sich daraufhin Schritte der Tür näherten. Unwohl verschränkte ich meine Arme vor der Brust und versuchte die verwirrenden Reaktionen meines Körpers zu ignorieren. Vollkommen angespannt konzentrierte ich mich auf meine Atmung und mein Herz und versuchte beides irgendwie unter Kontrolle zu bekommen.

Doch als die Tür plötzlich schwungvoll aufgezogen wurde und mir ein verwundert dreinblickender Taehyung gegenüberstand, hatte sich die ganze vorherige Konzentration als völlig unnütz erwiesen. Als der überraschte Ausdruck auf dem Gesicht des Jungen dann auch noch verschwand und einem breiten Grinsen Platz machte, dachte sich mein Herzchen wohl, es könnte eine Party feiern.

"Jungkook?", kam es ihm fragend, mit seiner unglaublich tiefen Stimme über die Lippen und jagte mir sofort einen Schauer über den Rücken. "Was machst du denn hier? Hast du keine Schule?" Trotz dass er mir zulächelte, konnte ich die Sorgenfalte auf seiner Stirn sehen, weshalb ich augenblicklich den Kopf schüttelte. "Nein, ich wollte eigentlich nur sagen, dass i-", doch da wurde ich schon an meinem Handgelenk hinter ihn in die Wohnung gezogen, sodass ich nicht viel mehr tun konnte, als ihm völlig überfordert hinterherzustolpern.

"Komm erstmal rein", lachte er heiter auf, "alles andere, kannst du mir auch hier drinnen erzählen."

Forever blessed {VKOOK}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt