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Ich fühlte mich ausgetrocknet; als hätte ich zu viele Tränen vergossen. Trocken. Leer. Und doch so voll. Voller neuer Gefühle und Emotionen, die mich in den letzten Stunden übermannt hatten. Wie konnte es nur so weit kommen? Womit hatte ich es verdient diesen Schmerz und diese Trauer zu empfinden? Und wieso war sie so unglaublich stark? Fühlte sich so normale Trauer an? War das Enttäuschung?

Die ganze Nacht hatte ich mich durch die Kissen gewälzt, geschluchzt und erstickt in die Federn geschrien. Und auch, wenn mein Bruder mich durchgehend in seinen Armen gehalten, mir die Haare aus der Stirn gestrichen und die Tränen getrocknet hatte, tat es trotzdem so weh. Irgendwann war Jimin neben mir völlig erschöpft eingeschlafen und auch mein Körper lag vollkommen schlapp auf der sich kalt anfühlenden Matratze. Dennoch wollte mir kein Auge zufallen.

"Hey, Kooks", konnte ich plötzlich die Stimme meines jüngeren Bruders an meiner Tür vernehmen. Er war nun schon seit einigen Stunden wieder auf den Beinen und hatte sich extra wegen mir in der Schule krank gemeldet und mich gleich mitentschuldigt. Seitdem kümmerte er sich um mich. Kam zwischendurch immer wieder in mein Zimmer, versuchte mich zum Essen oder Trinken zu überreden. Aber ich wollte nichts essen oder trinken. Ich wollte gar nichts mehr - ich wollte alles vergessen. Ich wollte meine gefühlskalte Vergangenheit zurück.

"Geht es dir etwas besser?", erklang die Stimme des Blondschopfs erneut, wobei mir der besorgte Unterton nicht verborgen blieb. Mit leisen Schritten näherte Jimin sich meinem Bett und ließ sich schließlich behutsam auf die Kante sinken. Zögerlich öffnete ich meine zugequollenen Seelenspiegel und linste müde zu ihm herauf. Sofort fielen mir die dunklen Schatten unter seinen Augen auf, sodass ich kurz schuldig aufwimmerte und mich mehr unter der Decke zusammenkugelte. "Heeey shsh... alles wird gut", flüsterte der Kleine und ließ seine Hand in meine Haare wandern, "magst du etwas essen?"

Für einen winzigen Moment wurde mein Körper von einem warmen Gefühl geflutet, doch dieses verschwand bereits in der nächsten Sekunde wieder. Verzweifelt presste ich meine Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und schüttelte zaghaft den Kopf. Sofort verließ ein enttäuschtes Seufzen die Kehle meines Bruders, sodass ich ein weiteres Mal zu ihm heraufsah. Zunächst dachte ich, er würde so eine Sorgenmiene ziehen, weil es mir so schlecht ging und er es sich nicht so recht erklären konnte. Oder vielleicht auch, weil ich freiwillig hungerte und sonst immer derjenige war, der ihm das Essen vom Teller geklaut hatte.

Doch je länger ich den Blondschopf betrachtete und jeden Winkel seines Gesichts unter die Lupe nahm, desto mehr wurde mir bewusst, dass er so eine Miene nur ziehen würde, wenn ihn tatsächlich etwas beschäftigte oder es hinter seiner Stirn gewaltig ratterte. Er musste sich gerade extrem über etwas den Kopf zerbrechen und selbst wenn ich ihn jahrelang gemieden oder schlecht behandelt hatte, ich kannte meinen Bruder; ich wusste, wenn etwas mit ihm nicht stimmte oder er versuchte etwas zu verheimlichen und dabei eine gespielt neutrale Miene aufzusetzen.

Mühsam wälzte ich mich etwas in der Matratze, um den Jungen besser betrachten zu können. "Was ist denn los Jimin?", fragte ich schließlich, wobei meine Stimme vom ganzen Schreien und Weinen nicht viel mehr als ein krächzendes Flüstern war. Doch der Kopf meines Bruder schoss augenblicklich zu mir herum, wobei seine Augen sich kugelrund formten. Überrascht sah er mich an, seine Kiefer malten stark aufeinander und er begann seine Hände unruhig in seinem Schoß zu kneten. "N-nichts!", stolperte es ihm dann über die Lippen, während er seinen ertappten Blick hastig von mir abwandte. "E-es ist nichts!"

Für einen kurzen Moment ignorierte ich den beständigen Schmerz in meiner Brust, richtete mich mit meinen schwachen Armen etwas auf und wischte mir die Tränen aus den Augen. "Jimin... ich sehe doch, dass etwas nicht stimmt", murmelte ich dann, ohne meinen Blick von dem Blonden abzuwenden. Wie auf Knopfdruck sackte er noch etwas mehr in sich zusammen und ich konnte seinen Kopf rauchen sehen. Ich war mir nicht sicher, ob es etwas bringen würde... aber ich hatte plötzlich das Bedürfnis Jimin meine Hand sachte auf die Schulter zu legen; ihm irgendwie zu zeigen, dass er es mir erzählen konnte. Direkt verspannte er sich unter meinen Fingerspitzen. Allerdings atmete er keine Sekunde später erleichtert aus und drehte seinen Kopf schüchtern zu mir herum.

Eine Zeit lang sahen wir beide uns einfach nur stumm in die Augen. Noch nie hatte ich Jimin so betrachtet wie in diesem Augenblick. In genau diesem Moment fühlte es sich so an, als wenn nichts und niemand mehr zwischen uns stände; als ob wir endlich Frieden geschlossen hatten. Doch der Kleine wusste genau, dass ich noch längst nicht mit mir selbst Frieden geschlossen hatte. In mir drin tobte dieser Orkan an Gefühlen und Schmerzen und Jimin wollte antworten. Das hätte mir klar sein müssen.

"W-warum weinst du, Jungkook?", sprach er nach einiger Zeit genau die Frage aus, die ich schon erwartet hatte. Und trotz, dass ich sie mir schon denken konnte, zuckte ich zusammen, als hätte ich mich vor einem Geist erschrocken. Und auf eine verdrehte Art und Weise war vor allem die Antwort auf diese Frage ein Geist. Ich konnte sie nicht so recht finden oder sehen, sie wirkte quasi unsichtbar und nur einige Hinweise deuteten auf sie hin. Hinweise, wie der Schmerz in meinem Herzen, dieses unerträgliche Gefühl der plötzlichen Leere oder die dunkelbraunen Sternenaugen, die immerzu vor meinem Inneren Auge auftauchten. Als würde die Antwort in meinem Kopf ihr Unwesen treiben und umherspuken, doch sich nicht so richtig offenbaren wollen.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich meinen Blick kurz von dem Jungen neben mir nahm und anstatt dessen irgendeinen wahllosen Punkt fixierte. "I-ich... ich weiß es n-nicht so ge-genau", stammelte ich völlig überfordert. Mein Mund fühlte sich auf einmal staubtrocken an und mein Kehlkopf schnürte sich immer weiter zu, sodass ich mehrmals hintereinander die Luft scharf einziehen musste. Ich hatte schon einmal von diesem Gefühl, diesem Kummer gehört, den ich gerade wohlmöglich empfand, aber ich wollte das alles nicht wahrhaben. Ich wollte nicht, dass ich so etwas fühlte. Es sollte einfach aufhören!

Erneut stiegen mir die Tränen in die Augen und ich konnte nicht mal etwas dagegen tun. Als mein Bruder sich jedoch merklich räusperte, hob ich meinen Blick gleich wieder an und landete mit meinen Iriden auf seinem Gesicht, aus welchem jegliche Farbe gewichen war. Ich konnte genau erkennen, dass er mit sich rang; dass er verzweifelt versuchte, die richtigen Worte zu finden. Aber was beschäftigte ihn denn überhaupt so? Was ging in ihm vor?

Gespannt beobachtete ich den Blondschopf, bis er seinen Kopf schließlich zu mir herumriss und mir deutlich das 'Jetzt-oder-Nie' in seinen blauen Augen entgegenfunkelte.

"Ist es wegen dem Mann, der unten vor unserer Haustür steht?", stolperten ihm die Worte wie ein Purzelbaum über die Lippen, sodass mir der Sinn dahinter im ersten Moment gar nicht so wirklich klar wurde. Als sie jedoch auch nach einigen Sekunden der bedrückenden Stille immer noch in meinen Ohren echoten, erstarrte ich abrupt zu Eis. Plötzlich wurde mir warm und kalt zugleich. Eine Gänsehaut legte sich über meinen Körper. Mein Brustkorb zog sich schmerzhaft zusammen und mein Lebensmuskel hörte kurzzeitig auf zu schlagen.

"W-was?", gab ich überfordert von mir, wobei mir die Bedeutung von Jimins Worten doch mehr als klar war. Ich brauchte keine extra Bestätigung.

Und dennoch gab mein Bruder sie mir schon im nächsten Moment auf die Hand. "Unten möchte jemand mit dir reden. Ein Taehyung... oder so", nuschelte er und biss sich unsicher auf die Unterlippe, als er mein kreidebleiches Gesicht betrachtete und meine Hände, die sich wie von selbst zu Fäusten ballten.

———

Not that happy about this one.

Anygays~

Verzeiht mir die Verspätung :(

Borahae 💜

Forever blessed {VKOOK}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt