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Jungkook

Warum war es bitte so unsagbar kalt geworden? Fröstelnd legte ich meine Arme etwas mehr um meinen Körper und lief zwischen den Häuserreihen her. Frühling war schon irgendwie eine sonderbare Jahreszeit. Ich meine, ist es nicht seltsam, dass alles gleichzeitig aus dem Winterschlaf erwacht, so als ob es das Selbstverständlichste wäre. An den Ästen der kleinen Bäumchen, in den Beeten auf dem Bürgersteig, sprossten die ersten grünen Blätter und von irgendwoher konnte ich eine Nachtigall hören. Zumindest glaubte ich, dass es eine war.

Ich fragte mich wirklich, was den Pflanzen und Tieren wohl im Kopf vorgehen musste? Konnten sie etwas fühlen? Oder folgten sie einfach nur ihren Trieben? Wenn ich es mir so weiter durch den Kopf gehen ließ, dann stellte ich fest, dass sich deren triebgesteuertes Leben gar nicht so sehr von meinem unterschied. Ich lebte auch einfach nur, weil ich musste und mein inneres Ich irgendwelchen Idealen und Trieben folgte. Hieß das, ich war jetzt ein Tier?

Oh man, Jungkook. Menschen sind Tiere, du Depp. Nur eben evolutionäre Tiere. Wow. Meine Erkenntnis des Tages. Ich schloss also darauf, dass ich ein treibgesteuertes Wesen war. Wenn man es ganz nüchtern betrachtete, dann lebte ich weil mein inneres Ich mir auftrug meine Bedürfnisse zu befriedigen. Hunger. Durst. Fortpflanzung.

Okay, das mit der Fortpflanzung musste ich nochmal überdenken. Teenie-Papa werden, lag da eigentlich nicht so ganz in meinem Interesse. Aber ansonsten passte es doch ganz gut. Doch ich fragte mich wirklich, ob Tiere nur ihren Trieben folgten. Denn je länger ich nachdachte, desto mehr wurde mir bewusst, dass es auch durchaus Tierarten gab, die sich...naja sagen wir mal...verliebten. Pinguine zum Beispiel. Wenn sie ihren Partner gefunden haben, dann bleiben sie ein ganzes Leben lang zusammen. Da geht es nicht wirklich um Fortpflanzung, sondern eher um Zuneigung und Unterstützung im kalten antarktischen Winter.

Ein kalter Luftzug jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Wieso war ich überhaupt auf die bescheuerte Idee gekommen zu Hoseok zu laufen? War ja nicht so, dass er am anderen Ende der Stadt wohnte und ich sonst mit dem Bus schon immer eine Viertelstunde brauchte.

Aber nun zurück zum Thema. Ich war also minderbemittelter als ein Pinguin? Ich meine, mir war ja nicht mit Absicht alles egal. Als Kleinkind fand ich mein Leben nicht so langweilig. Damals konnte ich herzhaft Lachen und bitterlich Weinen. Ich konnte mich für etwas begeistern und es mit Freude angehen. Ich war glücklich, als mein kleiner Bruder auf die Welt kam. Mittlerweile ging er mir einfach nur noch auf die Nerven. Ich schloss ehrliche Freundschaften im Kindergarten und hatte wirklich Lust zu leben.

Doch jetzt... jetzt fühlte ich gar nichts mehr. In mir drinnen schwebte eine gähnende, schwarze Leere und ich wusste nicht, woher diese kam. Sie war auf einmal da. Irgendwann, als ich älter wurde, vielleicht neun oder so. Niemand konnte sich erklären, warum es plötzlich da war. Aber ab dem Zeitpunkt wurde mein Leben langweilig. Bei dem Gedanken daran könnte ich schon wieder gähnen. Als hätte sich ein grauer Nebel über meine Seele gelegt und alles, was ich fühlte, abgedämpft.

Zuerst dachten meine Eltern ich sei psychisch gestört oder hätte irgendeine Krankheit, aber jeder Arzt und Psychologe konnte keinen Grund für meine betrübte Stimmung finden. Es war keine Depression, schließlich lebte ich weiter und wollte das ja auch. Bitte verschone mich mit dem Tod. Sterben muss doch noch beschissener sein. Dann gab es da noch so etwas wie Alexithymie - oder so?- doch auch das kam nicht in Frage. Schließlich war ich nicht generell gefühlskalt. Ich verspürte Gefühle. Ich sorgte mich um meine Mitmenschen, zumindest um ein paar von ihnen. Aber es war eben alles so langweilig und unspannend. Für diesen Gemütszustand gab es kein beschriebenes Syndrom. Also war ich wohl einfach ein Freak. Jap. Ich war ein Freak.

"Hey du", riss es mich plötzlich aus meinen Gedanken und ich dachte schon ich würde allmählich wirklich durchdrehen und Stimmen in meinem Kopf hören (wenigstens wäre das endlich mal etwas, was man sich wissenschaftlich erklären konnte). Doch als ich meinen Kopf vom kalten Pflaster des Bürgersteigs anhob und ihn herumschwenken ließ, um eine zu der Stimme gehörende Person auszumachen, musste ich nicht lange suchen.

Vor dem Haus rechts neben mir hockte ein Junge. Zumindest glaubte ich das, denn in dem dämmrigen Licht der Straßenlaternen konnte man kaum etwas erkennen.

Wahrscheinlich wäre jetzt auch der Zeitpunkt gewesen einfach wegzurennen und schnell den nötigen Abstand zwischen mich und diesen fremden Typen zu bekommen. Schließlich konnte er weiß Gott was für ein Psycho sein. Doch irgendwie hatte mein Körper sich das anders vorgstellt und ohne zu zögern trat ich etwas näher an den Schatten heran.

Je näher ich dem Kerl kam, desto besser erkannte ich, mit wem ich es hier eigentlich zu tun hatte. Vor mir hockte ein Junge, er war vielleicht etwas älter als ich, aber bestimmt nur ein paar Jährchen und wenn er tatsächlich älter war, dann hatte er sich definitiv gut gehalten. Auf seinem Kopf standen Strähnen schwarz glänzender Haare zu allen Seiten ab und er sah wirklich etwas...verwirrt?... aus. Ich wusste nicht genau wie er auf mich wirkte, aber er erinnerte mich an einen verrückten Wissenschaftler, der in eine Steckdose gepackt hatte.

Meine Augen wanderten weiter herab und trafen auf einen schlanken Körper, der unter einer Wolldecke verschwand und auf einem abgewetzten Campingstuhl hockte. Langsam fügten sich die Puzzleteile in meinem Kopf zusammen. Ich verstand zwar wirklich nicht, warum er hier vor einem Haus in einem Wohngebiet und nicht in der Innenstadt hockte, aber okay. Die Wege von Obdachlosen musste man nicht immer verstehen. Wer weiß, was er gerade alles intus hatte. Er wirkte zwar nicht wie ein Drogenabhängiger und er roch auch nicht nach Alkohol und Erbrochenem, aber was wusste ich schon.

"Du siehst leblos aus", drang seine Stimme, welche zugegebenermaßen wirklich tief und durchaus attraktiv war, an mein Ohr. Augenblicklich wanderte meine Augenbraue in die Höhe und ich schenkte ihm einen abschätzigen Blick. Noch immer hatte kein Wort meine Lippen verlassen und irgendwie hatte ich auch nicht vor mit diesem Typen zu reden. Er sah das jedoch ganz anders.

"Ich meine nicht damit, dass du eine wandelnde Leiche bist oder der Tod auf zwei Beinen. Obwohl...vielleicht meine ich das ja doch?", fragend legte er die Stirn in Falten und ließ erneut seine beiden Augenpaare über meinen Körper wandern.

So langsam fühlte ich mich irgendwie unwohl, doch meine Beine versagten ihren Dienst. Deshalb musste letztendlich doch mein Mundwerk herhalten: "Was willst du... du Penner?" Wow Jungkook, da hast du ja mal wieder deine freundlichste Begrüßung ausgepackt.

Eigentlich hätte ich erwartet, dass der Typ in Tränen ausbrechen oder mich verprügeln würde, aber es geschah das komplette Gegenteil. Auf seine Lippen wanderte ein belustigtes Grinsen und keine Sekunde später verfiel er in schallendes Gelächter. Sein warmes und von Herzen kommendes Lachen schallte in meine Ohren und es erfüllte mich komischerweise mit Wärme, obwohl er mich hier doch gerade wahrscheinlich auslachte.

Dies ging ein paar Sekunden so weiter und ich war schon drauf und dran wieder zu verschwinden, als der Typ plötzlich verstummte und sein Blick wieder ernst wurde. Mit einem Mal warf er die wollene Decke zur Seite und erhob sich aus dem Stuhl. Nachdem er sich ganz vor mir aufgebaut hatte, überragte er mich um einige Zentimeter. Ich versuchte wirklich seinem Blick standzuhalten, doch er erfüllte mich nun doch mit etwas Panik, sodass ich ein paar Schritte zurücktrat.

Doch da hatte ich nicht mit dem Kerl gerechnet, denn er schloss mit einem großen Schritt wieder zu mir auf. Als er erneut nur wenige Zentimeter von mir entfernt stand und von oben auf mich herabsah, fühlte ich mich plötzlich so anders. Ich wusste nicht genau wie ich mich fühlte, doch es war nicht unbedingt etwas schlechtes. Dennoch beschloss ich jetzt besser zu verschwinden.

Ruckartig wandte ich mich von ihm ab, machte ein paar schnelle Schritte weg von ihm, drehte mich dann jedoch erneut zu ihm herum. Ich betrachtete den schwarzhaarigen Kerl, wie er da so stand, immer noch den durchdringenden Blick auf mich gerichtet. Plötzlich hob er seine Hand und winkte mir zögerlich zu, ehe sich ein flüchtiges Lächeln auf seine Lippen legte.

Ich hingegen betrachtete ihn weiterhin aus großen Augen und wusste gar nicht mehr, was ich hier eigentlich wollte. Ich musste hier weg. Jetzt aber wirklich. Hastig drehte ich mich um und rannte den Bürgersteig entlang. Ich konnte es jedoch nicht unterdrücken noch einen letzten Blick über meine Schulter zu dem Kerl zu werfen. Doch zu meinem Erstaunen war er weg. Er war einfach veschwunden.

Forever blessed {VKOOK}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt