Kapitel 5 - Elijah

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Kapitel 5:



Elijah



Am nächsten Morgen werde ich von lauten Geräuschen aus dem Flur geweckt. Ich kann mich nur mühsam aus dem Bett erheben, da ich tot müde.

Nachdem ich mir ein paar frische Klamotten angezogen habe, öffne ich das Wohnzimmerfenster zum Lüften und schaue raus auf den Flur. Ich gehe Richtung Büro und als ich dort angekommen bin, sitzt auf dem Drehstuhl ein etwas kräftig gebauter Mann, wahrscheinlich Mitte dreißig. Er hat lockiges dunkelbraunes Haar, einen Vollbart und zwei Lippenpiercings. „Guten Morgen, du musst Elijah sein. Ich bin Herr Reuter, der Teamleiter dieser Gruppe und der, der heute Dienst hat.“, begrüßt er mich freundlich. „Hallo“, kann ich nur sagen und betrete den Raum.

„Hast du einigermaßen gut geschlafen?“, fragt er mich und tippt irgendwas auf seinem Handy. „Fürs erste ging es“, antworte ich. Er ist sympathisch. „Kann ich natürlich verstehen. Komm mit.“ Herr Reuter erhebt sich aus dem Drehstuhl und geht mit mir in den rechten Flur, wo er vor einem Zimmer stehenbleibt. „Schau mal Elijah, das Zimmer wäre für dich frei.“ Es ist groß. Größer als ich gedacht habe. „Das sieht schön aus. Ich würde gerne ein eigenes Zimmer haben, damit ich mich auch zurückziehen kann.“ „Dann ist das ab jetzt dein eigenes Zimmer“, antwortet er und geht wieder zurück in sein Büro. Es war zwar nur eine Nacht, aber das Klappbett war nicht gerade gemütlich.

Ich trage die wenigen Sachen aus dem Wohnzimmer, in mein neues Zimmer und fange direkt an, auszupacken. Als ich allerdings meine bereits erste leere Gummibärentüte weck schmeißen möchte, sehe ich etwas in dem Mülleimer liegen. Aus reiner Neugier schau ich nach, was das ist. Doch bevor ich die Fetzen näher studieren kann, werde ich auch schon unterbrochen.

„Guten Morgen Elijah“, begrüßt mich eine vertraute Stimme. Ich lasse den Inhalt meiner Hand zurück in den Mülleimer fallen und drehe mich um. Es ist Kira. Ich muss vergessen haben, die Tür hinter mir zu schließen. Sie war anscheinend duschen, denn ihr nasses Haar liegt gebürstet auf ihren etwas freien Schultern. Dazu trägt sie ein einfaches, weißes T-Shirt und eine graue Jogginghose. Darin sieht sie verdammt schön aus. „Komm doch rein“, bitte ich sie lächelnd. „Wenn ich darf, gern.“ Ich nicke. „Klar.“ Sie schließt die Tür hinter sich und setzt dann auf meinen eigenen Drehstuhl. „Brauchst du Hilfe beim Auspacken?“, fragt sie mich gleich darauf. „Da auf dem Schreibtisch stehen noch ein paar Sachen.“

Währenddessen putze ich mir die Zähne. „Harry Potter, aha“, reißt mich Kira aus den Gedanken. „Was?“, frag ich verwundert und merke, wie mir die Zahnpasta fast aus dem Mund läuft. „J. K. Rowling. Harry Potter. Du hast es gelesen?“ „Ja, aber pack es bitte wieder zurück.“ Warum muss sie nur so neugierig sein? Die Bücher sind wirklich gut. Ich habe sie bestimmt hundertmal durchgelesen. „T…Tut mir Elijah…“, entschuldigt sie sich sofort und legt das Buch zurück auf den Tisch. Dann dreht sie sich zu mir und verzaubert mich direkt ihren rosa Lippen, von denen ich mein Blick nur schwer abwenden kann. „Kommst du mit frühstücken?“ „Ja.“ Mehr schaffe ich nicht zu sagen.

Beim Essen erzähle ich den dreien von meiner gestrigen Begegnung mit Mika. „Ja, sie kommt gefühlt jeden Abend zu spät“, antwortet mir Jannes auf einer meiner Fragen und nehme mir ein Löffel voll Frosties. Meine Lieblingscornflakes.

„Du bist pünktlich heute“, höre ich es aus dem Büro rufen. „Man!“, gibt sie mit imposanter Stimme wieder. „Sie sollen mich nicht nerven! Mika. Sofort drehen wir uns alle in Richtung Küchentür um. „War sie das?“, fragt mich meine Cousine und isst weiter. „Ja, war es“, antwortet Herr Reuter, bevor ich es tun kann und betritt dabei die Küche.

„Habt ihr heute schon was vor?“, fragt er uns und gießt sich eine Tasse Kaffee ein. „Nein“, kommt es fast gleichzeitig aus uns heraus. Er nippt an seiner Tasse und spricht: „Gut, denn ich habe mir überlegt, ob wir nicht vielleicht ins Freibad fahren.“ „Das hört sich doch gut an“, antworte ich sofort und lasse die anderen erst gar nicht zu Wort kommen. Ich hoffe einfach, dass wir ins Freibad fahren. Einfach irgendwo hin, wo ich schwimmen gehen kann. Denn wenn nicht, werde ich höchstwahrscheinlich wahnsinnig, mit Kira und Mika, welche beide ziemlich heiß aussehen. Das Wasser konnte mich schon immer beruhigen.

„Gut, dann hätten wir das ja geklärt. Nach dem Mittag geht’s los“, unterbricht er mich. Damit holt er mich aus meinen Gedanken und zurück in die Realität. „Ich hoffe, es war nicht schlimm, dass ich zu gesagt habe.“ „Nein, alles gut Elijah. Es ist warm draußen und so ein erfrischendes Freibad tut uns allen gut“, antwortet Claire. „Genau. Ich mach mein Zimmer weiter, falls ihr mich sucht“, verkünde ich. Ich verstaue meine Schüssel in den Geschirrspüler und gehe zurück in mein Zimmer.

„Warte“, ruft mir eine Stimme hinterher, als ich im Zimmer bin. „Du bist es Jannes.“ Ich hoffe er bleibt. Er ist nett und wir verstehen uns. „Du sollst wissen wer vorher in diesem Zimmer gelebt hat.“ „Du hast soeben mein tiefstes Interesse geweckt“, gestehe ich Wir beide müssen schmunzeln. Er setzt sich auf den Drehstuhl gegenüber meinem Bett und beginnt zu erzählen. „Der Junge der hier zuvor in dem Zimmer gewohnt hat, hieß Jake. Jake sah dir sehr ähnlich. Er war ein ruhiger zurückhaltender Typ. Er hatte zwar eine spezielle Vergangenheit, hat sich aber immer an die Regeln gehalten.“

„Warum ist er nicht mehr da?“, unterbreche ich ihn. Ich muss es einfach wissen. „Das wurde uns nie so recht erzählt. Wir wissen bloß, dass er auf einmal die Einrichtung verlassen musste.“ Meine Neugier wird immer größer. „Es wird angenommen, dass Jake und sie zusammen waren.“ „Die beiden haben doch hier mit euch zusammengewohnt, dann müsst ihr doch mitbekommen haben, wenn da was am Laufen war oder nicht?“, frage ich Jannes. „Naja. Wir haben sie halt nicht oft zu Gesicht bekommen, da Mika oft unterwegs war, aber wir alle vermuten es halt.“ „Hört sich jedenfalls sehr interessant“, muss ich zugeben. „Ich wollte dir das bloß einmal erzählen Elijah. Ich gehe zu den anderen ins Wohnzimmer. Wenn ich dir irgendwie helfen kann, dann lass es mich wissen“, verabschiedet er sich und verlässt mein Zimmer. Er wird ein guter Freund sein, dass weiß ich jetzt schon.

Scheiße. Ich habe in der ganzen Zeit ganz vergessen, dass die Fetzen noch im Mülleimer liegen. Ich schließe leise meine Tür und widme mich meinem Fund im Eimer. Nach mehreren betrachten erkenne ich, dass es nicht einfach so sinnlos zerrissenes Papier oder so ist, sondern ein Foto. Ein zerrissenes Foto. Ich fische alle Stücke aus dem Mülleimerbeutel heraus und setze mich wieder aufs Bett. Es ist gar nicht so einfach, die kleinen Teile passend zusammen zu setzen.

Nachdem ich es halbwegs geschafft habe, lässt mich das Foto erstaunen. Es ist ein Bild mit Mika, wie sie einen Jungen küsst, der genauso aussieht, wie ich. Das muss dann Jake sein. Ich weiß nicht warum, aber ich will es gerne wieder zusammenkleben.

So. Naja. Fast wie neu. „Elijah?“, klopft es auf einmal an meiner Tür und ich verstecke das Foto schnell unter meiner Bettdecke. „Komm rein“, bitte ich ohne zu fragen wer überhaupt geklopft hat. Die Tür öffnet sich leise und es tritt ein Mädchen hinein. Es ist Kira. Wie schön sie aussieht. Die braunen Haare liegen auf ihrer Schulter. Ein Oversize T-Shirt in weiß verhüllt ihren Körper, sieht aber dennoch verdammt hübsch aus.

„Kommst du mit zu uns ins Wohnzimmer? Das Mittagessen ist auch gleich soweit“, fragt sie mich und tritt näher in den Raum. Allein durch ihre Anwesenheit löst sie etwas in mir aus, was auf der einen Seite beängstigend ist, aber auf der anderen auch forschend ist, sodass mein Inneres verlangt, mehr davon zu bekommen. „Gerne. Ich bin gerade fertig geworden“, antworte ich und versuche wieder einen klaren Kopf zu bekommen. „Gut, dann beweg deine vier Buchstaben und komm mit.“ Ich komme immer noch nicht darauf, woher ich sie kenne. Aber sie hat jetzt schon mein Interesse geweckt. Sie ist auf jeden Fall anders, als die anderen Mädchen. So viel steht fest. Aber ob das so gut ist, weiß ich nicht.

Das Essen war echt gut. Claire hat ihre leckere Lasagne gemacht. Dabei musste ich mich allerdings sehr zusammenreißen, Kira nicht die ganze Zeit anzuschauen. Ihre lilafarbenen Augen funkeln, wie ich es noch nie zuvor bei irgendwem anderen gesehen habe. Dieses Mädchen ist einzigartig, dass weiß ich jetzt schon.

Elijah, Kira und das Geheimnis der MitbewohnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt