Kapitel 30 - Elijah

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Kapitel 30:



Elijah



Unter starken Kopfschmerzen wache ich auf. Doch was ich sehe… ist Dunkelheit. Wo bin ich? Und vor allem, was ist passiert? Wie bin ich hierhergekommen? Ich war gestern Abend in der Bar... Dort saß ein Mädchen... Wir haben uns unterhalten und haben Cola getrunken. Wir sind uns nähergekommen, was schön war. Aber ab da hört es auf. Ab da verschwinden meine Erinnerungen. Ich habe ein Blackout.

Ich versuche auf zu stehen, um einen Lichtschalter oder ähnliches zu finden. Doch dann spüre ich Schmerzen in meiner Brust und am Rücken. Vorsichtig taste ich meinen Oberkörper ab, aber als der Schmerz anfängt zu brennen, befördert dieser mich direkt wieder nach unten. Was ist hier passiert? Ich will es wissen! Warum glüht mein Körper so? Warum schmerzt er, wenn ich ihn berühre?

Irgendwo muss es ja einen Schalter geben. Nur wo? Der Schmerz lässt mich noch ein paar Minuten auf der Couch oder auf was auch immer das ist sitzen, bis ich einen erneuten Versuch starte. Ich kralle mich mit der einen Hand an der Lehne fest, stütze mich mit der anderen an der Wand ab und versuche so mit aller Kraft, aufzustehen. Doch es ist vergebens. Denn der Schmerz, welcher schon fast unerträglich ist, befördert mich wieder zurück. Verdammt!

Ich bleibe diesmal sitzen und versuche nicht noch einmal, aufzustehen. Es macht mir Angst. Angst nicht zu wissen, was passiert ist. Nicht nur die Schmerzen tun mir weh, sondern auch diese Ungewissheit, keinerlei Erinnerung an gestern Abend zu haben.

„Hier ist es“, murmle ich etwas erleichtert, als ich mein Handy in der Couchritze gefunden habe. Ich entsperre es und erschrecke im selben Moment. Es ist bereits um neun. Panisch gehe ich auf WhatsApp und drücke im Chat meiner Cousine den Anrufbutton. Sie war vor sieben Minuten zuletzt online. Ich hoffe, dass sie ran geht.

Erst beim zweiten Mal nimmt sie den Anruf entgegen. Meine Stimme ist jetzt schon zittrig, obwohl ich noch nicht einmal etwas gesagt habe. Ich hatte schon lange nicht mehr so dermaßen Angst, wie jetzt gerade. „Elijah? Warum rufst du an? Ist alles in Ordnung?“, fragt sie gleich. Ich höre im Hintergrund das Rauschen von Wasser. Sie muss sich gerade im Duschraum befinden. Fuck! Ich weiß ja selbst noch nicht mal, wo ich bin. Wie soll ich sie dann erst um Hilfe bitten?

„Claire du musst mir jetzt gut zuhören“, fange ich an und hoffe, nicht so besorgt zu klingen „Elijah was ist los? Du machst mir Angst…“, antwortet sie und stellt das Wasser an. Auch wenn ich sie nicht sehe, weiß ich, dass sie sich schon jetzt um mich sorgt. In ihren eisblauen Augen wird Angst liegen und ihr Gesichtsausdruck. Wenn es um mich geht, würde sie alles stehen und liegen lassen, ganz egal mit was auch immer sie gerade beschäftigt ist. „I...Ich... Ich bin hier irgendwo in der Herberge aufgewacht... In irgendeinem dunklen Raum... I...Ich habe keine Ahnung, wo ich bin... oder was hier passiert ist....“, stottere ich und die Panik nimmt nicht ab. Ganz im Gegenteil... Sie nimmt zu und macht es mir in Verbindung mit den höllischen Schmerzen, nicht gerade einfach. „Kannst du mir irgendein Anhaltspunkt oder sowas in der Art geben?“, fragt sie nach. Sie ist ebenfalls in Panik. Ich schaue mich hastig um und erblicke die Tür. „Es kommt etwas Licht durch den Türspalt. Keine Ahnung, ob das hilft und draußen laufen immer wieder Leute herum“, schildere ich. „O...Okay... D...Das ist nicht viel, aber ich gebe mein bestes“, versichert sie mir. „Nimm Jannes mit oder so. Bitte beeile dich... I…Ich bin vielleicht verletzt.“ Es fällt mir schwer, dass über meine Lippen zu bringen, da ich weiß, wie viele Sorgen sie sich schon macht. Das hier, wird das Fass zum Überlaufen bringen. „Scheiße“, sagt sie nur und legt dann auf.

Im selben Moment löst sich eine Träne und rollt meine Wange hinunter. Ich schließe die Augen, trotz der Dunkelheit, welche mich umgibt und lasse es mir nicht verbieten, stumm zu weinen. Wie konnte das, was auch immer geschah, passieren? Wer hat mich dazu gebracht, so schwach und unvorsichtig zu werden? Ich bin bereits vielen verschiedenen Mädchen in den letzten Jahren begegnet. Jede war anders, niemand glich der anderen. Jede von ihnen besaß ihre ganz persönliche Visitenkarte. Aber nur eine konnte mich bis jetzt so sehr verletzen, so einen Schmerz zufügen, wie gestern Abend. Uns zwar Stella. Aber das kann sie unmöglich gewesen sein. Sie ist immerhin im Urlaub, in Griechenland. Und außerdem haben wir uns gerade wieder vertragen. Das würde sie niemals aufs Spiel setzen. Dafür kenne ich sie zu gut. Zumindest nehme ich das an.

Diese Ruhe, das warten und die Ungewissheit fühlen sich an, wie Stunden. Mittlerweile sind meine Schmerzen noch schlimmer geworden, was ich nicht für möglich hielt. Aber so ist es nun mal. Doch dafür wird mein Körper Stück für Stück abgekühlt, von der morgendlichen Luft, die durch das Fenster gelangt, welches anscheinend an gekippt ist. Obwohl die Schalusien zu sind, gelangen dennoch vereinzelte Sonnenstrahlen hindurch.

Ich habe das Warten satt. Es macht mich verrückt. Meine Fingerspitzen setzen sich vorsichtig, immer noch etwas zitternd auf mein Schlüsselbein. Langsam fahren sie von dort aus hinunter. Sie streifen etwas verkrustetes. Ist das Blut? Habe ich geblutet? Ich brauche unbedingt Blut, weswegen ich einen erneuten Versuch starte, aufzustehen und zum Lichtschalter zu gehen. Vielleicht klappt es ja jetzt diesmal.

Angespannt stemme ich mich hoch und unterdrücke so gut es geht die Schmerzen, die mich umgeben. Ich setze einen Fuß vor den anderen und versuche mich dabei an irgendetwas festzuhalten, was aber schon nach wenigen Schritten nicht mehr möglich ist. Allerdings haben sich meine Augen bereits an die Dunkelheit gewöhnt, weswegen es nicht allzu schwer ist, den Weg zur Tür zu finden. Doch als ich den Schalter endlich erreiche und runter drücken will, öffnet sich die Tür ein Stück. Ich zucke zusammen und mache automatisch einen Schritt nach hinten. „Entschuldigung..., aber wir suchen unseren...“, höre ich die vertraute Stimme meiner Cousine sagen. „Claire“, mache ich leise und voller Freude auf mich aufmerksam, sie zu sehen und ziehe die Tür auf. Die Helligkeit blendet mich, weswegen ich meine Hände vors Gesicht halte. „Endlich“, sagt sie erleichtert und betritt mit einer weiteren Person den Raum, wobei sie im selben Moment den Lichtschalter betätigt und den Raum in einem angenehmen, nicht allzu hellen Licht erhellen lässt.

Aber zu früh gefreut. Der Schmerz, denn ich bin eben ausblendete, durchbricht mein Schutzschild. „Ahhh!“, schreie ich auf und sacke augenblicklich auf den Boden zusammen. Es fühlt sich an, als würde jemand mit einem spitzen Gegenstand immer und immer wieder auf mich einstechen. Nicht überall, sondern nur in auf den Rücken und meiner Brust. Es ist fast derselbe stechende Schmerz, wie damals bei Stella. Nur das dieser hier... unbeschreiblich intensiv ist. Wie wohl der Abend, den ich hinter mir habe. „Elijah...“, höre ich nur leise meine Cousine sagen, die sich mit ihrer Begleitung neben mich hockt. Beim genaueren Hinsehen erkenne ich, dass es Jannes ist. Noch nie in meinem Leben habe ich mich so darüber gefreut, zwei Menschen zu sehen, wie jetzt gerade.

Ich spüre, wie sich Claire meinen Kopf auf ihren Schoß legt und dann ihre Arme unter meine Achseln packt. „Wir tragen ihn zur Couch“, sagt sie zu Jannes, der mich an den Füßen festhält. „In Ordnung“, antwortet er und auf drei heben mich die beiden hoch. „Man bist du schwer“, kommentiert sie und versucht zu lachen. Auch jetzt will sie sich nichts anmerken zu lassen. „Das sind alles Muskeln“, protze ich und spüre etwas Weiches unter mir. Ich bin wieder auf der Couch. „Eingebildet ist er auch noch“, witzelt sie.

Claire kommt um mich herum, stellt sich vor mich hin und sieht mich daraufhin an. Ihre Augen weiten sich. „Oh Gott..“, bringt sie leise über ihre Lippen und hält sich ihre Hände vor dem Mund, als hätte sie etwas schreckliches gesehen. Sie macht einen Schritt nach vorne und hockt sich wieder hin. „Elijah... W...Was... Was ist passiert? Oh Gott wie du aussiehst...“ Ihr laufen Tränen über die Wangen. „Nicht weinen...“, sag ich und versuche sie wegzuwischen, doch Claire zieht ihren Kopf weg. „Nicht“, antwortet sie und legt ihre Fingerspitzen vorsichtig auf meine Brust. Ihre Finger sind kühl und es fühlt sich gut an. Die Kälte auf meiner warmen Haut.

„Wie ist das passiert?“, wiederholt sie ihre Frage und streicht langsam auf und ab. Es beruhigt mich ein wenig. „I...Ich... Ich habe keine Ahnung“, gestehe ich und bleibe so ruhig wie möglich liegen. „Ich kann mich an kaum etwas erinnern.“ Claire setzt sich nun rechts von mir und streicht ein paar Haare aus meiner Stirn. Sie sind verschwitzt, was ich ihnen nicht übelnehmen kann. „Woran kannst du dich denn erinnern?“ Meine Cousine hat aufgehört zu weinen und auch ihre Stimme kommt langsam wieder so zurück, wie sie es soll. „Nur daran, dass ich gestern Abend noch mit einem Mädchen in der Bar war. Wir haben was getrunken und kamen uns näher“, schildere ich ihr. „Hast du Alkohol getrunken? Lag es vielleicht daran?“, zieht sie in Betracht. Doch ich schüttle schnell den Kopf. „Wir haben nur Cola getrunken. Mehr auch nicht.“ Ihr Gesichtsausdruck ist verwirrt.

„Was machst du nur für Sachen Elijah?“, antwortet sie fragend und streicht mir liebevoll über die Wange. Ich bin froh, dass sie mir jedes Mal hilft, wenn es mir nicht gut geht. Wie sie sich jedes Mal für mich opfert und selbst ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellt. Wenn sie später eine Familie gründen sollte, dann werden ihre Kinder die beste Mum haben, die es auf der Welt gibt. Da bin ich mir zu 100 Prozent sicher. „Ich störe euch beide ja nur ungern, aber wir können hier nicht länger bleiben“, meldet sich Jannes zu Wort. Er hat sich an die Tür gelehnt und sieht mich besorgten Blick an. Seine grünen Augen mustern meinen halbnackten Körper. Ich kann nicht beschreiben, was er gerade denkt.

„Wo sind wir hier eigentlich?“, will ich wissen und richte mich langsam auf. Es schmerzt bei jeder Bewegung die ich mache, aber es ist mittlerweile erträglicher geworden. „In einem Tagungsraum“, antwortet er und schaut sich um. Ich wusste nicht, dass es hier in der Herberge sowas gibt. „Und wie habt ihr mich gefunden?“, möchte ich als nächstes wissen. „Wir haben in jedem möglichen Raum nachgefragt, was am Ende immer unangenehmer wurde. Aber letztendlich haben wir dich gefunden Elijah und das ist es, was zählt“, macht mir Claire klar und gibt mir einen sanften Kuss auf die Wange. „Danke“, kann ich nur sagen und versuche selbst ein kleines Lächeln hervorzubringen. Dann steht sie auf und dreht ihren Kopf zu Jannes. „Du hast Recht. Wir bringen ihn in sein Zimmer. Dort kann ich mich in Ruhe um seine Verletzungen kümmern.“ Verletzungen? Ich bin also doch verletzt. „Seid ja vorsichtig“, bitte ich und hoffe, dass ich nicht allzu schlimm aussehe.

Es hat uns niemand auf den Weg bis in mein Zimmer gesehen. Der Tagungsraum hat sich glücklicherweise in der Nähe der Treppen befunden, weswegen es nicht allzu schwer war. Ich öffne mit der Schlüsselkarte die Tür und lasse mich von den beiden vorsichtig auf mein Bett setzen. Von dort aus kann ich direkt in den Spiegel des Kleiderschrankes schauen. „Scheiße...“, bringe ich hervor Meine Augen weiten sich und ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. „W...Was... Was ist mit mir passiert?“, frage ich und stehe ich auf, um mich dabei im Spiegel zu betrachten. Mir kommen die Tränen. Mein ganzer Oberkörper ist von tiefen Kratzern überseht. Selbst auf dem Rücken sind welche. Und auf meinem Hals... Oh Gott... „Sind das?“ Ich halte kurz inne. „Knutschflecke?“ Mir wird übel.

„Es ging ziemlich heiß her“, scherzt Claire und fährt die Konturen der Flecke nach, welche sich nicht nur an meinem Hals befinden, sondern auch auf meiner Brust. „Den Satz hättest du dir auch sparen können“, grummle ich zurück, woraufhin wir beide anfangen zu lachen. „Hach Elijah“, sagt sie und mustert mich. „Du kennt mich doch. Ich versuche immer das Beste aus jeder Situation herauszuholen, egal wie schlimm sie ist.“ Da hat sie recht. Diese Angewohnheit hatte sie schon damals, als mich Stella so zurichtete. „Und das mag ich an dir“, antworte ich. Unser Lachen wird zum Lächeln. „Na komm“, sagt sie daraufhin und hilft mir auf.

Erst beim Hinsetzen auf den Tisch bekomme ich mit, dass mein einiges Kleidungsstück welches ich noch trage, meine Boxershorts ist. „Ihr hättet mir ruhig sagen können, dass ich kaum etwas anhabe“, meine ich und schaue an mir herab. Ich wurde nur oberhalb so zugerichtet. Meine Beine sind unversehrt. „Dachte, dass hättest du selbst mitbekommen“, antwortet Claire und kichert. Ihr stört es kein bisschen, wenn sie mich so sieht. Es ist schließlich nicht das erste Mal und wird auch nicht das letzte Mal sein. Sie nimmt das alles so locker.

Aus dem Augenwinkel her sehe ich, wie sich Jannes an meinem Minikühlschrank zu schaffen macht. Er holt etwas heraus und kommt damit zu mir. Es ist eine der kleinen Wasserflaschen, wovon ungefähr ein Dutzend dort drin lagern. „Und du kannst dich wirklich an gar nichts erinnern?“, hakt Jannes nach und reicht mir die Wasserflasche, welche ich dankend annehme. Ich drehe den Deckel auf und leere die 0,5l in einem Zug. Danach schmeiße ich die leere Flasche aufs Bett, lege mein Kopf in den Nacken und atme durch „Nein, bis jetzt noch nicht... Tut mir leid“, gebe ich zu. Ehrlich gesagt habe ich in den vergangenen Minuten nicht sonderlich drüber nachgedacht. Claire hat mich abgelenkt, was sie echt gut kann.

„Alles gut Elijah. Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Niemand wird dich unter Druck setzen“, beruhigt mich meine Cousine direkt. Meine Augen folgen ihr, wie sie durchs Zimmer geht und mit einem Erste-Hilfe-Set zurückkommt. Auf dem Tisch öffnet sie dieses und holt als erstes das Desinfektionsmittel hervor. „W...Warte Claire... Stopp!“, befehle ich und richte mich auf. „W...Willst du mich umbringen?“ Ich schaue sie mit großen Augen an. „Du weißt hoffentlich, wie sehr das brennen wird?“, sage ich und versuche, ruhig zu bleiben. Sie stellt sich zwischen meine Beine, öffnet das Fläschchen und holt zudem ein paar Wattepads aus dem Set. „Es reinigt deine Wunden Elijah, damit sie sich nicht später entzünden. Beweise mir, wie stark du bist.“ Ich schaue sie wortlos an und schlucke den großen Klos in meinem Hals hinunter, welcher sich dort gebildet hat. „Jannes, halt ihn fest!“ „Warte was?! Leute bitte...“ Sie hält Kiras Bruder mit einer Handgeste zurück. „Ja?“, will sie hören. Ich atme tief durch. „I...Ich... Ich schaff das...“, versichere ich ihr und balle meine Hände zu Fäusten. „Gut“, sagt meine Cousine nur und setzt den ersten Wattepad an. „Mhhhhhh!“, stöhne ich zwischen meinen Lippen und presse die beiden so fest es geht aufeinander.

„Du machst das ganz toll Elijah“, lobt sie mich immer wieder, so, wie sie es damals auch tat. Damals war es ebenfalls Claire, die sich nach dieser Sache um mich kümmerte. Ich danke ihr bis heute dafür. „Das ist der letzte...“, sagt sie und nimmt sich einen neuen Wattepad, den sie in Desinfektionsmitte tränkt und damit vorsichtig über den letzten Kratzer wischt. Einige von ihnen waren nur oberflächlich, andere wiederum etwas tiefer. Dieser hier ist allerdings der schlimmste. „Er verläuft über dein Tattoo“, lässt mich Claire wissen und löst das getrocknete Blut. Ich muss immer wieder die Luft scharf einziehen, da das Desinfektionsmitte so brennt, es aber zum Glück nicht allzu schlimm ist. „Zufall?“, frag ich und beobachte sie. Sie macht das mit so viel Liebe und Feingefühl. Bei ihr kann ich mir vorstellen, dass sie später einmal Ärztin wird. „Ich denke nicht“, lautet ihre Antwort.

„Tat es dolle weh?“, hinterfragt sie leicht sarkastisch. Als nächstes holt Claire die Salbe aus meiner Kulturtasche, welche ich anders wie die anderen, nicht im Bad, sondern im Zimmer aufbewahre. „Es ging“, gebe ich zu, was auch stimmt. Ich habe es mir schlimmer vorgestellt. Sie schmiert von der durchsichtigen Salbe etwas auf die Kratzer und legt dann einen Verband an, der sich um meinen Oberkörper zieht. Die Erinnerungen sind immer noch nicht zurückgekommen. Dafür hat sich das damalige Ereignis mit Stella die ganze Zeit in meinem Kopf wiederholt, in der Hoffnung, dass sich daraus irgendwas erschließt. Aber dem ist nicht so.

„Hier. Die nimmst du jetzt bitte“, holt mich Claire zurück aus den Gedanken. Sie legt mir in meine linke Hand eine meiner Paracetamol Schmerztabletten und mit der anderen Hand halte ich die Flasche fest, die sie mir recht. Wieder Wasser. Aber wahrscheinlich ist das zum hinunterspülen der Tablette, gerade am besten. „Das sollte helfen“, sagt sie in dem Moment, als ich sie hinunterschlucke. „Das hoffe ich doch“, antworte ich darauf und rutsche ganz auf den Tisch, um mich mit dem Rücken an die Wand zu lehnen. „Seid ihr mir böse, wenn ich mit Lilly zu mir gehe? Sie ist gerade wach geworden?“, möchte sich Jannes vergewissern und steckt sein Handy zurück in die Hosentasche. „Wenn ihr leise seid“, witzelt meine Cousine und streckt ihm die Zunge raus, woraufhin seine Wangen sich dezent rot färben. Ich muss mir ein Lachen verkneifen. „Jaja.“ Mehr sagt er nicht. Claire nimmt mein Kopfkissen vom Bett und will es ihm hinterherwerfen, doch er ist schneller und hat meine Zimmertür rechtzeitig hinter sich zugezogen.

Je länger ich hier auf dem Tisch sitze und je mehr Zeit parallel dabei vergeht, desto mehr Kraft erlange ich währenddessen zurück. „Die Tablette wirkt schon.“ Meine Augen öffnen sich. Ich habe sie die ganze Zeit geschlossen gehalten, nachdem Jannes mein Zimmer verließ. Deswegen bemerke ich auch erst jetzt, dass sie in der Zeit aufgeräumt hat und sich dann auf meinem Bett gemütlich mache. „Das freut mich zu hören.“ Ich stoße mich vom Tisch ab und gehe hinüber zum Kleiderschrank. „Hey mach sachte Elijah“, bittet sie mich sofort und folgt mir schnell. „Immer doch.“ Ich mache die Schranktüren auf und überlege, was ich anziehen soll. „Das und das hier“, sagt sie und zieht zwei Kleidungsstücke hervor. „Das schwarze T-Shirt, damit man nicht dein Verband sieht.“ Ich nehme es ihr entgegen und ziehe es an. „Und dann die Jogginghose.“ Ich nicke nur und ziehe sie ebenfalls an. „Steht dir“, und fährt mir durchs Haar. „Steht dir sehr...“ Ihre Stimme ist sanft. Claire hat sich nur wenige Zentimeter vor mir aufgebaut. Meine Augen mustern sie. Sie trägt wieder ein Kleid. Eines, in dem sie verdammt hübsch aussieht. „Kommst du mit runter? Kira hat mir schon geschrieben und gefragt, wo du bist.“ „Gib mir noch ein paar Minuten... Dann komme ich nach, versprochen.“ Sie geht ein paar Schritte zurück. „Kann ich dich allein lassen?“ Ich nicke und gebe ihr einen Kuss auf die Wange. „Kannst du.“

Elijah, Kira und das Geheimnis der MitbewohnerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt