Kapitel 19 - Mama & Papa

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Alycia

Als mit einem Mal meine Eltern vor uns standen, rutschte mir das Herz merklich in die Hose. Geschockt sah ich von meiner Mutter zu meinem Vater und wieder zurück, ehe ich mich wieder sammelte und schließlich zu sprechen begann: "Mom? Dad? Was macht ihr denn hier?" Eigentlich waren meine Eltern nämlich verreist und wollten erst im August wiederkommen und jetzt, hatten wir gerade mal Juni!

"Ehem, wir wohnen hier?", entgegnete meine Mom verdutzt und ich schluckte stark. Wie sollte ich sie denn jetzt wieder los werden?

"Ja, das weiß ich auch", ich verdrehte die Augen "aber wolltet ihr nicht erst im August wiederkomm-"

"Äh, Alycia?", unterbrach mich Abby plötzlich und sah mich irritiert fragend an "Ich dachte das Haus gehört uns?"

"Bitte?" Mein Vater runzelte entgeistert die Stirn und ich sah mich bereits sechs Meter tief unter der Erde liegen.

"Ehem, ja, gehört es auch Schatz." Ich nickte seufzend: "Verschwinde du doch schon mal in die Küche. Ich spreche kurz mit meinen Eltern und bin dann gleich wieder bei dir, okay?"

"Echt jetzt?" Sie musterte mich verwirrt: "Du lässt mich nun ernsthaft in die Küche gehen, ohne einen Anfall zu bekommen? Ich dachte ich darf nicht laufen?"

"Ehem, nein, natürlich nicht." Ich kaute auf der Innenseite meiner Wange herum und verfluchte sie innerlich. Wieso war sie immer so genau und merkte sich alles, was ich mit ihr besprach oder tat?

"Ich bringe dich schnell in die Küche und dann spreche ich mit meinen Eltern, okay?" Ohne Abby die Chance auf eine Antwort zu bieten, setzte ich mich auch schon in Bewegung, ließ sie dort auf einen Stuhl sinken und begab mich dann schnell wieder zurück zu meinen Eltern, welche mich mit völlig schockierten Blicken erwarteten.

"Alycia Mayan-Hayes! Das gibt eine Menge Ärger junge Dame!" Meine Mom zog ihre Augen zu engen Schlitzen zusammen und fuhr fort: "Was hast du diesem armen Mädchen bitte erzählt und warum kann Sie nicht mehr laufen?"

"Naja, also", begann ich seufzend und überlegte hin und her, wie ich mich retten konnte "das Mädchen heißt Abby und sie hat vor kurzem ihre Eltern verloren. Durch einen schrecklichen Sturz hat sie dann zusätzlich ein schweres Hirn-Trauma erlitten und kann sich an nichts mehr erinnern, was vor dem Unfall passiert ist." Ich schluckte stark.

"Ich hatte sie kurz nach eurer Abreise eingestellt und habe ihr angeboten, vorerst bei mir zu leben, da sie sich zurzeit nicht um sich selbst kümmern kann und mir sehr vertraut." Ein absichernder Blick zu meiner Mom verriet mir, dass sie von der Story äußerst angetan war und ein siegreiches Grinsen machte sich in meinem Inneren breit.

"Abby hat das aber scheinbar etwas missverstanden und denkt nun, dass wir zusammen wären und dieses Haus gekauft hätten." Ich leckte mir flüchtig über die Lippen: "Der Arzt hat mir dann bestätigt, dass das manchmal vorkommt und man den Patienten dann nicht die Illusion nehmen darf und einfach mitspielen muss." Ein tiefer Seufzer durchdrang meine Lippen: "Ja ich weiß, tragisch das Ganze und es tut mir leid, dass ich euch davon nicht früher was erzählt habe, aber ich habe die Zeit nicht gefunden."

"Oh Gott." Meine Mom war den Tränen nah und sah mich sanftmütig an: "So kenne ich dich ja gar nicht." Sie nahm mich in den Arm und drückte mich liebevoll an sich: "Sie darf gerne bei uns bleiben und ich finde es wirklich super, dass du dich so um sie bemühst."

"Stimmt." Auch mein Dad nickte beeindruckt, runzelte aber weiterhin die Stirn. Er war schon immer der misstrauischste Part der Familie und schien noch nicht ganz überzeugt zu sein.

"Aber nun zu euch. Wieso seid ihr schon wieder in LA? Wolltet ihr nicht bis August in Oslo bleiben? Und wo ist Coco?"

"Noch bei der Hundesitterin und ja, eigentlich schon", mein Dad seufzte auf "aber es gab Komplikationen mit dem Betriebsrat und deshalb sind deine Mutter und ich früher wieder hier, um diese Differenzen zu klären." Seine Stimme nahm einen verärgerten Tonfall an und meine Mom strich ihm liebevoll über den Arm, um ihn zu beruhigen.

"Möchten du und Abby nachher mit uns Essen?", wechselte sie geschickt das Thema und sah mich fragend an, was ich mit einem Nicken quittierte.

"Gerne."

"Gut, dann bereite ich gleich alles vor." Sie schenkte mir ihr schönstes Lächeln und sah zu meinem Dad, der sich wieder beruhigte.

"Ja, also, ich denke ich muss dann mal wieder zu ihr", meinte ich lächelnd und deutete zur Küchentür, hinter welcher Abby noch immer wartete.

"Tu das mein Schatz." Meine Mom gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange und nickte sanftmütig: "Wir sind stolz auf dich."

"Danke Mom." Ich schluckte geräuschvoll und spürte, wie mein Herz augenblicklich in Trauer verfiel. Es machte mich fertig, nun auch noch meine Mutter anzulügen, die ich über alles liebte, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich war bereits zu weit gegangen und es war unmöglich, wieder umzukehren.

"Hey Babe, ist alles in Ordnung bei dir?", fragte ich Abby, als ich mich wieder zu ihr gesellte und beobachtete sie eine Weile, ehe sie nickte und nachhakend eine Braue hoch:

"Was haben denn deine Eltern gesagt?"

"Nicht viel." Ich seufzte auf, setzte mich dann zu ihr und nahm ihre Hand in meine: "Weißt du. Meine Eltern sind leider schwer krank und geistig ziemlich verwirrt." Das schlechte Gewissen hämmerte nur so gegen mein Herz.

"Sie haben ganz vergessen, dass das nicht ihr Haus ist und ich schon lange nicht mehr bei Ihnen wohne, verstehst du?"

"Oh, also geht es Ihnen ähnlich wie mir?" Abby sah bekümmert auf unsere verflochtenen Hände und als ich nickte, sah sie mich seufzend an: "Das tut mir leid."

"Das muss es nicht." Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange: "Sie sind noch immer ganz normale Eltern, aber vergessen halt hin und wieder was. Manchmal denken sie sich außerdem verrückte Dinge aus, aber ansonsten sind sie wirklich super." Ich seufzte auf: "Sie wohnen nun erst einmal bei uns, aber natürlich nur, wenn das für dich in Ordnung ist, Schatz."

"Natürlich ist es das." Abby nickte lächelnd: "Deine Eltern scheinen nett zu sein und mit deiner Mom kann man sich bestimmt gut unterhalten."

"Ja, das kann man." Ich nickte bestätigend und klopfte mir innerlich selbst auf die Schultern. Für diese Story hatte ich den Nobelpreis verdient.

Am späten Abend verzog ich mich mit Abby hinunter auf die Couch und sah mit ihr ihre Lieblings-Serie The Walking Dead. Naja, zumindest denkt sie nun, dass es ihre Lieblings-Serie ist und zuckte immer wieder ängstlich zusammen, als mal wieder ein Zombie einen Menschen angriff und das Blut nur so spritzte.

"WAS? ICH HABE MICH WOHL VERHÖRT!", schrie mein Vater mit einem Mal durch das ganze Haus und kam kurz darauf die Treppen hinuntergestürmt, was meinen Kopf sofort zu ihm herumschnellen ließ. Er hatte wieder diesen Gesichtsausdruck und wenn er den hatte, war mit ihm wirklich nicht gut Kirschen essen.

"Brad, beruhige dich." Meine Mom sah ihn mahnend an und hob leicht drohend den Kochlöffel, den sie scheinbar in der Küche brauchte.

"ICH, MICH BERUHIGEN?" Mein Vater war außer sich, hielt das Telefon kurz von sich weg und richtete sich dann wieder an den Anrufer, welcher ihn so aus der Fassung brachte: "MACHEN SIE DAS WIEDER RÜCKGÄNGIG! AUF DER STELLE!"

"Schatz, komm runter!", versuchte es meine Mom erneut und legte ihm ihre Hand auf die Schulter, welche er sofort bei Seite schlug.

"WAS SOLL DAS DENN BITTE HEIßEN?", grölte er in den Hörer: "NEIN! WENN DANN WAR DAS MEINE TOCHTER! ICH WÜRDE SO EINEN SCHEIß BESTIMMT NICHT MACHEN!"

"Brad! Mäßige dich!", fauchte meine Mom, warf kapitulierend die Hände in die Luft und ging etwas auf Abstand, als mein Dad kopfschüttelnd weiter schrie.

"Alycia", hauchte auf einmal eine klägliche Stimme und ich drehte mich erschrocken in ihre Richtung zurück. Fuck! Ich hatte ganz vergessen, dass Abby unheimlich sensibel war und sie nun so verängstigt zu sehen, brachte eine unheimliche Wut in mir zum Vorschein. Ihre tiefbraunen Augen, füllten sich mehr und mehr mit Tränen und sie hatte ihre Hände auf ihre Ohren gepresst, um der Stimme meines Vaters zu entfliehen. Meine Hände ballten sich fast automatisch zu Fäusten, bereit, sie gegen Jeden zu verteidigen.

"Hey, es ist alles gut." Schnell legte ich einen Arm um ihren zierlichen Körper und drückte sie eng an meine Brust. Mein Dad hatte mittlerweile aufgelegt und kam wütend auf mich zugestiefelt. Na, warte! Wenn er weiter rumschreien und Abby Angst machen würde, konnte er sich auf was gefasst machen!

🏳️‍🌈 Hinter der Wahrheit (DIRTY)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt