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Aiden

„Was machen wir jetzt?" Richard, einer der Designer, fragte in die Runde. Wir alle saßen an der langen Tafel im Konferenzraum und konnten noch immer nicht fassen, dass Henry gestorben war.

„Wir machen weiter wie bisher", sprach ich und sah von meinem Kaffee auf. „Solang wir nichts Weiteres wissen sollten wir mit der Kollektion fortfahren. Irgendwann wird der Nachlassverwalter kommen und uns mehr sagen können. Doch wir sollten die Angestellten nach Hause schicken. Wir alle müssen unsere Gedanken ordnen und etwas Produktives bekommt heute ganz sicher niemand mehr auf die Reihe."

Meine Kollegen nickten mir zu und wir erhoben uns. „Bitte sagt euren Mitarbeitern in den jeweiligen Abteilungen Bescheid. Wir treffen uns dann morgen früh."

Nach dem Gespräch ging ich in mein Büro und ließ mich auf den Stuhl hinter meinem Schreibtisch fallen. Wie konnte das nur passieren? Henry war gesund und zeigte nie auch nur ein Anzeichen von Schwäche.

Jahre hatte ich bei SummerStyles verbracht, das konnte doch nicht mit einem Schlag vorbei sein. Ich wusste, dass es noch Hoffnung für die Firma gab, denn es gab eine Person die mit großer Wahrscheinlichkeit als Erbin eingesetzt werden würde.

Ich hob die keine Jadefigur auf meinem Tisch an und nahm den Schlüssel aus seinem Versteck im Inneren. Mit diesem öffnete ich die unterste Schublade des Schreibtisches und nahm den einzigen Gegenstand in meine Hand, welcher sich darin befand.

Ein Foto von Hailey und mir. Es wurde vor ungefähr vier Jahren gemacht. Wir waren so glücklich miteinander und strahlten beide in die Kamera. Es kommt mir vor als wäre es gestern gewesen als ich alles kaputt gemacht habe. Dieser eine verhängnisvolle Tag hat unsere jahrelange Beziehung und unsere Ehe zerstört.

Wie es ihr wohl jetzt geht? Ob sie zurück nach LA kommt? Ich wusste bis heute nicht wo Hailey sich aufhielt. Nachdem sie gegangen war, hatte ich nie wieder die Gelegenheit mit ihr zu sprechen. Sie hatte ihre Nummer gewechselt und Henry gab mir ebenfalls keinerlei Informationen über ihren Aufenthalt.

„Du musst doch wissen, wo sie ist!" Aufgebracht lief ich in seinem Büro auf und ab. „Bitte Henry! Ich will doch nur mit ihr reden."

„Du wirst dich von Hailey fernhalten. Sie hat keinerlei Interesse, daran Kontakt mit dir aufzunehmen und das solltest du respektieren." Er saß wie ein Patriarch, der er war, in seinem Sessel und sah mir ruhig dabei zu, wie ich auf und ab lief.

„Hailey ist wütend und verletzt und du kannst nichts tun, um es ungeschehen zu machen. Egal was du sagen oder machen würdest, in ihrem momentanen Zustand würde sie dir wahrscheinlich nicht einmal zuhören."

„Ich will doch nur wissen, wo meine Frau ist. Seit vier Wochen kann ich sie nicht erreichen", bat ich ihn.

„Da sind wir auch schon bei den entscheidenden Punkt. Morgen wird eine Firma kommen und ihre Sachen aus dem Haus holen."

Ich blieb stehen und blickte ihn entsetzt an. „Was?"

„Du hast mich schon verstanden." Er kreuzte seine Finger ineinander. „Ich verlange nicht von dir aus dem Haus auszuziehen. Du kannst darin wohnen bleiben. Ich möchte nur, dass es meiner Tochter gut geht und du tust ihr nicht gut."

„Aber..."

„Kein Aber Aiden. Du wirst dich von ihr fernhalten." Henry löste seine Hände voneinander und griff in seine Schublade. „Ich bin maßlos enttäuscht von dir Junge. Ihr wart so lange zusammen und dann machst du so eine Dummheit. Für dein Handeln musst du nun die Konsequenzen tragen."

Er förderte einige Dokumente zu Vorschein und legte sie vor sich auf den Schreibtisch.

„Was ist das?", fragte ich ihn und trat näher.

„Du würdest uns allen einen Gefallen tun, wenn du die Papiere einfach unterschreiben würdest."

Selbst unsere Scheidung hat sie über Henry laufen lassen. Sie wollte mich nicht sehen, denn zu schmerzhaft war mein Verrat. Erneut strich ich mit dem Finger über die Fotografie. Sie fehlte mir jeden gottverdammten Tag.

Es klopfte an meiner Tür und schnell ließ ich das Foto wieder in der Schublade verschwinden.

„Ja", rief ich und Paul, mein Assistent, steckte seinen Kopf herein.

„Es tut mir leid, dass ich dich störe, aber hier ist ein Herr, der mir dir reden möchte."

„Kein Problem. Schick ihn herein." Ich erhob mich und knöpfte mein Jackett zu.

Ein großer Mann mit dunklem Haar und grauen Schläfen trat herein. Er trug einen Aktenkoffer bei sich und kam mit sicheren Schritten auf mich zu.

„Guten Tag Mister Garver. Mein Name ist Anderson. Ich bin der Anwalt und Nachlassverwalter von Henry Summer. Ich würde mich gerne mit Ihnen Unterhalten."

„Natürlich". Ich wies mit meiner Hand auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch. „Setzen Sie sich doch. Möchten sie etwas zu trinken? Einen Kaffee vielleicht? Oder ein Wasser?"

„Nein Danke." Er winkte mit seiner Hand ab und nahm Platz. „Ich will auch gar nicht allzu lange bleiben."

Ich nahm ebenfalls wieder Platz und sah dem Anwalt dabei zu, wie er einige Dokumente aus seinem Aktenkoffer heraus holte.

„Wie Sie wissen ist ihr Arbeitgeber vor zwei Tagen verstorben. Ich habe gestern bereits mit der Erbin gesprochen und deswegen bin ich hier."

„Sie haben mit Hailey gesprochen?" Obwohl ich bereits davon ausging, dass sie alles erben würde, war es für mich trotzdem ungewohnt, mit einem Anwalt über diese Situation zu sprechen. Mit einem Anwalt über sie zu sprechen.

„Ja und meine Mandantin möchte, dass die Angestellten wissen das alles so weiter geht, wie bisher. Niemand muss um seinen Arbeitsplatz fürchten. Ich hätte gerne die Internen e-Mailadressen aller Angestellten, damit meine Mandantin allen eine Nachricht zukommen lassen kann."

„Natürlich. Einen kurzen Augenblick bitte." Ich griff nach dem Hörer und wählte die Kurzwahl, welche mich mit Paul verbinden würde. Als er das Gespräch entgegennahm, erklärte ich ihm die Situation und er versprach mir alle Adressen auf einen Stick zu kopieren, damit Mister Anderson diesen zu seiner Mandantin, Hailey, bringen konnte.

„Des Weiteren habe ich hier noch etwas aus dem Nachlass von Mister Summer, dass meine Mandantin Ihnen überlassen möchte." Er reichte mir einige Dokumente und ich erkannte das es die Besitzurkunde für unser Haus in Downtown war.

Scheinbar wollte Hailey es nicht. Eine Welle aus Gefühlen überrollte mich und ich musste um Fassung kämpfen. „Danke", räusperte ich und legte die Urkunde zu Seite. „Kann ich Ihnen sonst noch helfen?"

„Tatsächlich wäre da noch eine Kleinigkeit. Morgen bleibt die Firma geschlossen. Wir möchten nicht, dass Angestellte sich hier aufhalten."

„Darf ich fragen warum?"

„Das wird Ihnen meine Mandantin mitteilen, wenn alles vorbei ist. Bis dahin muss ich Sie auffordern, sofort das Gebäude zu verlassen. Sehen Sie es als ein verlängertes Wochenende. Am Montag wird dann alles seinen gewohnten Gang gehen."

Mister Anderson erhob sich und gemeinsam gingen wir in dem Vorraum, wo Paul den USB-Stick mit allen Daten an den Anwalt weiterreichte.

Es dauerte einige Zeit bis wirklich alle der Angestellten das Gebäude verlassen hatten. Als letztes traten ich und Mister Anderson heraus.

„Vielen Dank für ihre Kooperation Mister Garver. Genießen Sie die freie Zeit." Mit diesen Worten verabschiedete er sich und ließ mich sprachlos zurück. Was war hier nur los?

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