Bird

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Als ich gerade die Haustür aufschließen will, öffnet diese sich und Andrew kommt mir entgegen. "Ich muss weg, Raj braucht mich. Stress mit Judith, tut mir echt leid, Alec. Bin heute Abend wieder zurück." sagt er gehetzt und geht schon an mir vorbei. "Und die Brötchen?" frage ich und er kommt zurück und angelt sich eines aus der Tüte, bevor er es sich in den Mund stopft und mir einen krümeligen Kuss auf die Wange gibt.

"Bis später." nuschelt er und dreht mir den Rücken zu. "Halt. Was ist denn los bei den beiden? Ich dachte, Judith ist auf Hawaii?" rufe ich noch hinterher und sehe ihn noch mit den Schultern zucken. "Keine Ahnung. Ich erzähl dir nachher alles. Ich liebe dich." sagt er und winkt, bevor er in sein Auto steigt und davon braust. "Ich liebe dich auch. Glaube ich zumindest." murmel ich und lasse mich kurzerhand auf die oberste Stufe der kleinen Veranda sinken.

In Gedanken versunken fange ich an eines der Brötchen zu zerbröseln, stecke mir abwechselnd ein Stück in den Mund und werfe es einem neugierigen kleinen Vogel hin, der in meiner Nähe sitzt und scheinbar keine Angst vor mir hat. Er hat einen roten Bauch und es erinnert mich an das rote Shirt von Magnus, welches ich gestern getragen habe. Ich weiß, ich verhalte mich ihm gegenüber mehr als unfair und ich sollte ihm zumindest seine Sachen wieder bringen.

Entschlossen stehe ich auf, gehe ins Haus und werfe Magnus Anziehsachen in die Waschmaschine. Dann trinke ich noch einen Kaffee, beginne aufzuräumen und höre den Polizeifunk ab. Nachdem die Wäsche fertig ist, lege ich sie in den Trockner und warte bei einer weiteren Tasse Kaffee darauf, dass sie trocken wird.
Immer wieder denke ich an die Gefühle, die ich Magnus gegenüber hatte und ein kleiner Teil von mir vermisst ihn sehr. Bei ihm konnte ich der sein, der ich bin und er hat nie an mir herumgemeckert. Laut seufze ich und finde in meinem Kopf immer wieder eine Entschuldigung für mich selbst.

Mit seinen Sachen in der Hand und laut klopfendem Herzen, stehe ich eine Stunde später vor seinem Haus und warte darauf, dass er die Tür öffnet aber nichts tut sich und nach einer Weile  gebe ich auf. Schnell gehe ich um das Haus herum und lege die Wäsche auf seine Terrasse. Kurz streiche ich noch einmal darüber, bevor ich mich schnell aus dem Staub mache, aus Angst, wenn ich ihn sehe, dass ich es mir anders überlegen könnte.

Kurzerhand gehe ich ein zweites Mal zu Dot in den Laden und spähe vorsichtig um die Ecke. Sie putzt gerade über die Auslage und als sie mich entdeckt, zieht sie die Augenbrauen hoch. "Darf ich reinkommen oder verhaust du mich mit einem Baguette?" frage ich. "Du hast Glück, sind alle ausverkauft und außerdem wollte ich gerade abschließen. Komm rein." erwidert sie ohne aufzusehen und ich setze mich an einen der kleinen Tische und warte, bis sie fertig ist, mit saubermachen. Schließlich hängt sie ihre Schürze an einen Haken, verschließt die Tür und setzt sich mir gegenüber.

"Also, bist du jetzt bereit mir die Wahrheit zu sagen?" fragt sie und ich beisse mir auf die Unterlippe. "Es war Andrew." sage ich und sie sieht mich mit unbewegter Miene an. "Ach nee, darauf wäre ich nicht gekommen. Also mein lieber Freund, ich habe Zeit." Sie lehnt sich zurück und verschränke die Arme.

Ich lasse nichts aus, ich beschönige nichts und ich erzähle ihr, dass ich in den letzten Tagen bei Magnus gewohnt habe. Aufmerksam hört sie mir zu, runzelt ab und zu die Stirn oder ballt ihre Faust aber sie schweigt und holt erst tief Luft, als ich fertig bin. "Du hast also bei deinem Therapeuten gewohnt und ihr seid sogar per du?" ist ihre erste Frage und ich nicke. "Du magst ihn." stellt sie fest und ich sehe sie einfach als Antwort an. "Also ja." resümiert sie. "Ich mag ihn auch. Ich kenne ihn zwar nicht aber er behandelt dich wenigstens mit Respekt und nicht so wie Andrew. Alec, warum verlässt du ihn nicht?" fragt sie dann und ich seufze.

"Weil wir verheiratet sind und ich heraus finden will, ob wir noch eine gemeinsame Zukunft haben." antworte ich und zucke zusammen, als Dots Faust auf den Tisch donnert. "Er hat dich geschlagen, Alec. Bist du wirklich so naiv zu denken, dass das nie wieder passiert? Was ist es das nächste Mal? Vielleicht wenn du dich weigerst Adoptionspapiere zu unterschreiben, weil er mal wieder eine Entscheidung ohne dich getroffen hat? Oder vielleicht wenn ihm dein Essen nicht schmeckt?" ruft sie aufgebracht und ich zupfe an meiner Nagelhaut herum.

"Er hat versprochen, das es nie wieder passiert." murmel ich und sie lacht trocken auf. "Klar. Das versprechen sie immer Alec. Glaub mir, es wird wieder passieren, immer und immer wieder. Ich hab es selbst erlebt bei meiner Mutter. Immer hat mein Vater danach geweint und sich entschuldigt. Ist es wieder vorgekommen? Ja, ist es. So lange, bis er sie ins Krankenhaus geprügelt hat, erst dann hat sie ihn verlassen, denn ich habe der Polizei die Wahrheit gesagt."

Sie ist vollkommen aufgebracht und ich nehme ihre Hand in meine. "Lass es mich versuchen, Dot. Ich verspreche, wenn es noch mal passiert, verlasse ich ihn endgültig." Sie starrt mich an. "Es ist dein Leben. Ich mache mir nur Sorgen um dich aber ich bin auch unglaublich wütend, dass du so verdammt blind bist. Er wird dich wieder schlagen, wenn du nichts unternimmst. Das muss dir bewusst sein." sagt sie ernst und ich nicke. "Vielleicht hast du Recht." flüster ich und sie drückt meine Hand feste. "Ich habe Recht und wirklich Angst um dich."

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