NEU! 6. Die Tage danach (Teil 2)

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Mir war schlecht. Ich lag in meinem Krankenbett und starrte an die Decke, oder zumindest da wo ich sie vermutete. Wahrscheinlich hatte ich mich ja getäuscht, vielleicht konnte ich nur nichts sehen, weil meine Augen geschlossen waren! Das war es! Mit neuem Tatendrang führte ich eine Hand an mein Auge und öffnete es fast schon gewaltsam, hob das Lid an und tastete mit einem Finger der anderen Hand ob es auch wirklich offen war. Wenn ich nicht blind war, wurde ich es jetzt. Der kurze Schmerz in meinem Auge und das Brennen sagten mir, dass es offen war. Dieser Schmerz trieb mir fast Tränen in die Augen, es war ein Reflex sich sofort wieder zu schließen, das wusste jedes Kind. Aber ich wollte es nicht wahrhaben- ich wollte nicht das es so war! Ich konnte doch nicht blind sein! Nein! Der Duft nach Vanille regte mich nur noch mehr auf. So lieblich, so weich. Grässlich!

Wütend rüttelte ich an den Verstrebungen meines Krankenbettes und das mit aller Macht. Ich schrie leise auf und jetzt wusste ich auch ohne Spiegel, dass ich weinte. Die Tränen standen mir in den Augen. Was war wenn ich nie wieder sehen konnte? Alles vorbei. Mehr Worte brauchte es nicht. Ich könnte nicht mehr Fußball spielen, nicht mehr auf meinem Roller durch die Gegen rasen und die Mädchen- Oh Gott, nein! Bitte nicht. Bitte, bitte nicht!  April. April.

Ich sah es schon vor mir, wie sie in 50 Jahren mit James auf der Veranda ihres Hauses saß und sie sich gemeinsam Fotoalben ansahen aus der Zeit als sie noch nicht verheiratet waren und zur Schule gingen, als sie diesen Idiot David Aubrey kannten, der in ihrer beider Biographien als Idiot einging. Als Idiot, der ihr hinterhergelaufen war wie ein Dackel, der sie liebte und der Idiot mit dem sie einmal eine fast Beziehung gehabt hätte. Genau: der Typ der Blind geworden war. Und der Idiot der sich mit ihm um sie geschlagen hatte, weil sein Ego zu stark war. Himmel, ich war ein Idiot und meine Existenz beruhte auf der Tatsache, dass April eben nichts von dem hier wusste.

"Mach dir keine Sorgen, alles wird gut. Und wenn es nicht gut wird, ist es nicht das Ende." Ich schreckte zusammen. Verdammt, wer war da? Der Stimme nach zu urteilen ein Mädchen. Ja, das auf jeden Fall. Aber wer war sie und was machte sie hier? Wer war sie, das sie mir das Blaue vom Himmel versprach, genau den Teil den ich nicht mehr sehen konnte?  Ich spürte eine warme Hand auf meiner, die immer noch krampfhaft das Geländer des Bettes umklammerte. Kläglich bemühte ich mich um Fassung und unterdrückte den Reflex des Zusammenzuckens. Sie legte ihre Hand über meine und löste meine Finger, einen nach dem anderen, von dem Eisen. Warum kam ich mir vor wie im Gefängnis?

"Hey, was soll das!", schrie ich aufgebracht und schüttelte ihre Hand mühelos ab. Was wollte sie? Wer war sie? Bestimmt eines dieser Mädchen, die eine Begleitung für den Schulball suchen und alles für eine besonders Coole tun würden.

"Ganz ruhig, ich bin es, Amy!" Ich schnaubte. Schön, und ich war kein Pferd. Na toll, die wusste also auch von dem Unfall. Dann konnte es nicht lange dauern bis eine von Aprils Freundinnen antanzte und mir eine Nachricht überbrachte.

"Warum bist du hier?", fragte ich genervt und misstrauisch. Was wenn es doch wegen dem Schulball war? Nichts für ungut, aber ich in ihrer Begleitung würde ihren sozialen Status (egal ob blind oder nicht blind) deutlich erhöhen. Wahrscheinlich sogar verdoppeln. Schließlich war ich einer der beliebtesten Typen der Schule. Nur ob das so bleiben würde war fraglich. So langsam fühlte ich mich gestalkt. Nicht nur, dass sie ihre Nase in Dinge steckte, die sie nichts angingen, dass sie als Erste wusste wo etwas im Busch war und das sie immer alles besser wusste, nein, dieses Mädchen war auch einfach immer da! Ein Schatten in meinem Leben.

"Weil du fast gestorben wärst", erklärte sie ruhig und ich schluckte. Ja, ja das war ich. OK, dann ließ ich sie eben da sitzen, an meinem Bett und warten. Konnte auch nicht viel schlechter sein eine zweite Seele im Dunkel zu haben als allein dazuhocken. So war ich wenigstens nicht allein. Denn ich wollte zwar kein Mitleid, ich wollte auch nicht einsehen was geschehen war, aber ich wollte schon Gesellschaft.  Diese Gedanken verwirrten mich selbst so sehr, dass es mich überraschte, als sie die Stille brach, mit den Worten:

"Ich weiß."

"Was denn?", ich konnte den abgeneigten Unterton in meiner Stimme nicht verbergen.

"Na das du blind bist", sie sagte es langsam, vielleicht damit auch ich es mir endlich eingestand. Irgendwie klang es aber auch eine Spur zu leichtfertig für meinen Geschmack. So als würde sie sagen. Was gibt's zum Essen? Nudeln!

"Aha, und?", dieser Ton ließ die Mädchen normalerweise mindestens 3 Schollen Abstand halten, aber sie schien sich nicht daran zu stören. Fast als sei sie Schlimmeres gewohnt.

"Ich will dir helfen." Helfen. Helfen?! Das wurde ja immer besser! Nicht nur, dass sie keine Ahnung hatte was ich dachte, nicht im leisesten eine Vorstellung davon hatte wie ich mich fühlte, nein, sie wollte mir auch helfen. War ich denn hilfsbedürftig? Kotzwürg.

"Ich brauche deine Hilfe nicht!", fuhr ich sie an. Dann hörte ich das Quietschen eines Stuhls, war sie jetzt aufgestanden?  "Ich brauche Niemands Hilfe!"

"Gut, dann kann ich ja gehen, ich dachte nur du willst vielleicht wissen das April auch weiß das du hier bist. Und das sie dich nicht besuchen kommen wird." Sie klang ruhig. Ich sagte ja bereits, dass sie alles weiß. Sie ist das wandelnde Wikipedia. Oder Google. Oder beides. Aber Moment, halt. April wusste hiervon?

WAS??? Aber- ich fühlte mich wie als würde ich gleichzeitig ersticken und von innen nach außen verbrennen und Leute- ich rate keinem von euch das nachzumachen!

In Atemnot schnappte ich nach Luft.

"Und David- du musst es den andern sagen", meinte sie noch bevor sie ging (?). Als sich ihre leisen Schritte entfernten und die Tür sich schloss dachte ich nur:

Leckt mich!


Der Duft von Vanille aber bliebt.

Bei der nächsten Visite wurde ich wieder gefragt, nach Nachwirkungen des Sturzes- und ich sagte nichts. Doch der Arzt kam danach noch einmal zu mir und fragte mich mit gedämpfter Stimme, damit meine Eltern draußen es nicht hörten, warum ich keinem erzählen wolle, dass ich blind sei. Ärzte. Tz. Er hatte es wohl an meiner Pupillenreaktion oder so erkannt. Was nun? Er meinte er würde meine Eltern umgehend in Kenntnis setzen, da ich noch minderjährig sei. Sie würden das ein paar Tage beobachten und es würde sicher vorbei gehen. Ja sicher. Das sagte er, "es würde sicher vorbei gehen"! Wie eine Erkältung oder eine schlechte Phase in der Schule! Okay, ich kannte keine schlechten Phasen, aber dennoch.  Die nächsten Tage waren eine einzige Qual. Ich stellte alles infrage, wusste nicht wohin mit mir. Trank kaum, aß nicht. Fühlte mich elend, denn April war tatsächlich nicht einmal aufgetaucht und Mason wusste nicht wie er sich mir gegenüber verhalten sollte. Und Amy,- ja die war die offenbar die Einzige Person die sich ohne falsche Scheu zu mir getraut hatte, aber die hatte ich ja jetzt vertrieben.

Erst eine Woche später, als wir alle wieder bei der Visite saßen eröffnete der Arzt mit den Worten: "Leider ist Ihre Sehleistung nicht mehr gewährleistet!", meinen ganz persönlichen Weltuntergang. Ich wusste nicht wie ich darauf reagieren sollte, denn die Wut in mir war einfach so groß...zu groß für mich. Und als ich erneut aufschrie tastete ich mit meiner Hand nach dem Nachttisch. Wo war der denn? Ach ja, zu meiner linken. Alle anderen warteten still. Niemand wollte mich in meinen Gefühlen, meiner Art DAMIT umgehen, stören. Meine Fingerkuppen streiften Glas und ich griff reflexartig danach, nahm es in beide Hände und warf es mit aller Kraft nach vorne. Als das Glas an der gegenüberliegenden Wand (oder auf dem Boden) zerschellte wusste ich dass auch mein Leben in Scherben lag.



Hi, da bin ich wieder!

Danke für die vielen neuen Reads ihr Flauschis!

Wie immer Kommis und Votes erwünscht ;)

xo LilaAngel xo

Wie man lernt zu leben WIRD AKTUALISIERTWo Geschichten leben. Entdecke jetzt