Dreißig

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In Gedanken versunken sitze ich an der Theke im JuZ und kritzele auf einem alten Flyer rum. In drei Tagen ist das Halbfinale, morgen fliegen wir nach Los Angeles um vor dem Wettbewerb nochmal auf der Bühne zu üben, auf der wir auftreten. Ich bin wirklich super nervös. Obwohl wir die Choreo in den letzten zwei Wochen fast durchgehend geübt haben, habe ich wirklich Angst zu versagen.

Damit gehe ich Alec auch gehörig auf die Nerven. Nicht nur, weil ich fast nur noch Arbeite und Tanze, weswegen wir uns kaum noch sehen. Sondern auch weil, wenn wir uns sehen, ich mich kaum entspanne und ihn die ganze Zeit mit meinen Sorgen und Theorien zurede, was alles schief gehen kann. Nicht nur einmal hatten wir deswegen eine hitzige Diskussion, die wir aber relativ schnell geklärt haben.

"Magnus, geh nach Hause.", höre ich eine Stimme hinter mir die mich zusammenzucken lässt. Langsam drehe ich mich um und sehe Luke an. "Was?", frage ich und versuche meine Gedanken zu ordnen. "Geh nach Hause. Der Wettbewerb stresst dich und Alec steht draußen. Lass dich von ihm ablenken, hier kann man dich eh nicht mehr gebrauchen.", lächelt er liebevoll.

Dankend hole ich meine Sachen von hinten und verlasse den Laden, höre noch wie Luke mir ein 'Hals- und Beinbruch' nachruft. Alec steht an meinem Auto angelehnt und sieht mich an. "Was ist los?", frage ich, als ich die Falte auf seiner Stirn sehe, die er immer hat wenn er besorgt ist. "Wir beide gehen jetzt was essen und machen einen Spaziergang, damit du dich abregst! Sich die ganze Zeit Gedanken machen ändert nichts. Also los!", befiehlt er. Lächelnd lege ich meine Tasche auf die Rückbank meines Autos und greife dann nach seiner Hand.

Gemeinsam schlendern wir die Straßen entlang bis wir einen gemütlich aussehenden Italiener finden. Das Essen bezahlt Alec wie selbstverständlich und auch sonst verhält er sich wie ein Gentleman und gibt sein bestes mich vom Wettbewerb abzulenken. Als es bereits dunkel wird schlendern wir grade durch einen Park in der nähe des JuZ.

"Alles okay?", fragt Alec mich nach einer Weile des Schweigens. Ich nicke seufzend. "Ich denke schon. Normalerweise kam ich mit solchen Situationen klar, aber jetzt...", murmele ich. Mir ist es peinlich. Ich vermisse das Rauchen nicht, bin sogar froh es los zu sein. Aber in solchen Momenten hat es mich schon sehr beruhigt. Ich kann nicht leugnen, dass das Verlangen da ist. Aber ich will Alec nicht enttäuschen.

Er setzt sich auf eine Bank und zieht mich neben sich. Vorsichtig holt er eine kleine Schachtel und ein Feuerzeug aus seiner Jackentasche. "Eine schadet sicher nicht. Ich weiß, du hast aufgehört. Und ich weiß, du tust es für mich. Aber du hast es Jahrelang gemacht, grade in solchen Situationen. Ich werde nicht sauer sein. Ich will nur, dass du dich beruhigst und wieder einen klaren Kopf bekommst. Damit du siehst, wie fantastisch du bist und es keinen Grund gibt, sich verrückt zu machen.", erklärt er, holt eine der gefährlichen Stangen heraus und legt sie mir mit dem Feuerzeug in die Hand.

Zweifelnd sehe ich ihn an. Ich will ihn nicht enttäuschen, nur weil ich mal wieder schwach werde. "Es ist okay.", lächelt er mich aufmunternd an. "Es ist okay. Egal ob du es tust oder nicht. Aber mach diese Entscheidung nicht von mir abhängig.", flüstert er. Ich nicke leicht und zünde mir vorsichtig die Zigarette an. Beim ersten Zug muss ich tatsächlich leicht husten. Drei Wochen ohne bringen schon was. Danach wird es besser. Mit jedem Zug entspanne ich mich mehr und spüre, wie meine Muskeln locker lassen. Das ist tatsächlich nur Einbildung. Ich kann mir nicht vorstellen, das Nikotin eine so beruhigende Wirkung auf den menschlichen Körper hat, aber was solls.

Alec rutscht auf der Bank näher zu mir und legt seinen Kopf auf meiner Schulter ab. Diese Nähe ist mir gerade so unangenehm, dass ich neben ihm nervös werde und Abstand zwischen uns bringen will. Fest legt er seinen Arm um mich. "Nicht.", haucht er und schmiegt sich noch näher an mich. "Alexander, ich will...", er unterbricht mich. "Hör auf. Es stört mich nicht, dass du rauchst. Es gibt Gründe dafür, die verständlich und nicht zu ändern sind. Und du kannst aufhören oder weitermachen. Aber tu es, weil du es willst und nicht für mich oder unsere Beziehung. Ich will dich nicht verändern. Ich will, das du mit mir glücklich bist. Zwing dich nicht, Dinge zu tun, die du nicht willst oder jemand zu sein, der du nicht bist."

Während er redet, steigen mir Tränen in die Augen. Vorsichtig legt er seine Hand an meine Wange und sieht mir fest in die Augen. Ich habe das Gefühl, er kann direkt in meine Seele sehen. "Bitte nicht weinen.", murmelt er mit erstickter Stimme. Lächelnd lege ich meine Hand auf seine und lehne mich in seine Berührung. "Ich bin so unendlich glücklich mit dir. Wegen dir. Ich habe dich einfach nicht verdient.", flüstere ich und die Tränen schleichen langsam meine Wangen hinunter.

"Du hast noch so viel mehr verdient. Und ich werde dir alles geben, was ich kann.", verspricht er mir. Im nächsten Moment spüre ich seine weichen Lippen hauchzart auf meinen. Seufzend lehne ich mich vor und vertiefe den Kuss. Seine Hand streicht von meiner Wange nach hinten und legt sich in meinen Nacken. Dieser Junge ist alles was ich jemals wollte. Er versteht mich, unterstützt mich, hat immer die richtigen Worte. Er lässt mein Herz höher schlagen und die Schmetterlinge in meinem Bauch Achterbahn fahren.

Kühle Tropfen die auf meine Haut prasseln lassen mich zurückschrecken und in den Himmel sehen. "Es regnet. Wir sollten gehen.", stelle ich fest und stehe auf um zu gehen. Alec allerdings hällt mich am Arm fest und stellt sich direkt vor mich. "Oder du entspannst dich jetzt mal und lässt deine Gefühle sprechen.", sagt er lächelnd und zieht mich vom Gehweg runter auf eine Wiese. Sanft nimmt er meine Hand in seine und dreht mich einmal. "Du bist verrückt.", lache ich und verschränke meine Arme in seinem Nacken.

"Das stimmt. Ich bin verrückt nach dir! Vor allem nach deinem Lachen, also bitte hör niemals auf damit.", schwärmt er und zieht mich an der Hüfte näher an sich. Lächelnd vergrabe ich meine Hände in seinen, bereits komplett durchnässten, Haaren. Gemeinsam fangen wir an uns auf dem feuchten Rasen zu bewegen und zum ersten Mal in meinem Leben tanze ich im Regen. Zum ersten Mal in meinem Leben stehe ich vollkommen nass in einem Park und bin wunschlos glücklich.

Und jetzt verstehe ich es endlich. Immer wenn Menschen darüber reden, dass ein Mensch alles sein kann und man sich in bestimmten Momenten die Ewigkeit wünscht. Denn genau das tue ich. Ich will, dass dieser Moment ewig währt. Ich sehe in die Augen des Jungen, den ich von ganzem Herzen liebe und sehe alles, was ich brauche. Ich sehe meine Liebe und meine Zukunft in diesem wunderschönen Braun. Und ich weiß, egal was die Zeit bringt, ich werde jedes mal, wenn ich an diesen Augenblick zurückdenke, wunschlos glücklich sein.

If I see you againWo Geschichten leben. Entdecke jetzt