Lucius war nicht ganz so überrascht, als es am Fenster klopfte. Er glaubte, es könnte ihn bestimmt nichts mehr überraschen. Wenn man sein Leben mit einem Gott als Geliebten verbrachte, der auch noch zu den zwölf gehörte, sollte man vermutlich auf einiges vorbereitet sein. Dieses Mal war er aber sehr gut vorbereitet. Schließlich hatte er selbst eingeladen.
Als er aber das Fenster öffnete, war er es dann aber doch. Statt einem Augenpaar guckten ihm drei entgegen. Das hatte er nicht ganz so erwartet. „Hallo, Lucius. Da bin ich. Ich habe mir erlaubt, ein paar Freunde mitzubringen, ich hoffe, das stört nicht." Mit diesen Worten kletterte Hymen durch das Fenster, gefolgt von zwei Jungen, die, genauso wie er, geflügelt waren, mit roten Nasen, gepackt in warme Wolle. Lucius hielt ihnen das Fenster auf und schloss es schnell wieder hinter ihnen, damit die Kälte nicht hinein kam oder am Ende das Feuer ausging. „Nein, es stört nicht. Ich kann euch nur nicht versprechen, dass ihr euch nicht eine Portion teilen müsst. Ich weiß nicht, wie viel Eintopf gemacht wurde. Wobei ich euch auch meine Portion geben würde. Dann müsstet ihr euch zwei teilen." „Ach, das wird schon. Wir kriegen das hin. Nicht, Jungs?" Die beiden anderen nickten. „Oh, und wir wollen ja nicht unhöflich sein, wo wir schon so hereinplatzen. Das ist Amor und das ist Himeros. Jungs, das ist Lucius." Sie nickten sich gegenseitig zu.
Lucius hatte schon vermutet, dass die beiden zu den Eroten gehörten, war sich nur nicht sicher gewesen, welche. Jetzt wusste er es. Ihn störte es wirklich nicht, dass Hymen Freunde mitgebracht hatte. Seine Kinder taten das auch nicht selten, vor allem sein Sohn hatte ständig irgendwelche Jungs mitgebracht, mit denen er am Vormittag, als er sich von seinem Unterricht weg geschlichen hatte, Knöchelwerfen gespielt hatte. Und meist hatte er dann verloren und schuldete ihnen was. Im Endeffekt war er es aber nie gewesen, der ihnen die Geldstücke oder das Spielzeug oder die Mahlzeit oder auch nur ein Brot schuldete, je nach dem, woher sie kamen. Es war immer Lucius gewesen, der ihnen die Sachen geben musste und auch wenn er zu dem Essen immer ein gutes Stück Wolle, Käse und Fleisch dazu gab, hatte er irgendwann seinem Sohn erzählt, dass er das Geld, das er auf diese Art und Weise verspielte, von seinen Geschenken zu den Saturnalien abziehen würde. Als Spurius dann ein Mal kein Geld bekommen hatte, hatte er damit aufgehört. Dann brachte er nur noch Freunde mit, mit denen er lesen konnte. Ein Junge war zum Beispiel häufiger da, der in einer Bibliothek arbeitete.
Seine Zwillingstöchter konnten das auch, nur nicht so gut, wie er. Sie hatten ein Mal Julia mitgeschleppt, die Lucius sofort wieder nach Hause geschickt hatte, als er erfahren hatte, dass ihr Vater nichts davon wusste. Sonst war es unterschiedlich, manchmal Jungs, die sie vermöbelt hatten und jetzt einen Arzt brauchten, manchmal Mädchen, die gerne lernen wollten, wie man sich die Zöpfe auf germanische Art flechtet.
Lucius führte die jungen Männer nach unten in die Stube, während diese alle ihre Flügel verborgen. Langsam wich die Röte aus ihren Nasen und Fingern. In der Küche fragte er nach vier Portionen Eintopf und die Köchin meinte, es sei doch gut, dass sie einen großen Topf genommen hatte. Mit etwas frischem Brot dazu ging es dann ins Esszimmer und als ihnen auf dem Weg Spurius entgegen kam, dauerte es nicht lange, bis er ebenfalls mit einem dampfenden Teller bei ihnen lag. Lucius war froh, dass die drei jungen Götter ihre Flügel ausgiebig gestreckt hatten, gerade bevor er herein gekommen war.
Mittlerweile lagen sie nur noch in ihren Togen da, denn es wurde ordentlich im Speisezimmer geheizt. Es wurde sich auf den Eintopf gestürzt und Himeros meinte: „Ihr habt nicht gelogen, wirklich nicht. Das ist so gut." Mehr konnte er nicht sagen, er war viel zu beschäftigt damit, sich den nächsten Löffel in den Mund zu schieben. „Klar", antwortete Spurius für Lucius. „Ist ja schließlich unserer. Wer sind die Herrschaften den eigentlich. Hattest du gesagt, dass du Besuch bekommst, Vater?" Lucius schluckte schnell sein Brot herunter.
„Nein, ich hatte es euch noch nicht gesagt, ich war mir selbst mit der Uhrzeit nicht ganz sicher. Mit dem Schnee kommt man ja nicht immer besonders gut und pünktlich durch die Stadt. Und die Herrschaften sind Söhne von Bekannten, die ich eingeladen habe, um ebendiesen guten Eintopf zu probieren." Bei dem Wort ‚Bekannten' warfen sich die drei grinsende Blicke zu. Was erwartete man auch von Liebesgöttern?
Die Jungen verstanden sich allesamt gut. Spurius passte mit seinem Kopf voller Streiche voll und ganz in die Gruppe der drei Freunde und Lucius war recht froh darum. Er erkundigte sich bei Spurius, ob er wisse, wo Siofra und Frija waren, aber er sagte nein. Lucius entschuldigte sich daraufhin bei den vieren und sagte ihnen, dass sie einfach gehen können, wann sie mochten. Von ihm aus müssten sie sich nicht groß verabschieden. Sie bedankten sich schon einmal sehr und verabschiedeten ihn soweit.
Lucius machte also sich auf die Suche nach seinen Töchtern. Er hatte sie den ganzen Tag nicht gesehen, schließlich wurden sie auf ihren Zimmern eingekleidet und hatten sich wohl auch das Frühstück hinbringen lassen. Er wollte mal danach gucken, ob alles in Ordnung sei. Die Sklaven verwiesen ihn auf den Garten, wo er seine Töchter schließlich fand, nachdem er sich in seinen Mantel gepackt hatte. Sie sprachen miteinander auf einer Bank, neben ihnen ein großer Schneemann und in ihren Haaren die Zeugnisse einer Schneeballschlacht. Ihre Köpfe waren eng zusammen gesteckt, bis Lucius sie unterbrach: „Ich hoffe, ich störe euch wie nicht." Sie sahen auf. „Nein, Vater. Was gibt es?", fragte Siofra für sie beide. „Ach, nichts Besonderes. Ich wollte nur nach euch gesehen haben. Außerdem habe ich gedacht, ich sage mal Bescheid, wir haben noch etwas Eintopf da. Und wir haben Gäste, Spurius ist gerade bei ihnen." Die beiden jungen Frauen sprangen auf. „Es tut uns Leid, Vater, das wussten wir nicht. Wir werden sie sofort begrüßen gehen. Und danke für das Angebot mit dem Eintopf", diesmal war es Frija, die sprach und Lucius begann, sich Sorgen zu machen. Was war denn mit denen los? So höflich hatte er sie ja noch nie erlebt. Er schaute ihnen verwundert nach, als sie sich auf den Weg nach drinnen begaben.
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Amor vincit omnia
Historical Fiction16 Jahre nach seinem vermeindlichen Tod wacht Apollo aus seinem Koma auf. Er befindet sich wieder auf dem Olymp und muss feststellen, dass seine große Liebe bereits verheiratet ist und ganze vier Kinder hat. Ob er es trotzdem schafft, Lucius wieder...