Gedanken und eine Entscheidung

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„Nicht! Mein Vater könnte uns sehen."

„Kümmert dich das?"

„Ja. Ich würde dich gerne formal vorstellen und will nicht, dass er dich das erste Mal sieht, wenn du mich in der Öffentlichkeit küsst."

„Sagt man nicht immer, wenn man verliebt ist, wären solche Dinge egal?"

„Das sagen die Dichter. Aber mein Kopf funktioniert noch sehr gut, auch wenn ich dich über alles liebe. So etwas kann zu einem Skandal ausarten und du weißt, wie schlimm das in den Kreisen der Adeligen sein könnte."

„Hach, na gut. Was hältst du dann davon, mich deinem Vater demnächst vorzustellen? Er könnte auch meinen Vater kennen lernen und dann darf ich endlich um deine Hand anhalten!"

„Lass mich eine Nacht drüber schlafen. Wenn wir uns morgen treffen, sage ich dir dann, wie es aussieht, ja?"

„Gut, in Ordnung."

...

„Hey, was habe ich über das Küssen gesagt!?"

„Och komm, nur noch einer."

„Du bist unmöglich."

„Dafür liebst du mich doch."

„Auch wieder wahr."


Lucius war müde. Todmüde. Er hatte fast die ganze letzte Nacht nicht schlafen können, sein Kopf war einfach viel zu voll mit Gedanken gewesen. Er hatte über den Traum nachgedacht. Dann über die Lichtkugeln, die ihm den Weg gezeigt hatten, ihn gerettet hatten, zu denen er irgendeine merkwürdige Verbindung hatte. Und warum tauchte die Farbe Gold eigentlich in letzter Zeit so häufig auf? Goldene Lichtkugeln, goldener Sonnenaufgang, goldene Blumen, goldene Haare. Warum hatte Stirrius in seinen Träumen immer ein griechisches Gewand an? Das machte keinen Sinn. Er hatte Stirrius nie in Verbindung mit Griechen gebracht. Stirrius hatte auch keine Verbindung zu Griechen. Wobei... Warum hatte er damals ein griechisches Lied gesungen? Stirrius, ein grandioser Heiler aus Germanien, Kriegsgefangener, Sklave, fing auf einmal an, im Moment seines Todes, ein griechisches Lied zu singen.

Lucius hatte lange nicht mehr darüber nachgedacht, er war immer viel zu traurig geworden und dann fiel seine Laune für die gesamte nächste Woche ins Wasser. Doch jetzt beschäftigte es ihn zu sehr. Seine Gedanken rasten nur so dahin und je mehr er dachte, desto mehr Fehler fand er. Vielleicht hatte es einfach nur daran gelegen, dass er, in seiner jugendlichen Naivität, nicht darüber nachgedacht hatte oder es nicht begriffen hatte. Keine Ahnung. Aber da waren Fehler in seiner Geschichte.

Er hatte Stirrius bekommen, ganz normal als überflüssigen Nahrungsvernichter auf dem Sklavenmarkt. Doch dann ging es ja schon los. Warum hatte Stirrius sofort Latein gekonnt? Latein war keine einfache Sprache, Germanien nicht gerade für seine hohe Bildung bekannt. Warum hatte er alles verstanden und akzentfrei gesprochen?

Dann, Fehler Nummer zwei. Stirrius hatte gewusst, was in Rom gegessen wurde. Vom ersten Tag an hatte er Lucius' Frühstück gemacht. Woher hatte er gewusst, was man bei römischen Familien zum Frühstück aß? Das war in Germanien doch anders. Seine Gedanken nahmen an Tempo zu.

Wie hatte er ein Bad anrichten können? In Germanien wurde etwas benutzt, das man ‚Seife' nannte, aus Milch und einigen anderen Sachen gemacht, keine pflegenden Öle oder Essenzen. Wie hatte Stirrius das am zweiten Tag gewusst, den er in Rom verbrachte?

Und dann kam auch schon der Nächste angeflogen. Kithara? Auf welchem Weg hatte die denn bitte nach Germanien und in die Heilrituale gefunden? Lucius war lange genug dort gewesen, um jetzt genau zu wissen, dass eher Trommeln genutzt wurden, vielleicht noch Sprechgesänge, aber sonst gar keine Musik. Das war eine Lüge gewesen, eine Ausrede. Wo, bei Gaia, hatte Stirrius Kithara spielen gelernt?

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