Lucius stand in seinen Gemächern und ließ sich von den Sklaven einkleiden. Er war es mittlerweile gewohnt, den vielen Stoff der Toga zu tragen, ganz am Anfang war er noch ab und zu über den Stoff gestolpert. Die Toga, die er heutzutage trug, war nicht mehr weiß, sondern hatte einen Purpurstreifen, wie ihn jede Toga eines Senators hatte. Lucius hatte dieses Amt seit vier Jahren inne, davor war er in anderen Ämtern gewesen und auch häufiger im Militär tätig gewesen. Seit er damals mit siebzehn Jahren eine wichtige Rolle bei der Beendung der germanischen Aufstände gespielt hatte, war er in diesem Gebiet nicht ganz unbedeutend. Der Kaiser hatte auch in der vorigen Woche angedeutet, dass er Lucius gerne in den Eroberungen um Britannien dabei hätte. Doch Lucius wusste bereits, dass er ablehnen würde, seine Kinder waren ihm zu wichtig, als dass er sie in Rom zurück lassen würde. Natürlich hätte Antonius sich ihrer angenommen, aber er hatte die vier trotzdem gerne in seiner Nähe.
Am vorigen Tag war auch sein jüngster, Spurius Lucius, zurück gekehrt und Lucius hatte sich sehr gefreut. Zuvor war er bei seinem Onkel in der Ausbildung gewesen, an der auch Tiberius teilgenommen hatte. Morgen würde dieser dann auch zu ihnen kommen und Lucius würde ihnen alles über die wichtigen Schriftstücke des Reiches beibringen. Sie würden Cato lesen, Caesar und noch viele andere, sehr wichtige Bücher. Auch seinen Töchtern legte Lucius diese Schriften ans Herz, auch wenn er sie nicht selbst unterrichten konnte, dafür fehlte ihm dann doch die Zeit, aber sie hatten einen griechischen Sklaven als Lehrer, der seine Aufgabe sehr gut machte.
Lucius verließ schließlich seine Gemächer und begab sich in das Speisezimmer. Dort wurden gerade einige Speisen zum Frühstück aufgetischt, Brot, Käse und dergleichen. Natürlich stand auch immer eine Schüssel mit Früchten daneben, von der sich Lucius schon einmal bediente. Die Sklaven grüßten ihn höflich, Lucius ging immer sehr gut mit ihnen um. Alle Sklaven, die sich ein bisschen mit der römischen Oberschicht auskannten, wünschten sich eigentlich, zu Lucius zu kommen, denn er war bekannt dafür, seine Sklaven wirklich wie Menschen zu behandeln. Und das stimmte auch, Lucius beachtete auch Wünsche von ihnen und ließ sie sich auch ausruhen, wenn sie beispielsweise einmal krank waren. Um ganz ehrlich zu sein, hatte Lucius auch immer ein wenig Stirrius im Hinterkopf. Er war immer so freundlich und geduldig gewesen, da wunderte sich Lucius schon gar nicht mehr, dass er sich so schnell verliebt hatte. Aber er hatte auch den Unterschied gesehen, alle Sklaven seines Vaters hassten diesen, weil er sich schlecht behandelte. Lucius wollte also keinesfalls diesem Beispiel folgen. So bestand schon lange ein sehr vertrautes Band zwischen Lucius und den Sklaven, er betrachtete sie als Freunde, nicht als einfache Dinge, die einfach taten, was er sagte.
Die Türe des Speisezimmers öffnete sich und die Zwillinge, Siofra und Frija, kamen herein. Die beiden ältesten Töchter des Hauses waren für ihre wilde Schönheit bekannt, sehr berechtigt, wenn man ihre roten Locken und die vielen Sommersprossen auf der hellen Haut betrachtete. Lucius hatte ihnen erlaubt, ihre alten germanischen Vornamen zu behalten, sie trugen aber trotzdem den Nachnamen Lucius. Eigentlich hatte er vor, beide bald zu verheiraten. Mit ihren achtzehn Jahren waren sie dafür auch schon viel zu alt, aber bisher war ihnen niemand gut genug gewesen. Und Lucius würde sich hüten, mit ihnen darüber zu streiten, denn das konnten sie mehr als gut. Und als Vestalinnen konnte er sie auch nicht einsetzen, schließlich waren sie nicht aus Rom und glaubten an andere Götter. Also blieb ihm nichts, als den Willen der beiden zu akzeptieren.
Nach einigen Minuten stießen auch Spurius und Lucia dazu. Lucius erkundigte sich bei ihnen allen, wie der Unterricht verlief und natürlich auch, wie es ihnen ging. Sie alle antworteten das übliche, dass alles in Ordnung sein und so weiter. Ein wenig frustrierend war das für Lucius natürlich schon, aber er fand es immer noch besser, als so zu wirken, als würde er sich gar nicht für sie interessieren. Doch Siofra ergriff erneut das Wort: „Lucia geht es sogar ausgesprochen gut." Dabei grinste sie ihr typisch schelmisches Lächeln. Auch Spurius schien darauf einzugehen. „Stimmt. Habe ich dich letztens nicht mit... wie hieß er noch gleich...", er überlegte gekünstelt. „Ach ja, Quintus gesehen?" Er sah sie, genau wie die Zwillinge, durchdringend an. Lucia lief unter den Blicken, insbesondere dem neutral interessierten ihres Vaters, rot an. „Da war gar nichts. Er hat mir nur etwas zu trinken angeboten." Ihre Stimme war wenig überzeugend. Auch die Tatsache, dass Frija nun auch nachhakte, machte es nicht besser. „Ja, ja, nur zum Trinken. Der Kuss hat überhaupt nicht existiert, das wissen wir alle." Ihre Stimme triefte vor Ironie. Lucius musste schmunzeln. Das waren nun mal seine Kinder, solche Aktionen waren mehr als typisch für sie. „Ich hoffe doch, ihr seid ihnen nicht nachgeschlichen. Lasst eurer Schwester den Freiraum", mahnte er trotzdem. „Wir doch nicht", meinte Spurius scheinheilig. Lucius schüttelte nur den Kopf darüber und wandte sich dann Lucia zu, die ihn erleichtert über die Tatsache, dass ihr Vater nicht sauer war, ansah. „Wenn du willst, bring ihn doch einmal mit. Also, falls es etwas Ernstes ist." Sie nickte dankbar und aß dann weiter ihr Frühstück, offensichtlich in Gedanken versunken. Die anderen Jugendlichen sahen sich grinsend an.
Nach dem Essen musste sich Lucius wieder an einige Briefe setzen und am Nachmittag würde es dann zur Senatssitzung gehen. Danach würde er zur Villa seines Bruders fahren und Tiberius abholen, der dann voraussichtlich für drei Wochen bei ihnen wohnen würde. Denn Lucius hatte letztens einen neuen Sklaven gekauft, der nun als Lehrer für ihn und Spurius in Griechisch und Rhetorik fungieren würde.
Schließlich konnte sich Lucius endlich von den endlosen Briefen der anderen Senatoren losreißen und begab sich in den Hof, wo sein Wagen und der Fahrer bereits warteten. Ein weiterer Sklave, Corvus, begleitete ihn. Er war ein enger Vertrauter, der sich um Lucius' allgemeines Wohlbefinden kümmerte und ihn auch durchaus kompetent beriet. Während sie in der Kutsche saßen, unterhielten sie sich darüber, was Lucius heute in der Senatssitzung sagen würde und überarbeiteten noch einige letzte Punkte.
Sie kamen am Forum in der Mitte Roms an. Die Fahrt hatte länger gedauert, als erwartet, da es einige Blockaden auf den Straßen gegeben hatte, sodass Lucius nicht mehr in den Laden gehen konnte, den er eigentlich vor der Ratssitzung hatte besuchen wollen. Dort gab es hübsche Stoffe, aus denen er gerne eine neue Toga hätte. Aber sei es drum, dann würde er eben Sklaven vorbei schicken. Lucius schritt die Stufen des Ratshauses nach oben. Am Eingang begegneten ihm bereits einige Senatoren, mit denen er zusammenarbeitete. Sie verfolgten dieselben Ziele und von Zeit zu Zeit lud einer von ihnen auch zu einem Essen ein. Doch eine nähere Freundschaft bestand nicht.
Er nahm seinen üblichen Platz ein und wartete geduldig, dass die Sitzung begann. Dabei beobachtete er die anderen Senatoren, die eintrudelten, während Corvus neben ihm alles vorbereitete, um Protokoll zu führen. Schließlich fanden alle langsam ihre Plätze und der Kaiser traf ein. Es war eher selten, dass er persönlich dabei war, aber es würde auch um wichtige Dinge gehen. Die Versammlung war, wie immer, sehr langatmig. Selbst der Kaiser langweilte sich, wobei das nicht selten der Fall war. Doch immerhin kamen sie zu Ergebnissen, was die neuen Eroberungen in Britannien anging.
Später hatte Nero noch mit Lucius sprechen wollen, was dieser selbstverständlich nicht ablehnte. „Es geht um eine Überlegung, die ich hatte. Dafür würde ich gerne eure Meinung einholen", bekannte der junge Kaiser. Lucius verneigte sich tief, es war eine Ehre, vom Kaiser nach seiner Meinung gefragt zu werden. „Ich danke Euch vielmals." Der Kaiser winkte nur ab. „Ich würde Euch für diese Besprechung gerne in zwei Tagen in den Palast einladen. Ein Sklave von mir wird Euch abholen." Damit war das Thema für Nero erledigt und er verließ ohne ein weiteres Wort die Kurie. Lucius blieb weiterhin in seiner gebeugten Haltung, wie es sich bei dem Kaiser gebührte. Als dieser schließlich weg war, wandte er sich an Corvus. „Sag den Mädchen, dass sie mir ein neues Gewand für den Termin schneidern sollen. Ich werde dann alleine gehen, um Tiberius zu holen." Corvus sah ihn besorgt an. „Seid Ihr sicher? Irgendwer sollte schon auf Euch aufpassen." Lucius antwortete: „Schon in Ordnung. Es wird mir schon nichts passieren. Beeil dich lieber, nach Hause zu kommen. Und lass mir eines der Pferde da." Corvus sah ihn noch einmal skeptisch an, doch dann kam er dem Befehl nach. Bisher hatte Lucius niemandem von seinem Fechttalent erzählt. Selbst seine Kinder hatten, wenn dann nur Gerüchte gehört, doch eigentlich existierten diese nicht. Nur sein Bruder und Vater wussten Bescheid, doch seinem Vater kam es nicht in den Sinn, ihn zu loben und Antonius hielt dicht. Denn er wusste genau, dass Lucius nicht stolz auf die vielen Toten in seinen Schlachten war. Schlussendlich war es ihm zu viel geworden und er hatte sich vom Militär losgesagt. Auch, wenn seine aktuelle Arbeit ihm ebenso wenig Freude bereitete.
Lucius ritt auf dem Pferd zur Villa seines Bruders. Dort wurde er bereits erwartet. „Onkel Lucius!" Tiberius kam ihm freudig entgegen und umarmte ihn, obwohl er noch dabei war, abzusteigen. Lucius musste lachen. Obwohl sein Neffe schon erwachsen und anderthalb Köpfe größer war, als er, war er immer noch sehr anhänglich. „Da bist du ja endlich. Hattest du nicht gesagt, du wolltest mit einem Wagen kommen?" Lucius löste sich von Tiberius und sah zu seinem Bruder. „Ursprünglich schon, aber der Kaiser ist mir dazwischen gekommen." Antonius runzelte fragend die Stirn. „Er hat mich in zwei Tagen in den Palast eingeladen und deshalb habe ich Corvus schon nach Hause geschickt, um alles vorzubereiten", erklärte sich Lucius. „Das ist ja eine riesige Ehre! Du musst mir dann unbedingt erzählen, wie es dort aussah!" Tiberius war begeistert. Lucius grinste. „Mach ich. Jetzt komm, Großer, pack deine Sachen und schnapp dir ein Pferd."

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Amor vincit omnia
Historical Fiction16 Jahre nach seinem vermeindlichen Tod wacht Apollo aus seinem Koma auf. Er befindet sich wieder auf dem Olymp und muss feststellen, dass seine große Liebe bereits verheiratet ist und ganze vier Kinder hat. Ob er es trotzdem schafft, Lucius wieder...