Die Neronia

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Tiberius war total aufgedreht. Sogar noch mehr, als Spurius, der sonst auch immer sehr aufgeregt sein konnte. Heute war der Tag, an dem Lucius in den Palast eingeladen war. Die Sklavinnen hatten in den letzten beiden Tagen ganze Arbeit geleistet und ihm ein neues Gewand geschneidert. Währenddessen hatten die Kinder ihn damit genervt, dass er sich doch alles ganz genau angucken solle und ihnen dann davon erzählen solle. Aber das war normal, jeder wollte wissen, wie es in so einem riesigen Palast aussah, wenn er schon mehr als auffällig über der Stadt thronte.

Der Sklave des Kaisers, der Lucius abholen würde, kam an der Villa an. Er fuhr mit einem edlen, geschlossenen Wagen vor und Lucius verabschiedete sich schnell von den Kindern. Es dauerte mit den schnellen Pferden des Kaisers viel kürzer als sonst und bald stand Lucius vor den riesigen Toren des Palastes. Es war wirklich beeindruckend. Die Gärten waren wunderschön angelegt, überall huschten Sklaven umher und verrichteten ihre Arbeit. Der Eingang war von breitschultrigen Soldaten gesichert, die gut darauf achteten, dass ja niemand Falsches in das Heim des Kaisers kam.

Der Sklave führte Lucius die Stufen hinauf in die Eingangshalle mit den hohen Decken, die von edlen Säulen an den Wänden geziert war, dazwischen Götterstatuen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie hier rauschende Feste der Oberschicht gefeiert wurden. Es ging durch lichtdurchflutete Gänge und schließlich durch eine hölzerne Tür hinaus in einen anderen Teil des Gartens. Dort, im Schatten einiger Olivenbäume, lag seine Hoheit auf einer Liege, umgeben von Sklaven und Sklavinnen, die ihn bedienten, dahinter sein Vertrauter Seneca auf einem Hocker. Er spielte auf seiner Leier, während eine junge Sklavin ihn mit feinsten Weintrauben fütterte.

Lucius blieb in einigem Abstand stehen und kniete vor dem jungen Kaiser nieder. „Ihr habt nach mir schicken lassen, eure Hoheit?" Angesprochener unterbrach sein Spiel und erwiderte: „Sehr richtig. Schön, dass Ihr die Zeit gefunden habt. Setzt Euch doch zu uns." Lucius erhob sich und ließ sich auf dem Hocker nieder, den ein Sklave ihm hinstellte. Ihm fiel auf, dass jeder von ihnen recht jung war und nur leicht bekleidet. Leichter, als es sonst für Sklaven üblich war. Doch Lucius wollte sich keine Gedanken darüber machen. Das würde zu unschön werden.

„Wein?", bot Nero an. Lucius schüttelte den Kopf. „Vielen Dank, doch ich trinke nicht." Der Kaiser hob eine Augenbraue. „Nicht mal einen Kelch zwischendurch?" Lucius verneinte. Nero fing laut an, zu lachen. Nun war es an Lucius, verwirrt zu gucken. „Ihr seid wirklich so verklemmt, wie man mir erzählt hat. Aber nun gut, nun gut. Warum nicht? Dann bleibt mehr Wein für mich", gluckste der Jüngere und kippte, wie zur Bestätigung, einen Kelch hinunter. „Kommen wir also zur Sache", fing er schließlich an. „Ich hatte eine Idee, für die ich gerne eine zweite Meinung hätte. Das hatte ich ja auch bereits erwähnt." Lucius neigte bestätigend den Kopf. „Es geht um neue Spiele, die ich veranstalten will. Wettkämpfe in der Dichtkunst, Musik, Gesang und so weiter. Außerdem auch Sportliche und ein Wagenrennen." Lucius schien eine Weile zu überlegen, der Kaiser ließ ihm Zeit dazu und sprach dann weiter. „Sie wären ein gutes Mittel für die Propaganda. Sich beim Volk beliebter zu machen, ist schließlich immer gut. Außerdem bin ich, wie Ihr vielleicht wisst, ein großer Liebhaber der Künste." „Ja, davon habe ich tatsächlich bereits gehört. Die griechische Kultur soll Euch allerdings auch gefallen, wenn die Berichte nicht täuschen." Neros Gesicht erhellte sich, als der Ältere darauf zu sprechen kam. Könnte es sein, dass dieser Adelige seine Interessen guthieß? Denn normalerweise war er immer nur auf Ablehnung gestoßen und konnte seinen Aktivitäten nur nachgehen, weil er der Kaiser war.

„Allerdings, sie täuschen Euch nicht. Die Griechen hegen einen ganz anderen Umgang mit den Künsten, sie respektieren sie sehr. Und das gefällt mir, es ist ganz anders, als in Rom." Lucius nickte zustimmend, der Kaiser hatte durchaus recht. Eine musikalische Ausbildung gehörte zwar für einen römischen Adeligen dazu, sollte aber nicht weiter ausgeführt werden. Das hatte Lucius immer schade gefunden, er spielte gerne Kithara. Er hatte schließlich auch den besten Lehrer gehabt.

„Jedenfalls", fuhr der Kaiser fort. „wäre ich Euch dankbar, wenn ihr die Organisation übernehmen könntet. Ich benötige Orte, an denen die Spiele veranstaltet werden könnten. Außerdem müsste natürlich ein Programm für die Gäste geplant werden und einige Feiern für die Ehrengäste. Es müssen Einladungen an Künstler versendet werden und natürlich auch allgemein bekannt gegeben werden, dass ich die Spiele veranstalte. Also, was sagt Ihr? Es wäre natürlich auch ein entsprechendes Honorar für Euch vorgesehen."

Lucius dachte eine Weile lang nach. Das Geld könnte er natürlich gebrauchen, das konnte man immer. Und diese Organisation würde endlich ein wenig Abwechslung in die ewigen Diskussionen, Briefe und Verträge bringen, sowie ihm höchstwahrscheinlich einen besseren Eindruck beim Kaiser verschaffen. „Ich nehme das Angebot sehr gerne an. Wollt ihr direkt die Einzelheiten besprechen?" Nero winkte ab. „Nein, dafür habe ich heute keine Zeit mehr. Kann ich in zwei Tagen bei ihnen vorbei schauen? Ihr sollt eine schöne Villa am Meer gelegen haben." Lucius stutzte kurz, der junge Kaiser hatte sich doch tatsächlich selbst bei ihm eingeladen. Aber nun ja, was sollte er sagen? Man lehnte eine Bitte des höchsten Mannes im Staat nicht ab. „Natürlich, sehr gerne. Wir würden uns geehrt fühlen. Wie fändet Ihr es, bei uns zu Abend zu essen? Das wäre doch eine gute Gelegenheit." Nero setzte sich erfreut auf, sodass der Sklave, der ihm gerade die Schultern massierte, erschrocken zurück zuckte. „Wunderbar. Ich werde zur elften Stunde dort sein. Sporus, magst du mich begleiten?", fragte er den jüngsten der Sklaven, der eine Schale mit Weintrauben hielt. Er hatte den Kopf demütig gesenkt und nickte nur zaghaft. Insgesamt wirkte er ziemlich ängstlich. Nero wandte sich wieder an den älteren Senator: „Dann freue ich mich, mit Euch demnächst meine Neronia planen zu können. Vielleicht stoßen wir dann ja mal an." Er zwinkerte Lucius zu, bevor dieser sich erhob und demütig verbeugte. „Das wird sich einrichten lassen. Ich wünsche weiterhin einen schönen Tag." „Danke, danke. Du darfst gehen, er hier wird dich aus dem Garten führen", sprach Nero und wank einem Sklaven zu, dass er Lucius den Weg zeigte. Insgesamt war Lucius sehr zufrieden mit dem Geschäft und schon während er seine Kutsche betrat, dachte er über die anstehende Planung nach.

Apollo ließ sich erschöpft auf seinem Thron im Olymp nieder. Die ganzen Tage hatte er mit allerlei Fragen zu kämpfen gehabt, die ihm die anderen Götter gestellt hatten, und mit Gebeten, die die Musen nicht hatten erfüllen können. Nun hatte er endlich den ganzen Berg an zusätzlichen Aufgaben erledigen können und gönnte sich eine Verschnaufpause. Die erste seit beinahe einer Woche. So dachte er jedenfalls, bis Merkur herein geflattert kam.

„Hallo, Brüderchen! Ich habe hier etwas, was dich interessieren könnte. Ein paar Neuigkeiten aus Rom." Zuerst war Apollo genervt gewesen, er hatte keine Lust auf Gesellschaft gehabt. Doch nachdem die Wörter ‚Neuigkeiten' und ‚Rom' gefallen waren, war er ganz Ohr. „Sie planen gerade neue Spiele zu Ehren des Kaisers." Und sein Interesse war auch schon wieder weg. Er hörte nur noch mit halben Ohr, wie sein kleiner Halbbruder erzählte: „Es sollen Spiele sein, die überwiegend künstlerisch ausgerichtet sind. Gedichte, Singen und so weiter. Eben alles, was du so magst. Und jetzt rate Mal, wer das ganze organisieren soll! Dein Schätzchen Lucius!"

Merkurs Aussage hatte ihre vorgesehene Wirkung nicht verfehlt. Der Blonde schoss reflexartig nach oben, als Lucius' Name erwähnt wurde. „Echt jetzt? Lucius? Mein Lucius?", fragte er verblüfft. Merkur sah ihn mit trockenem Blick an. „Na, ich hoffe es doch. Oder willst du mir erzählen, dass du dir in den letzten Tagen ein weiteres Schnuckelchen mit Namen Lucius gekrallt hast?" Apollo sah ihn empört an. „Nein, natürlich nicht." Merkur grinste. „Siehst du. Vielleicht braucht der Liebe ja ein bisschen Hilfe, was die Musik so angeht. Das wäre doch mal eine Chance für dich." Apollo seufzte leise. „Hör doch auf. Er ist doch jetzt selbst verheiratet. Er hat vier Kinder." Für eine kurze Zeit sah ihn sein Bruder so an, als hätte er nicht mehr alle Blätter am Lorbeerkranz. Dann fing er schallend an, zu lachen und verwirrte seinen ohnehin schon irritierten Bruder noch mehr. „Was ist denn mit dir schon wieder los?", fragte Apollo. Merkur japste nach Luft und es dauerte noch eine ganze Weile, bis er endlich heraus brachte: „Mein Lieber, du musst deine Nachforschungen mal gründlicher anstellen. Natürlich trägt er noch seinen Ring, das ist Tradition. Das heißt aber noch lange nicht, dass er eine Frau hat, sie ist schon seit dreizehn Jahren tot, du Trottel. Der Ärmste ist doch schon seit Ewigkeiten total einsam, hat du ihn dir mal angesehen?" Apollo fiel die Kinnlade herunter, er war nicht wirklich in der Lage dazu, irgendetwas zu erwidern. Dann, ohne viel Federlesen, rauschte er an seinem Bruder vorbei, um in den Spiegelraum zu stürzen. Merkur sah ihm nur kopfschüttelnd nach.

Amor vincit omniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt