Hymen und Cupido

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Lucius verließ den Palast des Kaisers über die großen Treppen vor den Haupttüren. Er hatte dem Kaiser soeben das finale Programm der Neronia vorgestellt und der Kaiser war begeistert gewesen. Lucius hatte extra darauf geachtet, den Kaiser selbst auftreten zu lassen und außerdem nicht wenige Wagenrennen einzuplanen, die der Kaiser schließlich gerne mochte. Außerdem ließ er an einem Tag die besten Sänger der Welt hintereinander auftreten, während sich der Kaiser gleichzeitig an einem Festgelage gütlich tun konnte. Nicht unbedingt ein Lebensstil, den er unterstützte, aber es gefiel Nero immerhin.

Der Himmel hatte sich während der Audienz verdunkelt und sobald Lucius einige Schritte nach draußen getan hatte, fing es auch schon an in Strömen zu regnen. Grundsätzlich war das gut, es brachte eine nötige Erfrischung in die heißen Tage des Sommers, aber der Stoff von Lucius' Toga nässte schnell durch und wurde schwer und kalt. Er würde darauf wetten, dass genau das Jupiters Absicht gewesen war.

Während er langsam die Treppe hinunter stieg, fiel ihm ein, dass er aufgrund der überstürzten Abreise am Morgen gar niemandem Bescheid gesagt hatte, um ihn abzuholen.

Nun stand er ein wenig verloren auf der letzten Stufe, die Dokumente an sich gedrückt, damit sie nicht allzu nass wurden, und dachte nach, wie er jetzt wohl nach Hause kommen sollte. Plötzlich hörte er Hufgetrappel und die Geräusche von Wagenrädern auf Pflasterstein. Er wandte seinen Kopf und erblickte einen geschlossenen Wagen, wie er ihn in der Art auch sonst immer fuhr. Eines der Pferde kam ihm schwer bekannt vor.

„Aurea?" Die dunkle Stute schnaubte sanft, als sie vor Lucius zum Stehen kam. „Was machst du denn hier? Du warst damals so plötzlich weg." Eine Stimme meldete sich vom Kutschbock aus: „Hat Vater dir nicht gesagt, dass er sie in seine Herden aufgenommen hat?" Lucius blickte auf den jungen Mann, der dort oben saß und ihn ein wenig verständnislos ansah. Das Gesicht kam ihm irgendwie bekannt vor, doch er wusste nicht genau, woher. „Nein... Hat er mir nicht gesagt...", sprach Lucius langsam. Sein Kopf arbeitete immer noch daran, das Gesicht zu erkennen. Der junge Mann zuckte mit den Schultern. „Na ja, egal. Jedenfalls hat er mich geschickt, um dich nach Hause zu fahren. Er musste sich wieder an seine Gebete setzen und ich habe im Moment nicht gerade viel zu tun. Ist gerade keine Hochzeitssaison. Also bin ich für den heutigen Tag ihr Schaffner." Lucius zog die Augenbrauen zusammen, während er sich kurz wunderte, was wohl ein Schaffner war, bevor er dann fragte: „Also bist du Apollos Sohn. Der Gott der Hochzeit, nehme ich an?" „Ja, habe ich doch gerade gesagt. Eigentlich heiße ich Hymenaeus oder Hymen, falls dir das zu lang ist, aber du kennst mich doch auch schon unter dem Namen Rune." Lucius fiel es siedend heiß ein. „Stimmt ja, daher kamst du mir bekannt vor! Dann war Tyra wohl Diana, oder?" Hymen schüttelte empört den Kopf, während er vom Kutschbock hinunter stieg und die Wagentür öffnete. „Meine Güte, Vater hat dir ja so gut wie nichts erzählt. Seid ihr so viel mit Küssen und Sex beschäftigt, dass ihr gar nicht mehr zum Reden kommt, oder wie darf man das verstehen?"

Lucius errötete bis an die Haarwurzeln und hielt mitten in der Bewegung inne, als er gerad in den Wagen kletterte. „Nein! Das verstehst du völlig falsch, nein! Apollo und ich haben doch noch gar nicht... Ich meine...", haspelte Lucius und verstummte dann. Hymen fing an, lauthals zu lachen. Lucius starrte ihn einfach nur peinlich berührt an.

„Ach je. Nach so vielen Jahren immer noch so unschuldig, das ist unglaublich. Aber eins kann ich dir wirklich sagen. Vater hat dich lieb, weißt du?" Hymen lächelte Lucius freundlich an. Dieser richtete seinen Blick langsam auf den Boden, während sich auch auf seinen Lippen ein kleines, glückliches Lächeln bildete. „Ja. Ich weiß."

Endlich war die Kutsche unterwegs auf den Landstraßen, die von Rom in Richtung Küste führten. Der Regen prasselte auf das hölzerne Dach des Wagens und machte den Boden ziemlich matschig, doch durch ein bisschen göttliche Magie kamen sie trotzdem recht gut voran und blieben nicht in Schlammlöchern stecken. Durch das Fenster auf der Vorderseite konnte Lucius erkennen, dass Hymen wohl trotz des Regens, gegen den er sich dadurch schützte, dass er seine Flügel über seinen Kopf hielt, sehr gut gelaunt war. Es schien ihm Spaß zu machen, Wagen zu fahren. Wahrscheinlich, vermutete Lucius, würde Apollo ihm niemals erlauben, seinen Sonnenwagen zu fahren, schließlich war Phaethon daran schon gestorben.

Irgendwann, während Lucius noch einmal seine Unterlagen durchging, um zu schauen, was er am besten als nächstes organisieren sollte, kam seine Villa in Sicht. Hymen fuhr bis auf den Hof vor und Lucius hörte, dass draußen unruhige Stimmen miteinander redeten. Er packte seine Dokumente wieder zusammen, dann wurde kurz darauf die Türe geöffnet und er trat heraus.

Fast sofort hatte er ein Knäuel roter Haare im Gesicht und bald kam ein zweites dazu. Nach einiger Zeit lösten sich Frija und Siofra wieder von ihm und redete auf ihn ein. Lucius nahm am Rande wahr, dass eine Menge seiner Sklaven um ihn herum auf dem Vorhof stand. „Vater, wo seid Ihr gewesen? Wir wollten heute Morgen nach Euch sehen, weil ihr schon so spät dran wart, für die Audienz und dann schauen wir nach und Ihr seid nicht da! Und dann fragen wir alle Sklaven und Freigelassenen und keiner hat eine Idee wo ihr seid und wir alle machen uns solche Sorgen und- Ach Götter, wo wart Ihr denn bloß?"

Frija hatte sich in ihrer Aufregung in Rage geredet und auch Siofra und Lucia, die näher getreten war, sahen besorgt aus. Lucius löste sich erst einmal von seiner Tochter und verschaffte sich kurz einen Überblick.

Da standen Tiberius und Spurius, seine Köche, die Lehrer seiner Kinder, die Sklaven, die sich um die Öfen kümmerte, die Gärtner, seine Kammerdienerinnen, der Arzt, die Stallburschen, einfach alle. Lucius legte sich eine Hand vor die Augen. „Oh nein, hätte ich gewusst, dass ihr euch alle solche Sorgen macht... Ich bin heute einfach früh morgens in die Stadt gefahren, um noch einige Dinge zu erledigen und wollte niemanden wecken. Deshalb bin ich auch mit diesem Wagen hier unterwegs. Es tut mir wirklich leid, das wollte ich nicht." Lucius war froh, dass diese Notlüge ihm leicht über die Lippen kam. Es war schließlich auch nur eine halbe Lüge, ihm tat es wirklich leid, dass sie alle nach ihm gesucht hatten.

Doch schließlich beruhigten sich alle wieder, er bedankte und verabschiedete sich bei Hymen, dann ließ er sich erstmal ein heißes Bad vorbereiten. Denn so schön es auch war, nach Hause gefahren zu werden, seine Kleidung war nach wie vor recht klamm und er wollte sich nicht verkühlen.

Hymen kehrte in den Olymp zurück. Es herrschte immer noch eine recht gedrückte Stimmung, denn auch wenn der Grund nicht weithin bekannt war, wussten doch alle Götter, dass etwas zwischen Jupiter und Apollo nicht stimmte und sich Diana eingemischt hatte. Hymenaeus wusste es natürlich, genau wie Juno, Merkur, Venus und deren Sohn, sein Freund Cupido. Nach eben diesem machte er sich nun auch auf die Suche, natürlich erst nachdem er seinem Vater ausführlich erzählt hatte, dass er Lucius heil und unbeschadet nach Hause gebracht hatte. Er und Cupido hatten sich schon etwas länger nicht mehr gesehen, jetzt, wo noch das ganze Theater wegen Apollo los war. Aber nun flog Hymen endlich mal wieder zum Palast der Venus, nur ein kleines Stückchen weiter gelegen.

Bald fand er Cupido in den Gärten des Palastes. Offenbar trainierte er Bogenschießen, obwohl er es eigentlich gut konnte. Aber man konnte schließlich nicht sicher genug sein.

„Hey, Cupido!" Dieser drehte sich zu seinem heranfliegenden Freund um. „Ach, Hymen! Hallo! Wir haben uns ja ewig nicht gesehen!", freute er sich. Hymen musste lachen. „Nun, wir wollen es nicht übertreiben. Hast du heute noch Zeit?" Cupido wiegte den Kopf abwägend hin und her. Dann antwortete er: „Also, jetzt schon noch für eine Weile, aber später wollte Psyche noch etwas von mir." Hymen winkte ab. „Egal, das reicht schon. Komm mit."

Er flog mit ihm zusammen zum Apollonpalast, wo sie sich in eine ruhigere Ecke zusammen setzten. Dann präsentierte Hymen Cupido seinen Plan.

Lucius ließ sich genießerisch in das warme Wasser gleiten. Es tat wirklich gut, und langsam wurde ihm selbst auch wieder schön warm, nach diesem Regen. Er hatte eben blitzschnell die Toga abgenommen bekommen und die Sklaven waren sofort in den Heizungskeller gelaufen, um Feuer anzufachen.

Plötzlich klopfte es. „Herein", rief Lucius und Corvus trat ein, in der Hand hatte er eine Pergamentrolle. „Herr, es ist soeben ein Brief für Euch gekommen." Lucius seufzte. „Du hättest ihn auch einfach zu den anderen auf meinen Schreibtisch legen können." Corvus schüttelte den Kopf. „Ich denke, dieser hier ist wichtiger. Er ist von Eurem Vater."

Amor vincit omniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt