Fehler

509 50 4
                                    

In der Stadtvilla der Lucianer wurde es mehr und mehr heimelig. Apollo arbeitete nun an den letzten Räumen im Erdgeschoss, momentan war Spurius' Zimmer an der Reihe. Lucius hatte den Wunsch seines Sohnes, dass er ein ähnliches Zimmer wie sein Vater haben wollte, schon weitergegeben. Es kamen auch immer mehr Möbel wieder zurück in das Haus. Heute hatten drei Wagen die Einrichtung seines Arbeitszimmers gebracht, einer die Regale, einer den Tisch und die Stühle, einer die Schriften, die die Familie Lucius über Generationen bei sich angesammelt hatten.

Die Sklaven waren vor kurzer Zeit fertig geworden, alles hinein zu tragen und nach Lucius Wünschen zurecht zu rücken, nun sah sich Lucius das Ergebnis an und wollte gleich die Schriften eigenhändig einsortieren. Er wollte gerne, dass alles ordentlich an seinem Platz war und er diesen Platz kannte. Jetzt gerade war er allerdings damit beschäftigt verblüfft zu sein, wie genau Apollo die Größe der Regale eingeschätzt hatte. Oder wusste. Tatsächlich rahmten seine Bilder, wie auch zuvor schon vermutet, die Regale perfekt ein, sodass es wirkte als würden sich die Ranken um sie winden und die kleinen Vögel um sie herum flattern.

Schließlich wandte Lucius sich den Schriftrollen in den Holzkisten zu, die noch an der Seite standen. Sie waren zeitlich sortiert, die Älteren zusammen und die Neueren zusammen. Leider hatten sie aber nicht nach Autor sortiert werden können, so viele kleine Kisten hatten sie nicht. Das musste Lucius jetzt machen. Er begann mit der Kiste der Ältesten Schriften und zog die erste Rolle heraus. Er öffnete sie, sah nach dem Autor und legte sie auf den Tisch. Die nächste Schrift war neuer, der Autor hatte zu einem späteren Zeitpunkt angefangen zu schreiben, daher legte Lucius sie rechts von der anderen hin. Das führte er so fort, bis er eine Ordnung in die Schriften der ersten Kiste gebracht hatte.

Er wollte gerade damit beginnen, die Schriften in die obersten Fächer des Regals einzusortieren, da klopfte es am Türrahmen.

Apollo stand dort und sah reichlich amüsant aus mit Farbklecksen auf dem Chiton und der Nase. „Ach, du bist es. Ich habe schon gefürchtet, ob die Sklaven mich wieder fragen wollten, was man denn mit den alten Holzstühlen anstellt." „Wieso, was ist mit denen?", fragte Apollo. „Das sind so ausgeleierte Dinger, die ich letztens noch gefunden hatte. Und ich musste tausendmal den Sklaven erzählen, dass sie sie an irgendeinen Schreiner in der Stadt verkaufen sollen. Selbst, wenn er sie nicht reparieren kann, das Holz an sich ist noch gut. Ich will sie aber nicht mehr haben, wir brauchen sie nicht. Ich wusste schließlich bis vor kurzem gar nicht, dass sie existieren, also werde ich sie in Zukunft auch nicht vermissen. Und das wollte irgendwie keiner verstehen", beschwerte sich Lucius. Apollo zog die Schultern hoch. „Na ja, dann kannst du froh sein, dass ich nicht für deine Stühle zuständig bin." „Bin ich, bin ich." Lucius legte die Schriftrollen in das Regal und drehte sich dann zu seinem Geliebten um. Der war schon zur Stelle, um ihn in seine Arme zu schließen. „Ich hab' dich vermisst, Melilla." „Och, Apollo. Wir haben uns doch letztens erst noch gesehen. So lange ist das jetzt nicht her." „Das war ein ganzer Tag!" Lucius musste lachen, ließ sich aber bereitwillig von Apollo fester drücken. „Du hast da noch Farbe", merkte er. „Oh. Wo?" Lucius wischte vorsichtig den Klecks von seiner Nase.

„Ach, ich habe da noch eine Sache. Ist nicht so wichtig, aber ich glaube es ist besser, wenn du Bescheid weißt." Apollo guckte Lucius fragend an. „Der Kaiser hatte mich nach dem Triumphzug angesprochen. Er hat gesagt, ich solle dir persönlich eine Einladung auf seine Feier morgen überbringen." „Gut, ich komme gerne", grinste Apollo. Lucius war nicht so ganz damit einverstanden. „Bitte, tu mir den Gefallen und komm nicht. Ich glaube, er will etwas von dir." „Dann wird er halt von mir enttäuscht werden müssen." Apollo zuckte mit den Schultern. „Bitte. Er hat wortwörtlich gesagt, dass er sich auf eine Nacht mit dir freuen würde." „Und die wird er nicht kriegen. Mach dir keine Sorgen, Melilla." „Mach ich mir aber", entrüstete sich Lucius, „Bleib- Bleib einfach weg von ihm, ja?" Er drehte sich wieder zu den Schriftrollen auf dem Tisch. Apollo seufzte und ließ sich auf den Stuhl plumpsen. „Gut. In Ordnung. Ich komm nicht." Und er hatte gedacht, sie hätten das Thema schon durch gehabt.

„Herr Lucius? Seid Ihr dort?", rief eine Stimme vom Gang her. Lucius schnellte zu Apollo herum, mit einem Gesichtsausdruck der rief ‚Was machst du noch hier!?' Und als Apollo keine Anstalten machte, sich zu bewegen schubste er in verzweifelt vom Stuhl. „Schon gut, schon gut", meinte Apollo, während er sich den Arm rieb und machte sich dann unsichtbar. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Sklave zur Türe hereinkam. Es war einer der Pferdeknechte. „Ah, Herr Lucius. Ich hatte Euch schon gesucht. Es geht um die Stute mit dem Fohlen." Lucius nickte, um zu signalisieren, dass er weiter sprechen sollte. „Ich denke daran, das Fohlen langsam mal zu entwöhnen. Was haltet Ihr davon?" Lucius erwiderte: „Ich denke, dass du darüber sicherlich am besten urteilen kannst. Mach es, wie es dir beliebt." „Ich danke Euch. Bitte entschuldigt die Störung." Der Sklave verbeugte sich und verschwand wieder.

Lucius atmete tief durch und drehte sich dann wieder dorthin, wo er Apollo vermutete. „Das war knapp. Was ist denn in dich gefahren?" Der Gott wurde wieder am Fenster stehend sichtbar. „Entschuldige. Kommt nicht wieder vor." „Gut." Lucius nahm die nächsten Schriftrollen in die Hand und machte weiter. Apollo half ihm dabei.

Die Zeit verging schneller als gedacht und als sie endlich fertig waren, war es auch schon Abend. Lucius trug den Sklaven auf, sie sollten ihm das Abendessen auf sein Zimmer bringen und Apollo machte sich, wie versprochen, wieder unsichtbar, als es kam. Sie hatten nicht viel geredet, aber Lucius fand das auch mal ganz in Ordnung.

Nachdem sie gegessen hatten, griff sich Lucius noch ein paar der Briefe, die er abarbeiten musste und setzte sich dann zu Apollo, der sich schon ins Bett gelegt hatte. Er hatte ihn die ganze Zeit nicht angesehen. Er lag einfach da, den Kopf in das Kissen in seinen Armen vergraben. So mürrisch hatte Lucius ihn ja noch nie erlebt. Aber gut, er hatte vermutlich nur seine fünf Minuten, das war gleich wieder vorbei. Warum sollte es nicht?

Lucius las im Licht einer letzten Öllampe noch einen Brief aus dem Senat und legte ihn gerade weg, als Apollo sich von der Seite meldete. „Muss ich morgen früh wieder gehen?", kam es gedämpft aus dem Kissen. Fast hätte Lucius es nicht erstanden. Er schmunzelte. „Was redest du denn da auf einmal? Du willst doch wohl nicht, dass die Kinder am frühen morgen hereingeplatzt kommen und dich sehen?" Eine lustige Vorstellung war es schon. „Warum nicht?" Lucius runzelte die Stirn. „Wie?... Apollo?" Kurzes Schweigen. Dann rührte sich der goldene Haarschopf.

Alles in Lucius zog sich zusammen, nahm ihm fast die Luft zum Atmen. Er hatte es nicht gemerkt, einfach nicht gemerkt.

Die Nase und die Wangen waren rot, Augen geschwollen und das Kissen ganz nass. Er weinte noch immer. „Warum nicht? Warum dürfen mich deine Kinder nicht sehen? Warum darf ich nicht mit dir mitkommen? Wa- Warum lässt du mich nicht in dein Leben? Wovor hast du denn Angst?" Lucius glaubte, er würde nie wieder etwas Schlimmeres hören. Er hatte zuvor nie etwas Schlimmeres gehört. Nicht das Brechen von Knochen, nicht die Schreie seiner Kriegsopfer, nicht Apollos Lied, von dem er geglaubt hatte, es würde sein letztes sein.

Es war der Bruch in der Stimme des Gottes, das Schluchzen, das so unendlich traurig klang. Und auf einmal brach sie auf ihn herein, die Erkenntnis seines Handelns. Es war seine Schuld. Er hatte Apollo immer wieder von sich gestoßen, ihn versteckt, hatte nicht zu ihm gestanden. Und er hatte ihn verletzt. Lucius glaubte, er müsse selbst weinen. Er war ein Monster.

Doch Apollo sprach weiter: „Wir wissen beide, dass wir weder auf die Meinung deines Vaters, noch die meines Vaters etwas geben müssen, also was ist es? Was hält dich zurück, Lucius?" Lucius sah das verweinte Gesicht an, langsam versiegten die Tränen.

„Es stimmt, ich habe Angst. Aber keine vor meinem Vater. Ich habe Angst davor, dass Mutter mich verstößt. Oder Antonius. Oder dass die Kinder denken, ich bin abartig. Nicht natürlich. Und ehrenlos. Das möchte ich ihnen nicht antun." Er vergrub, sowohl verzweifelt, als auch beschämt, seinen Kopf in der Bettdecke, bis er eine Berührung an der Wange spürte.

Er blickte auf, ein schräges Lächeln im Gesicht seines Geliebten. „Aber wollen wir dadurch nicht zusammen gehen? Wir haben doch schon so viel gemeinsam geschafft, warum nicht auch das hier? Wenn du mir vertraust? ...", Apollo strich durch die braunen Locken. Lucius lächelte, so gut er konnte. Ein Stein war ihm vom Herzen gefallen. „Apollo. Oh, Apollo. Es tut mir alles so schrecklich leid", er schloss ihn in seine Arme. „Alles, was ich getan habe, tut mir so sehr leid." Apollo nickte und hauchte ihm einen Kuss auf den Mundwinkel. „Ich weiß."

Apollo blieb bis zum Morgen. Und es fühlte sich diese Nacht so richtig und so gut an, dieses Mal Apollo im Arm zu halten und ihm wenigstens ein bisschen Trost zurück zu geben.

Amor vincit omniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt