Kapitel 49

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Erneut breitet sich Stille zwischen uns aus.

Ich öffne meinen Mund, schließe ihn aber gleich wieder, da ich zu überwältigt und sprachlos von den Worten meines Seelenverwandten bin.

Auch wenn ich durch Linnea einen Einblick in Siljans Vergangenheit erhalten hatte, so war es etwas vollkommen anderes, die Geschichte aus seinem Mund zu hören.

Der Schmerz und die Sehnsucht in seinen Augen hatten mich auf eine besondere, mir bis dahin unbekannte, Art und Weise berührt.

Es war, wie als hätte ich den Verlust selber erfahren.

Ein kalter Schauer läuft meinen Nacken hinunter und ruft eine feine Gänsehaut auf meinem Körper hervor.

Das Innenleben meines Seelenverwandten war für mich auf der einen Seite verwirrend komplex aber andererseits auch erstaunlich klar.

Unsere Verbundenheit ermöglichte es mir so viel mehr zu sehen, als man es jemals auf physischer Ebene hätte wahrnehmen könnte.

„Du lässt mich gehen?“, stelle ich erstaunt fest und lasse meine Worte dabei mehr wie eine Frage klingen.

„Ja, ich gebe dir die Freiheit, dich selbst zu entscheiden.“, entgegnet mir der Blonde prompt, während er mich durchdringend anschaut.

Ein feines Lächeln, das schon fast einen melancholischen Charakter hat, schleicht sich auf seine Lippen und mir wird klar, dass er mir meine Entscheidung bereits von den Augen abgelesen hat.

„ Nur ganz ohne jegliche Bedingung kann ich dich nicht gehen lassen, ich denke, dass du das verstehst. Du musst mir versprechen dein Wissen über unsere Spezies geheim zu halten.“, ergänzt er fordernd.

„Du hast mein Wort.“, erkenne ich seiner Forderung an und auch wenn meine Stimme rau ist , so ist meine Antwort klar.

Mein Herz wird leicht und schwer zu gleich, denn mit der Freiheit geht der Abschied einher.

Auch wenn ich es am Anfang nie für möglich gehalten hätte, so hatte ich an diesem Ort Freunde, Werwölfe, die mir ans Herz gewachsen waren, gefunden.

Erinnerungen strömen in meinen Kopf ein und zaubern mir ein wehmütiges Lächeln auf das Gesicht.

Es fühlt sich falsch an jetzt zu gehen, ganz ohne Linnea oder Rya noch ein letztes Mal zu umarmen, doch die Angst davor, Siljan könnte seine Entscheidung ändern,  überwiegt diesem Wunsch.

Ich werfe Njal einen letzten Blick zu, in den ich die ganze Dankbarkeit, die ich ihm und seiner Schwester gegenüber empfinde, hineinlege und glaube mir einzubilden, dass das Blau seiner Augen wärmer als sonst strahlen würde.

Anschließend nehme ich einen tiefen Atemzug, wende ich mich von den beiden Männern ab und tauche in den Schatten der hohen Bäume ein.

Und auch wenn ein Teil von mir mich anfleht, so werfe dich dennoch keinen Blick zurück.


Nachdem ich die Grenze überquert habe, dominieren schnell wieder Laubbäume die Umgebung und leises Vogelgezwitscher, sowie das Summen von Insekten erfüllen die Luft.

Ich laufe über den weichen Waldboden, der teilweise von einem grünen Meer aus Farnen überzogen ist und genieße den hier herrschenden Frieden.

Es fühlt sich an, wie als würde ich träumen, denn die Erfüllung meines Wunsches, kommt mir immernoch seltsam surreal vor.

In der Nähe nehme ich unbewusst das  Rauschen von Wasser wahr, als ich in Gedanken versunken einem unbekannten Ziel entgegensteure.

Jetzt wo ich frei darin bin, zu entscheiden, was ich mit meinem Leben anfangen will und wohin ich gehen möchte, beginnt eine gewisse Unschlüssigkeit an mir zu nagen.

Ein Stück von mir sehnt sich an den Ort zurück, den ich eben verlassen habe, während ein anderes nicht mehr als genug Distanz zwischen mich und ihn bringen kann.

Ich befinde mich in einem immer überwältigender werdenden Zwiespalt mit mir selbst.

Kurzerhand entscheide ich mich dafür, meinem Gefühl zu folgen. 

Das Tosen des Wassers wird immer lauter, als meine Füße auf den zunehmend steinigen Untergrund treffen und das Gelände an meiner Seite in einer Klamm abfällt.

Das Rauschen des eisigen Gebirgsstromes unter mir weckt unschöne Erinnerungen in mir und veranlasst meinen Körper dazu Adrenalin auszuschütten.

Eilig wende ich mich ab und flüchte zurück in den Schutz des Waldes.

Ich weiß, dass ich nur noch unweit von meinem alten Zuhause entfernt bin und der Wunsch danach, meine Familie wiederzusehen wird in meinem Herzen übermächtig.

Auch wenn wir im Streit auseinander gegangen sind, so vermisse sie und bin mittlerweile bereit dazu, ihnen zu vergeben.

Schließlich haben sie alles, war es auch noch so falsch, in dem Glauben gemacht, sie würden mich dadurch beschützen und im Nachhinein  betrachtet, lagen sie gar nicht so falsch damit.

Mein Herz pocht schnell und laut in meiner Brust, als ich um die aufgefahrene Kurve schlendere und sich mein Heimatdorf vor mir erstreckt.

Beim Anblick der Blockhütten und der roten, rostigen Trucks davor, schießen mir Tränen in die Augen und meine Mundwinkel fangen an unkontrolliert zu zucken.

Auch wenn schon einige Zeit ins Land gezogen ist, seitdem ich das letzte Mal hier war, ist immernoch alles so wie früher.

Ich steure auf die größte der Hütten zu und lege eine zitternde Hand auf die Türklinke, um diese runter und die Tür gleichzeitig auf zudrücken.

Mit einem leisen knarzen schwingt sie auf und gibt den Blick auf den dunklen Eingangsbereich frei.

Aufgeregt trete ich in das Innere des Hauses und schaue mich freudig suchend in der unteren Etage um.

Doch entgegen meiner Erwartungen, treffe ich auf kein einziges meiner Familienmitglieder.

Verblüfft eile ich die hölzerne Treppe nach oben und schaue in  jedes Zimmer, aber auch dort ist meine Suche von Misserfolg gekrönt.

Nun unruhig geworden,  verlasse ich mein Zuhause wieder und fange an,  mich unschlüssig in der Mitte des Häuserkreises um die eigene Achse zu drehen.

Erst jetzt fällt mir auf, dass das ganze Dorf seltsam leer und ausgestorben wirkt, ein Detail, das mir bei meiner Ankunft, aufgrund meiner Aufregung, entgangen war.

Ein ungutes Gefühl nistet sich in meinem Inneren ein und lässt sämtliche meiner Alarmglocken schrillen.

Wo waren meine Familie und das restliche Rudel?

Die Antwort darauf, finde ich schließlich wenige Sekunden später, als ich bewusst die Luft inhaliere und sämtliche Gerüche auf mich einwirken lasse.

Sofort stechen mir die Ausdunstungen von Angstschweiß und Wut in die Nase.

Mörderischer Wut.

Die daraus resultierende Erkenntnis lässt meinen Herzschlag aus dem Takt geraten, schnürt mir den Hals zu und versetzt meinen gesamten Körper in Panik.

Mein Rudel war in den Krieg gezogen.

SaoirseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt