Kapitel 17

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Mein Kopf ist wie leergefegt als meine Augen über den Mann vor mir wandern und jedes noch so kleine Detail von ihm aufnehmen.

Währenddessen klammere ich mich immer noch an die Hoffnung, dass mir meine Vorstellung nur einen Streich spielt, was ihn zu einem Gebilde meiner äußerst ausgeprägten Fantasie machen würde.

Er ist riesig, bestimmt über zwei Meter groß und muskelbepackt.

In seiner rechten Hand hält er die Überreste eines Whiskyglases.

Dunkelrotes Blut quillt aus den von den Glasscherben verursachten Schnitten in seiner Handfläche und fließt mit dem ursprünglichen Inhalt des Glases vermischt, in kleinen Strömen seinen Unterarm entlang, ehe es auf den Boden tropft.

Er scheint von seiner Verletzung jedoch keinerlei Notiz zu nehmen, denn seine Gesichtszüge sind hart und ohne jegliche Gefühlsregung, wie als wären sie in Stein gemeißelt.

An seinem kantigen Kiefer ist ein leichter Bartschatten zu erahnen und seine scheinbar gerade Nase hat bei näherer Betrachtung doch einen leichten Knick.

Vermutlich wurde sie schon einige Male gebrochen.

Auch seine rechte Augenbraue wird von einer feinen Narbe geteilt, welche seine kriegerische Ausstrahlung allerdings nur noch untermauert.

Trotz dieser Makel ist er perfekt.

Sein Äußeres gleicht dem Abbild eines antiken Gottes.

Der Riese hat dunkelblonde Haare, die an den Seiten kürzer und oben länger sind, weswegen sie ihm leicht vor die Augen fallen und ihn so in eine mysteriöse Aura hüllen.

Schließlich ist es aber der Blick in diese wilden, stahlgrauen Spiegel der Seele, der mich erwachen lässt.

Mit einem Schlag fängt die Welt wieder an sich zu drehen und nach der Ruhe folgt der Sturm.

Das absolute Chaos.

Mein Herz fängt Feuer, sendet Endorphine durch meine Adern und will ihm entgegen fliegen, doch es gelingt mir es zu ergreifen und in Ketten zu legen.

Meine Gedanken drehen sich nur noch um ihn, werden praktisch von ihm regiert.

Ich bin in mir gefangen und er ist der alleinige Gegenstand und  Herrscher meines Noemas.

Die abrupte Erkenntnis, wer dieser Wikinger vor mir ist und was seine Anwesenheit für mein Leben, meine Freiheit bedeutet, raubt mir den Atem und reißt mir den Boden unter den Füßen weg.

Der plötzliche Ansturm an unbekannten Gefühlen und das Gedankenchaos in mir überwältigen mich und vollkommen orientierungslos taumle ich einen Schritt zurück.

Sofort stoße ich mit dem Rücken hart gegen die Bar, was mir ein überraschtes Keuchen entlockt.

Ich will das nicht, ich will ihn nicht und vor allem will ich nicht zu dem werden, was er aus mir machen würde.

Doch nicht nur ich scheine erwacht zu sein, auch das Gesicht meines Gegenübers wird vom Schatten der Erkenntnis verdunkelt.

Siljans Augen weiten sich kaum merklich, ehe seine Iris von roten Rissen durchzogen wird.

Das Rot wird immer dominanter und verdrängt seine vorhergehende Augenfarbe nahezu komplett.

Ein Zeichen dafür, das seine innere, ungezähmte Natur von ihm Besitz ergreifen will.

Mein Herz überschlägt sich in meiner Brust, während ich mich wie ein Ertrinkender an den Tresen hinter mir klammere.

Die ganze Situation überfordert mich so dermaßen, dass ich mich am liebsten auf den Boden werfen und weinen würde.

Doch natürlich steht es momentan nicht zur Debatte wie ein kleines Kind in Tränen auszubrechen.

Nicht vor ihm.

Nicht vor Siljan Sutur, dem Albtraum erregenden Alpha des Nordrudels und …meinem Seelenverwandten.

Der Kriegsgott vor mir hat mittlerweile die Augen geschlossen und befindet sich in einer Art Trance.

Wie auch ich scheint er gegen unsere Verbindung, gegen das unsichtbare, vom Schicksal geschmiedete Band zwischen uns anzukämpfen.

Doch im Gegensatz zu mir verliert er diese Schlacht.

Als er schließlich seine Signalrot glühenden Augen aufschlägt und mich auf die gleiche Art und Weise ansieht, wie es ein Raubtier bei seiner Beute tuen würde, weiß ich, dass ich keine andere Wahl habe.

Meine Hände ertasten hinter meinem Rücken den Hals einer Spirtiuosenflasche und ohne auch nur eine weitere Sekunde zu verschwenden, schleudere ich sie schwungvoll meinem Gegenüber entgegen.

Diesem gelingt es zwar sich reflexsartig aus der Gefahrenzone zu retten, jedoch gibt er mir dadurch unbewusst einen Fluchtweg frei.

Sofort nutze ich die sich mir bietende Chance und sprinte hastig los.

Als Siljan schließlich realisiert, was ich vorhabe und versucht mich zu ergreifen, ist es schon zu spät.

Ich schlittere auf meinen Knien über den glatten Holzboden und tauche unter seinem Arm hindurch, ehe ich Halsüberkopf die Flucht in Richtung Haustür antrete.

Gehetzt von dem Teufel in meinem Rücken, traue ich mich nicht auch nur einen Blick zurück zu werfen, zu groß ist meine Angst schwach zu werden.

Mein Herz zieht sich schmerzhaft in meiner Brust zusammen und sehnt sich danach zurück zu ihm zu gehen um für immer an seiner Seite zu bleiben, doch das wird nicht passieren.

Niemals.

Ich kämpfe immer noch gegen meine Gefühle an, die mit jedem Schritt den ich mich von ihm entferne stärker zu werden scheinen, als ich den breiten Flur durchquere und mit einem Satz die metallene Haustür erreiche.

Abgehetzt reiße ich sie im nächsten Moment auch schon auf und kann gerade noch bremsen, um eine Kollision mit Njal zu vermeiden.

Dieser schien gerade ebenfalls im Begriff zu sein, die Tür öffnen zu wollen, denn seine Hand liegt noch auf der glänzenden Klinke.

Binnen Augenblicken realisiert er auch schon die Situation und schlingt seine Arme um meinen Oberkörper, wirbelt mich herum und schiebt ein Bein zwischen meine, wodurch er mich völlig bewegungsunfähig macht.

Ähnlich einer Fliege, die in einem Spinnennetz gefangen ist, versuche ich zu zappeln und mich zu befreien, doch meine Situation ist ausweglos.

Njal ist zu stark und somit bleibt mir nichts anderes übrig als mein Schicksal zu akzeptieren.

Schließlich taucht Siljan am anderen Ende des Flurs auf.

Scheinbar hatte er es nicht einmal für nötig gehalten mir nach zu laufen.

Er lässt sich betont viel Zeit während er wie ein Madator auf uns zuschreitet, bereit mir den Todesstoß zu verpassen.

Eine dunkle Aura umhüllt ihn und ein Blick in seine emotionslosen, nun wieder grauen Augen verrät mir, dass er den Kampf doch noch gewonnen hat.

Wie könnte es auch anders sein? Vor mir steht schließlich Siljan Sutur.

Sein kalter Blick nimmt den meinen gefangen, als er detachiert das Wort erhebt, „Wirf den Menschen in den Kerker und komm dann wieder her, wir müssen reden Njal“.

SaoirseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt