Im ersten Moment herrschte eine unangenehme Stille zwischen uns, doch es lag mir fern dieser ein Ende zu bereiten und das Wort zu ergreifen.
Die Blonde war schließlich auf mich zugekommen, also konnte sie jetzt auch mit dem Sprechen beginnen und ihr Anliegen vortragen.
„Ich will mich kurzfassen, immerhin ist mir meine Zeit zu kostbar um sie an einen Menschen zu verschwenden“, fängt Christin säuselnd an, „ Siljan hat mich gerade, nach seinem Besuch bei mir, gebeten dir auszurichten, das er dich unverzüglich sprechen will“.
Während sie redet würdigt sie mich keines Blickes, sondern schenkt ihre ungeteilte Aufmerksamkeit der Glasscheibe hinter mir und somit ihrem eigenen Spiegelbild.
Diese herablassende, ignorante Art und Weise macht mich so sprachlos und wütend, das die Bedeutung ihrer Worte erst kurze Zeit später von meinem Hirn verarbeitet wird.
Überrascht wiederhole ich die Frage mit erstickter Stimme, „Siljan Sutur will mit mir reden?“.
„Das sagte ich doch gerade, ihr Menschen seid in eurem Denken so lästig langsam“, beschwert sich die Blonde und massiert sich theatralisch die Schläfen.
Dabei stechen mir ihre langen, sorgsam pedikürten Kunstnägel, die mehr Ähnlichkeit mit giftgrünen Krallen als mit Fingernägeln haben, ins Auge.
„Dann kannst du ihm ausrichten, das ich sein Angebot dankend ablehne“, erwidere ich mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen.
Auch wenn ich gerade äußerlich gefasst wirke, so herrscht in meinem Inneren ein bunter Karneval von Gefühlen.
Was kann Siljan von mir wollen?
Hat es etwas mit Arn zu tun?
Die Gedanken überschlagen sich in meinem Kopf, wärend ich über eine plausible Erklärung für das Ganze nachgrüble.
„Wie kannst du es wagen? Das war keine Bitte sondern ein Befehl!“, blafft mich die Blondine mit blitzenden Augen an, ehe ihre Hand nach vorne schnellt und sie mich am Hals packt.
Überrumpelt huste und würge ich.
Ihr Griff ist eisern und ihre spitzen Nägel bohren sich unangenehm in meinen Hals.
Mit einem wahnsinnigen Glühen in den Pupillen beugt sich Christin näher zu mir vor, sodass ihre Lippen schon fast mein Ohr berühren und mir ihr blumiges Parfüm aufdringlich in die Nase steigt.
Dieses gleicht schon fast einer Verpestung meiner Geruchsknopsen.
Mühsam versuche ich meine wölfische Seite zu kontrollieren, welche sich mehr als nur provoziert von der feindlichen Werwölfin fühlt.
„Vergiss nicht wen du vor dir hast, Mensch…“, zischt die Blonde verächtlich und verstärkt ihren Griff um meinen Hals, „denn wir sind dir um Weiten überlegen“.
Mein Gesicht wird heiß und verfärbt sich, jedoch nicht aufgrund von Sauerstoffmangel oder Angst sondern vor lauter Wut.
Wie kann sie es wagen so herablassend mir zu reden und sich derartig in den Himmel zu heben?
Nur weil wir Mutanten waren, machte uns das keineswegs zu besseren Individuen.
Meine Zähne knirschen, als ich sie fest aufeinanderbeiße um mich abzureagieren.
Sie ist es nicht wert, das ich meine Tarnung schon früher als nötig aufgebe.
Die Blonde, die mein Schweigen als eine Art Kapitulation aufzufassen scheint, lehnt sich wieder zurück und lockert ihren Griff mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen kaum merklich.
„Ich denke die Nachricht ist angekommen“, flötet sie, „ Sei doch so gut und grüß Njal von mir“, fügt sie mit einem überheblichen Grinsen hinzu und beendet somit unser Gespräch.
Anschließend entlässt sie meinen Hals gänzlich ihren Krallen, nimmt es sich jedoch nicht, mich vorher nach hinten zu stoßen.
Ich pralle hart mit dem Rücken gegen die Scheibe und mein Puls steigt erneut rapide an.
Nach ihrer kleinen Machtdemonstration zaubert sie seelenruhig einen Lippenstift aus ihrer Handtasche und legt mit einem letzten Blick auf ihr Spiegelbild neue Farbe.
Akkurat zieht sie kunstvoll ihre Lippenlinien nach.
Ich wende mich ebenfalls dem Glas zu und unsere Blicke kreuzen sich.
Für einen Augenblick verhaken sie sich ineinander, dann entgleiten ihr die Gesichtszüge und sie starrt sie mich wie paralysiert an.
Fassungslos blinzelt sie und versucht einen erneuten Blickkontakt herzustellen, doch ich habe mich bereits zur Seite abgewandt.
Ohne es zu wollen hatte sich meine wölfische Seite für einen Moment an die Oberfläche gekämpft und einen roten Glanz in meine Iris gebracht.
Einen verräterischen roten Glanz.
Ich beiße mir fest auf die Unterlippe und schmecke sofort den metallener Geschmack von Blut.
Vor lauter Frust füllen Tränen meine Augen, doch ich ringe sie und das Tier in mir nieder und wappne mich für einen erneuten Blickwechsel.
Ich errichte erneut meine Fassade und setze einen kühlen Ausdruck auf, ehe ich der anderen Werwölfin mehr als nur mein Seitenprofil zuwende.
Christin steht scheinbar immer noch unter Strom, denn ihr Blick ist wachsam und ihre Haltung angespannt.
Betont fragend ziehe ich eine Augenbraue nach oben und halte ihre giftgrünen Augen mit den meinen, nun wieder blaugrauen, gefangen.
Zweifel huschen sichtlich über ihre Züge und sie entspannt sich augenblicklich wieder.
Mein Glück muss grenzenlos sein, stelle ich innerlich jubelnd fest.
Ein letztes Mal runzelt die Blonde verwirrt die Stirn, ehe sie ihren Kopf schüttelt und ohne ein weiteres Wort zu verlieren davon rauscht.
Ich schaue ihrer hüftenschwingenden Gestalt noch so lange nach, bis sie aus meinem Sichtfeld verschwindet und gestatte es mir erst jetzt durchzuatmen.
Die Anspannung fällt von meinen Schultern, doch ein Teil meiner Angst bleibt zurück und zieht mich nach unten.
Was ist wenn sie mich doch durchschaut hat?
Wenn meine Tarnung jetzt auffliegt?
In meinem Kopf jagt ein Horrorszenario das nächste.
Kraftlos lasse ich mich erneut gegen die Wand in meinem Rücken sinken und kalter Schweiß überzieht in einem dünnen Film meine Haut.
Ich hatte mich bis jetzt so gut unter Kontrolle und dann verliere ich meine Beherrschung wegen ihr?
Frustriert unterdrücke ich einen Schrei.
Das Ganze erschien mir komplett ungerecht, doch wann in meinem Leben hatte das Schicksal schon mit fairen Karten gespielt?
Ein bitterer Geschmack sammelt sich in meinen Mund.
Meine einzige Hoffnung bestand nun darin, an die allseits gegenwärtige Arroganz von Christin zu glauben.
Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass ich jemals genau an diese Charaktereigenschaften von ihr appellieren würde.
Meiner Erwartung nach bestand nämlich die Chance, das sie mich für zu schwach und zu menschlich halten würde, um auch nur zu glauben, das ich mehr als das sein könnte.
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Saoirse
Werwolf♤ Als ich aus der Zelle durch die Tür in Richtung Freiheit ging, wusste ich, dass ich meine Verbitterung und meinen Hass zurücklassen musste, oder ich würde mein Leben lang gefangen bleiben. ~Nelson Mandela ...