Kapitel 36

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Auf meine Ansage hin folgt schweigen.

Siljans Miene ist wie immer versteinert und verrät nichts über seine momentane Gefühlslage.

Einmal mehr frage ich mich was er gerade denkt.

Diese Unberechenbarkeit macht mich unruhig und frustriert mich gleicher Maßen.

„Wenn es das ist, was du wirklich willst, dann werde ich dich nicht aufhalten“, antwortet mir der Blonde schließlich frostig.

Er tritt einen Schritt beiseite und räumt somit den Ausgang.

„Es steht dir frei mich und unsere Verbindung abzulehnen, allerdings verlierst du dabei einen Teil deiner Seele und zwar unumkehrbar für immer“, erklärt er weiterhin bedächtig.

Ich nehme einen tiefen Atemzug und versinke ein letztes Mal seine blauen Augen, ehe ich mich von ihnen losreiße und meinen Weg in die Freiheit fortsetzte.

Gerade als ich im Begriff bin die Tür zu durchqueren, wird mein Handgelenk von warmen Fingern umschlossen.

Am weiterlaufen gehindert halte ich in meiner Bewegung inne.

Im nächsten Augenblick werde ich auch schon schwungvoll herumgewirbelt und knalle gegen den Oberkörper meines Seelenverwandten.

Völlig desorientiert und überrumpelt will ich schon zum protestieren ansetzten als Siljan sich nach unten beugt und meine Worte mit seinen Lippen im Keim erstickt.

Ich brenne.

Die gesamte Hitze in meinem Körper sammelt sich konzentriert an der Hautstelle, an der sich unsere Münder berühren.

Die auf diesen Zentimetern herrschende Energie ist unglaublich intensiv.

Wolken bestehend aus Glückshormonen ballen sich zusammen und lassen einen neuen Stern entstehen.

Mein Universum erstrahlt in glänzendem golden Licht.

Meine Welt hört auf sich zu drehen und steht für einen Augenblick still.

In meinem Kopf ist nur Platz für ihn, ich versinke in einem Meer von Endorphinen und vergesse für den Augenblick zu atmen.

Der sonst so dringend benötigte Sauerstoff ist nebensächlich völlig geworden, immerhin ist er jetzt mein Lebenselixier.

Ich drohe den Boden unter meinen Füßen zu verlieren, aber der Blonde umschlingt mit seinem rechten Arm meine Taille und stützt mich so.

Automatisch lehne ich mich nach vorne, will gerade den Kuss erwidern, als er auch schon endet.

Siljan löst sich schwer atmend von mir und bringt ein paar Schritte Abstand zwischen uns.

Ich bleibe benommen an Ort und Stelle zurück.

Alles um mich herum dreht sich.

Obwohl die Dauer des Kusses kaum mehr als zwei Sekunden betragen haben konnte, erscheint es mir, als wäre eine Ewigkeit vergangen.

Meine Lippen fühlen sich nach seinem fluchtartigen Rückzug seltsam verloren und kalt an.

„Das war nur ein Bruchstück dessen, was du haben könntest“, stößt der Blonde schließlich keuchend hervor.

„Also überleg dir gut was du wirklich willst…“, beendet er seine Ansprache und wendet sich entschieden von mir ab.

Tränen schießen mir in die Augen und  lassen meine Sicht verschwimmen.

Überfordert mit der Vielzahl an Emotionen, die momentan in meinem Körper toben, folge ich einzig und alleine meinem Instinkt.

Ich mache auf dem Absatz kehrt und entfliehe seiner Nähe.

Wie immer kenne ich mein Heil nur in der Flucht.


Der Regen ist stärker geworden und peitscht mir sofort erbarmungslos ins Gesicht als ich das Haus verlasse.

Das kühle Nass ist wie Balsam für meine immernoch erhitzten Wangen.

Mit einem Satz springe ich die Treppenstufen herunter.

Meine Füße suchen auf dem matschigen Boden nach Halt, als ich den mittlerweile mehr als nur schlammigen Trampelpfad zurück zum Zentrum des Dorfes einschlage.

Anders als auf dem Hinweg, nehme ich mir keine Zeit um durch die Pfützen zu Tanzen.

In meiner blinden Hast strauchle und rutsche ich einige Male beinah aus, fange mich in letzter Sekunde aber immer wieder.

Innerhalb kürzester Zeit erreiche ich mein aktuelles Zuhause.

Die Tür des roten Holzhauses ist wie sonst auch nicht abgeschlossen.

Klatsch nass und verdreckt stolpere ich in den Flur und werfe lautstark die Tür hinter mir zu.

Meine Energie verlässt mich augenblicklich und völlig fertig sinke ich mit dem Rücken an dem glatten Holz entlang auf den Boden.

Es ist mir völlig egal das ich gerade wie der Inbegriff eines Häufchen Elends aussehen musste.

Meine Gedanken kreisen einzig und alleine um Siljan und um unseren Kuss.

Meinen aller ersten Kuss.

Er hatte ihn mir gestohlen.

Ohne vorher um Erlaubnis zu fragen, hatte er sich wie immer einfach genommen was er wollte, egal wie ich mich dabei fühlte und ob ich es überhaupt wollte.

Wie als wäre ich eine Puppe und nicht seine Seelenverwandte, spielte der Blonde mit mir, und das nur nach seinen Regeln.

Erneut übermannt mich eine Welle der Wut und bringt einen Schwall Tränen mit sich.

Ich hätte nicht wegrennen, sondern ihm meine Faust in das perfekte Gesicht schlagen sollen.

„Saoirse?“, Lin taucht angelockt von meinem leisen schniefen im Flur auf.

Überrumpelt von meinem Anblick hält sie in der Bewegung inne, ehe sie ihre Schritte vergrößert und zu mir eilt.

Natürlich errät sie sofort die Quelle meiner Aufgebrachtheit.

„Er ist so ein Trottel“, flucht die Brünette und lässt sich neben mir auf den Boden sinken.

Ohne zu zögern legt sie ihre Arme um mich und schenkt mir eine Trost spendende Umarmung.

Ihre Nähe beruhigt mich sofort und lässt mein Tränenfluss langsam versiegen.

Der charakteristische Duft der Norwegerin nach Lavendel und Honig steigt in meine Nase und umhüllt meine Sinne.

Meine Wut nimmt ab und mein Körper hört auf zu beben.

Ich lege meinen Kopf seitlich auf ihrer Schulter ab und atme durch, gewinne allmählich gänzlich meine Fassung wieder.

“Er ist furchtbar ungeschickt im Umgang mit dir“, übernimmt Linnea schließlich das reden.

Ein freudloses Lachen entweicht meinen immernoch brennenden Lippen.

Die Brünette wirft mir einen mitfühlenden Seitenblick zu, den ich gekonnt ignoriere.

Als sie schließlich weiter spricht, bemerke ich den Anflug eines Zögerns in ihrer Stimme.

„Ich weiß das es keine Entschuldigung für sein Verhalten gibt und ich will Siljan auch nicht in Schutz nehmen, immerhin ist er ein erwachsener Mann und muss für seine Handlungen selber gerade stehen, aber vielleicht…“, sie stockt kurz und scheint nach den richtigen Worten zu suchen.

„Vielleicht wird dir das, was ich dir jetzt erzählen werde, helfen seine Gründe zu verstehen..“, fügt die Brünette letztendlich abwesend hinzu.

SaoirseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt