Kapitel 39

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Am nächsten Morgen stehe ich noch vor der Sonne auf.

Routiniert schlurfe ich zunächst in das Badezimmer um mir dort meine Zähne zu putzen und meine Haare zu bändigen.

Anschließend schlüpfe ich in einen weichen, grauen Wollpullover und eine bequeme Mom Jeans.

Mein Blick fällt auf den dreckigen Krankenhauskittel, der gestern Abend lieblos von mir in der Ecke neben dem Wäschekorb abgeladen wurde. 

Seufzend stopfe ich ihn, zusammen mit einem Berg von Njals Klamotten, in die Waschmaschine, ehe ich in mein Zimmer zurückkehre.

Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen als ich mein Fenster öffne und frische Luft meinen Lungenflügel füllt.

Eine kühle Brise streichelt mein Gesicht und trägt den Geruch von Salzwasser zu mir.

Der Herbst hat hier in Norwegen Einzug gefunden und taucht die Blätter der Laubbäume in spektakuläre Gelb-, Orange- und Rottöne.

So früh am Tag wird der Fjord noch von Nebelschwaden überzogen, welche eine mystische Atmosphäre erschaffen.

Die umliegenden Häuser sind noch in Dunkelheit und Stille gehüllt und zerstören somit nicht die herrschende Idylle.

Ich nehme mir Zeit um diesen Frieden mit allen Sinnen auf mich wirken zu lassen, doch ganz will es mir nicht gelingen.

Mein Blick bleibt auf den Gebirgsmassiven auf der anderen Seite des Meeresarms ruhen und erneut kann ich nichts anders als Ehrfurcht bei diesem Anblick zu empfinden.

Einige der Gipfel sind mit Schnee bedeckt, was mich sehnsüchtig seufzen lässt.

Wie gerne wäre ich momentan dort oben.

Alleine könnte ich meiner wahren Natur freien Lauf lassen und mich abreagieren, einen klaren Kopf bekommen.

Meine wölfische Seite drängt sich immer mehr an die Oberfläche und lange werde ich sie nicht mehr zurückhalten können.

Der nächste Vollmond stand in der heutigen Nacht bevor und versetzt meinen gesamten Körper alleine nur bei dem Gedanken daran in Euphorie.

Ein Kribbeln jagt meine Wirbelsäule hinauf und instinktiv weiß ich, dass ich keine andere Wahl habe.

Um die Kontrolle beizubehalten, würde ich mich noch vor dem Mondaufgang in einen Wolf verwandeln müssen.

Abrupt stoße ich das Fenster wieder zu und schließe meine Augen für einen Moment.

Die Situation war mehr als nur kompliziert, denn auch wenn ich sie nicht sah, so wusste ich dennoch, das ich Schatten hatte und somit unter ständiger Beobachtung stand.

Ratlos tigere ich durch den Raum, aber die rettende Idee bleibt aus.

Resigniert verlasse ich mein Zimmer und flitze die Treppe hinunter.

Bereits im Wohnbereich empfängt mich der köstliche Geruch nach gebratenen Pancakes.

Lin ist ebenfalls schon munter und steht noch im rotkarierten Schlafanzug am Herd.

„God morgen“, begrüßt mich die Brünette gutgelaunt und hält mir einen Teller mit den kleinen Pfannkuchen unter die Nase, „Hast du gut geschlafen?“.

Ich erwidere ihr Lächeln prompt und nehme dankend ihre Gabe entgegen, ehe ich ihr antworte, „Nicht wirklich, ich bin aufgewacht und konnte nicht weiter schlafen, also bin ich in die Küche und habe dort Njal getroffen. Wir haben uns kurz unterhalten.“

SaoirseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt