Nach meinem kleinen Lauschangriff habe ich mich wieder in mein Zimmer zurückgezogen und bin dort auch bis zur Abenddämmerung geblieben.Die breite Fensterbank war erstaunlich bequem und lud mich förmlich dazu ein, mich dort in eine Decke gewickelt niederzulassen. Ich habe also Stunden einfach nur damit verbracht bei offenem Fenster die Seele baumeln zu lassen.
Eine leichte Brise die mir den Geruch des Salzigen Fjordwassers zu trägt, hilft mir den Kopf frei zu kriegen. Ich hätte eine weitere Ewigkeit alleine damit verbringen können meinen Blick über die kleine Siedlung unter mir wandern zu lassen, die ich bei unserer Ankunft nur flüchtig aus der Ferne betrachten konnte.
Sie besteht wie angenommen aus einer Vielzahl von Holzhütten, die allesamt rotgestrichen zu sein scheinen. Einzig und alleine die Fensterrahmen und manche Türen haben einen weißen Anstrich erhalten und auch die begrünten Torfdächer entsprechen nicht dem Farbschema.
Tatsächlich befinden sich sämtliche Häuser auf mehreren Metern hohen, massiven Holzstützeln. Vermutlich sollen
diese vor Überschwemmungnen schützen, da die Siedlung doch sehr nah am Wasser erbaut wurde.Einige Häuser befinden sich sogar halb im Wasser und die Wellen der Brandung umspielen den unteren Teil der Stelzen. Ich stelle es mir schön vor auf der Veranda zu sitzen und nur einen Sprung von dem kühlenden Nass des Fjordes unter mir entfernt zu sein.
Tatsächlich raubt mir die Schönheit und Idylle dieses in einer Bucht gelegenen Ortes buchstäblich den Atem. Niemals hätte ich es für möglich gehalten das diese mit viel Liebe zum Detail erbaute Siedlung wirklich das Zuhause des angeblich so grausamen Nordpacks sein soll.
Der himmlische Duft nach in Knoblauch angebratenen Lachs reißt mich schließlich aus meinen Gedanken und lässt mir das Wasser im Mund zusammen laufen.
Mein Magen meldet sich ebenfalls und weißt mich dazu an in das untere Stockwerk zu gehen um meinen Hunger zu stillen. Seinem Befehl folgeleistend mache ich mich also auf den Weg in die Küche und werfe im vorbei laufen meine kuschlige Wolldecke auf das mit vielen Kissen dekorierte Bett.
Als ich nach unten komme ist der Tisch schon fertig eingedeckt und auch Njal lümmelt sich schon auf einem der gepolsterten Stühle in der Nähe der Küche . Ich werfe ihm einen flüchtigen Blick zu, welchen er aus seinen undurchschaubaren und vor allem durchdringenden eisblauen Augen erwidert.Mit einem Schlag überzieht mich eine Gänsehaut und ich drehe schnell den Kopf zur Seite um unseren Blickkontakt wieder zu unterbrechen. Diese Art und Weise wie er mich ansieht beunruhigt mich. Es ist fast so, als wüsste er über mich und meine wahres Wesen Bescheid, doch das ist unmöglich.
Zum Glück bin ich morgen schon wieder weg, schießt es mir durch den Kopf. Tatsächlich bin ich der festen Überzeugung das Njal, anders als seine Schwester, in der Lage wäre meine Lügen zu durchschauen.
Meine Nervosität überspielend streiche ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wende mich anschließend zögerlich wieder Njal zu, dessen Blick immer noch an mir haftet. „ Lin hat mir erzählt du würdest mich morgen an die Grenze des Reservates fahren?“, frage ich und kann einen Skeptischen Unterton nicht unterdrücken. Immerhin wirkte der Brünette bis jetzt nicht sonderlich erpicht darauf mit mir Zeit zu verbringen.
„Du kannst auch gerne Laufen, wenn du scharf drauf bist“ , entgegnet er mir trocken und kneift die Augen leicht zusammen. „Andernfalls stimmt es aber, das ich mich als Chauffeur angeboten habe“, fügt er hinzu.
Ich muss den Drang unterdrücken die Augen zu verdrehen und nicke ihm nur leicht zu. „Danke“. Auch wenn er bis jetzt nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen ist und er mich vermutlich nur fährt um sicher zu sein, das ich auch wirklich endlich weg bin, empfinde ich Dankbarkeit.
Und nicht nur dafür, ich empfinde sie vor allem für Linnea. Dieses Mädchen hat so viel für mich gemacht und das obwohl ich anfangs eine völlig Fremde für sie war.
Eine Welle der Traurigkeit überrollt mich und reißt mich mit, ich werde der Gespräche mit der brünetten Ärztin wirklich vermissen.
In der kurzen Zeit, in der ich hier bin ist sie mir zu seiner Art Stütze geworden und außerdem empfinde ich ein wachsendes Freundschaftsgefühl für sie.Ein Gefühl das bisher nur Arn und mich verbindet. Arn, ich habe ihm gar nicht seit meiner Flucht von Zuhause geschrieben und sicher ist er schon Aufgebracht vor lauter Sorge.
Normalerweise schreiben wir nämlich täglich und das nicht wenig. Das Bild des Blonden Jungen, der das breiteste Lächeln der Welt besitzt taucht ihn meinen Gedanken auf und sucht sie heim.
Schmerzlich wird mir bewusst, wie sehr ich ihn jetzt schon vermisse. Natürlich wusste er von meinem Plan, irgendwann von Zuhause abzuhauen, ja verdammt er wollte sogar mit mir kommen.
Dummerweise ist daraus aufgrund meiner impulsiven Art nichts geworden und ich kann unmöglich jetzt nochmal nach Hause zurück um ihn zu holen. Aber vielleicht muss ich das auch gar nicht.
Sobald ich das Reservat verlassen habe, werde ich ihn von der nächsten Telefonzelle aus anrufen. Zusammen können wir dann neu anfangen, weit weg von hier.
Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, ohne das ich es bemerke. „Er muss echt toll sein wenn er dich mit der Sonne um die Wette strahlen lässt“, Lin umrundet mich, beladen mit zwei Pfannen voller wohlduftenden Fisch und wirft mir ein keckes Lächeln zu.
Schmunzelnd schüttle ich den Kopf über sie „ er ist der Beste, das stimmt… aber es ist nicht so wie du denkst.. er ist mein bester Freund und ich vermisse ihn.“ ,erwidere ich und nehme ihr eine der Pfannen ab.
Zusammen setzen wir uns an den Tisch. „Wohnt er auch in Oslo?“, erkundigt sich die Brünette weiter. „Er wohnt sogar nur zwei Häuser neben mir.“, entgegne ich ausweichend mit einem Seitenblick auf Njal und bleibe damit sogar bei der Wahrheit. In seiner Gegenwart will ich vermeiden zu lügen.
„Oh, das ist toll“, stellt Lin erstaunt fest, ehe sie die Pfanne mit dem Fisch in meine Richtung schiebt. „Den musst du unbedingt probieren, Njal hat ihn heute früh frisch im Fjord gefangen und vom Geschmack her ist er einfach himmlisch.“, empfiehlt sie mir.
Dankend häufe ich mir eine Portion auf den Teller und nehme noch etwas in Butter angebratenes Gemüse dazu. Nachdem alle ihre Teller gefüllt haben, fangen wir gemeinschaftlich an zu essen und eine Stille legt sich über uns. Wärend ich jeden einzelnen Bissen von der Köstlichkeit vor mir genieße, versinke ich erneut in Gedanken.
Früher habe ich jedes Essen zusammen mit meiner Familie eingenommen, doch nach und nach zog ich mich auch dafür in mein Zimmer zurück und es wurde eine Seltenheit mich während einer Mahlzeit zu Gesicht zu bekommen.
Das lag vor allem daran, dass ich den Smalltalk meiner Familie nicht mehr aushielt. Während ich nichts aufregendes zu erzählen hatte, da jeder Tag von der selben Eintönigkeit geprägt war, plauderten meine Eltern ausgelassen über ihre Erlebnisse und fragten meinen Bruder nach den seinen.
Und natürlich hatte auch er ihnen viel zu erzählen, schließlich ging er in die Schule, traf sich regelmäßig mit seinen Freunden und nahm auch ansonsten an vielen Freizeitaktivitäten teil.
Das alles waren jedoch Dinge, die ich nicht hatte und jedes einzelne Wort aus seinem Mund, das die Normalität seines Lebens beschrieb, war für mich ein Stich ins Herz und ein Entfacher meiner stillen Wut.
Die Reaktion darauf war mein Rückzug, doch auch für dieses Zeichen schien meine Familie blind zu sein. Wenn der Tagesinhalt nur daraus besteht, alleine in seinem Zimmer zu sitzen, aus dem Fenster zu schauen und zu lesen, lernt man schnell die Dinge nur mit sich selbst auszumachen.
Wo ich früher noch mit dem Vandalismus meines Zimmers meine Wut ausdrückte, zeugte später nur noch mein Schweigen davon.
Mein Leiden schien für meine Familie nicht greifbar, aber wie soll man auch etwas verstehen und beurteilen können, wenn man es noch nie gefühlt oder getan hat? Aus diesem Grund war ich alleine einsam in meiner Einsamkeit.
Nur mit Arn und in meinen Träumen nicht.
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Saoirse
Werewolf♤ Als ich aus der Zelle durch die Tür in Richtung Freiheit ging, wusste ich, dass ich meine Verbitterung und meinen Hass zurücklassen musste, oder ich würde mein Leben lang gefangen bleiben. ~Nelson Mandela ...