Kapitel 43

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Njals Augenbrauen wandern vor lauter Überraschung für einen kurzen Moment nach oben, scheinbar hatte er nicht mit solch einer Entgegnung meinerseits gerechnet.

Allerdings fängt er sich nur Sekunden später wieder und seine Miene wechselt von verblüfft zu klassisch-arrogant.

„Überraschung ich bin auch ein Werwolf“, antwortet mir der Brünette betont gelangweilt.

Ich lege leicht meinen Kopf schief und mustere ihn nur schweigend.

Unter meinem bohrenden Blick wird ihm sichtlich unwohl, denn er verschränkt abwehrend seine Arme vor der Brust.

„Da hast du Recht. Du bist ein Werwolf, mit allem, was dazu gehört.“, entgegne ich schließlich bedächtig.

„Weißt du ich finde es komisch, dass du gerade auf dem Weg zu Christin warst. Was wolltest du denn noch so spät in der Nacht von ihr?“, erkundige ich mich gespielt unschuldig.

„Was soll die Frage? Ich denke wir wissen beide, was ich bei ihr mache, auch wenn es dich theoretisch einen feuchten Dreck angeht“, knurrt Njal verblüfft und scheint nicht recht zu wissen, was ich von ihm will.

„Da muss ich aber eine andere Vorstellung im Kopf haben als du, denn andererseits würdest du gegen eines der wohl grundlegendsten Gesetze des Rudels verstoßen.“, führe ich meine Überlegung laut fort und muss ein Grinsen unterdrücken.

So schlecht die Situation auch angefangen hat, ich hätte mir keinen besser geeigneten Werwolf als Njal  wünschen können, um mein Geheimnis zu lüften, denn ich bin nicht die einzige, die ein Geheimnis mit sich herum trägt.

„Worauf willst du hinaus?“, zischt mein Gegenüber plötzlich verunsichert und kneift leicht die Augen zusammen.

„Ich will darauf hinaus, dass ich es komisch finde, dass du eine Partnerin hast, auch wenn es theoretisch einem jeden Werwolf untersagt ist, einen anderen Partner als seinen Seelenverwandten zu haben, sobald man diesen gefunden hat“, erwidere ich gelassen und habe schon fast Mitleid mit dem Brünetten, als ich die Erkenntnis in seinen Augen aufflammen sehe.

Njal öffnet den Mund, nur um ihn im nächsten Moment wieder zu schließen.

Sein Herzschlag ist erhöht und setzt teilweise sogar abrupt aus, als er gegen die Wand hinter ihm taumelt.

Zu wissen, dass ich sein Geheimnis kenne, wirft ihn völlig aus der Bahn.

„Ich weiß nicht, wovon du redest“, entgegnet er mir schließlich genauso lahm, wie ich es zuvor auch schon probiert hatte.

„Es muss schockierend für dich gewesen sein, als du es heraus gefunden hast“, stelle ich mitfühlend fest.

Ich habe noch genau den Moment vor Augen, in dem ich Siljan, meinen Seelenverwandten, zum ersten Mal begegnet war.

Auf die Person zu treffen, die einem durch das Schicksal vorherbestimmt ist und zu wissen, dass man rein gar nichts gegen diese Entscheidung machen kann, gehört wohl zu einem der schlimmsten Gefühle auf der Welt.

Zu wissen, dass man von nun an abhängig von dem anderen ist und das eigene Herz und Leben in seinen Händen liegt.

Diese Hilflosigkeit, die man dabei empfindet, lässt sich kaum in Worte fassen.

Njals Kehlkopf hüpft auf und ab, als er schwer schluckt.

Von dem sonst so selbstbewussten Beta fehlt in dem Moment jede Spur.

Diese neue, verletzliche Seite von ihm ist mir völlig fremd und nimmt mit mein Hochgefühl.

„Wie hast du es herausgefunden? Hat..“, die Stimme des Norwegers ist rau und er räuspert sich.

„Ja er hat es mir erzählt“, beantworte ich seine Frage verlegen.

Mit einem Mal kommt mir das Ganze ziemlich intim vor.

„Und um ehrlich zu sein, ich hätte niemals damit gerechnet, weder dass du noch er…“, ich stocke und lasse meinen Satz unvollständig zwischen uns hängen.

„Ich bin nicht schwul“, entgegnet mir der Brünette abrupt und lässt den Kopf in den Nacken fallen, ehe er ein hysterisches Lachen ausstößt.

„Weißt du wie oft ich diesen Satz wiederholt habe? Er ist zu meinem verdammtes Mantra geworden.“, spuckt er bitter aus.

„Ich dachte wirklich, dass er wenn ich ihn nur oft genug laut ausspreche, zur Realität wird. Ich dachte, dass ich diese Stimme in meinem Kopf mit der Zeit leiser wird, verdammt seitdem ich ihm begegnet bin, ist sie noch lauter geworden“, gesteht mir der Brünette aufgewühlt.

Er vergräbt seine langen schlanken Finger in seinen Haaren und zieht heftig daran um seine Verzweiflung zum Ausdruck zubringen.

„Wie kann ich genau das sein, was ich all die Jahre nur verächtlich belächelt habe?“, stößt er wütend hervor.

„Was habe ich getan, dass mich das Schicksal derartig bestraft?! Ich habe nicht mal Ansprüche an meine Seelenverwandten gehabt, außer die Tatsache, dass er weiblich und nicht männlich ist, verdammt eigentlich kam ich nicht mal auf den Gedanken, er könnte männlich sein.“, brüllt Njal und sein ganzer Körper bebt vor Wut.

„Und dann komme ich in das Krankenzimmer und finde den anderen Teil meiner Seele in einem blonden Typen, mit einem lächerlich breiten Grinsen wieder“, fasst mein Gegenüber verstört zusammen.

„Und als wäre es nicht schon genug, dass er einen Schwanz zwischen den Beinen hat, ist mein Seelenverwandte auch noch ein verfickter Spion aus einem Rudel, mit dem wir praktisch im Krieg sind.“, verzweifelt der Brünette weiter und lässt sich an der Wand runterrutschten.

Er bleibt zusammengesunken auf dem Boden sitzen, ehe plötzlich erneut anfängt  anfallartig hysterisch zu Lachen.

„Das kann nur ein Traum sein, nein es muss einfach ein Albtraum sein“, bringt er japsend heraus und starrt mich aus tränenden, gelbleuchtenden Augen an.

Sprachlos kann ich nur da stehen und seinen Blick erwidern.

Als Arn mir seine Sexualität gestanden hatte, war er das genaue Gegenteil seines Seelenverwandten gewesen.

Gelassen hatte er meine grundlegendsten Annahmen, er würde sich zum anderen Geschlecht hingezogen fühlen, als falsch deklariert und mir erörtert, er wäre der Seelenverwandte des Betas des Nordrudels, weswegen sein vorerstes Überleben gesichert ist.

Dieses Geständnis hatte mich ebenso überrascht, wie es mich mit Freude und Wut erfüllt hatte.

Der Zorn hatte sich gegen mich selbst gerichtet.

Gegen die Tatsache, dass ich zu blind gewesen war, um das wahre Wesen meines besten Freundes früher zu erkennen.

Die plötzlich auftretende Stille reißt mich aus meinen Gedanken und lässt mich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann zu meinen Füßen richten.

Njal scheint seinen Lachkrampf überwunden zu haben, denn er starrt nur nachdenklich vor sich auf den Boden.

„Ich hasse diesen anderen Teil von mir, aber gleichzeitig weiß ich, dass ich ohne ihn nicht leben kann“, durchbricht der Brünette schließlich die Stille.

Ein müdes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, als ich mich neben Njal auf den Boden sinken lasse und vorsichtig einen Arm auf seiner Schulter ablege.

Auf eine andere Art und Weise kann ich seine Worte komplett nachvollziehen.

Und so bleiben wir Seite an Seite bis zum Morgengrauen sitzen und treffen ein stilles Einverständnis.

SaoirseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt