Kapitel 33

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Mit angehaltenem Atem betrete ich hinter Siljan den kleinen, aber lichtdurchfluteten Raum.

Indessen Mitte thront ein breiter Schreibtisch aus Ebenholz, an welchen von beiden Seiten jeweils ein schwarzer Ledersessel herangerückt ist.

Wie auch im Wohnzimmer ist die Rückwand des Büros komplett verglast und lässt dadurch einen spektakulären Ausblick auf den Fjord zu.

Ich genieße für einen Moment diesen majestätischen Eindruck, ehe ich meine Aufmerksamkeit wieder auf den Mann vor mir richte.

Siljan hat sich in der Zwischenzeit den Sessel hinter dem Schreibtisch zurückgezogen und  ist gerade im Begriff sich zu setzen.

Mir bedeutet er mit einer Geste, es ihm gleich zu tun.

Sofort überkommt mich das Gefühl ich würde mich bei einem Vorstellungsgespräch oder einem anderweitig geschäftlichen Meeting befinden.

Stirnrunzelnd überlege ich erst seine Aufforderung zu ignorieren und stehen zu blieben, entscheide mich aber letztendlich aufgrund meiner aufkommenden Erschöpfung dagegen und komme ihr nach.

Der Sessel ist mehr als nur bequem und geschafft von dem Tag lasse ich mich darin versinken.

Der Blonde mir gegenüber verfolgt mich nachdenklich mit seinen Blicken und räuspert sich schließlich, „Benötigst du Wechselklamotten?“.

Seine Frage klingt zögerlich, jedoch bin ich darüber so überrascht , dass mir für kurze Zeit die Worte fehlen.

„Ich ehm..nein ich denke nicht, die trocknen schon wieder“, schaffe ich es verblüfft abzulehnen.

Siljan nimmt meine Antwort mit einem knappen Nicken zu Kenntnis.

Er selbst scheint es ebenfalls nicht für nötig zu erachten, sich etwas anderes als das völlig durchweichte T-shirt überzuziehen und missmutig ertappe ich meine Augen dabei, wie sie länger als sie sollten auf den sich abzeichnenden Konturen seiner Bauchmuskeln verharren.

Hitze breitet sich in meinen Wangen aus, ob vor Verlegenheit oder Zorn auf mich selbst kann ich schwer beurteilen.

Ich bilde mir ein das Zucken von Siljans Mundwinkeln im Augenwinkel zu sehen, was mich ein plötzliches Interesse an dem Tisch vor mir entwickeln lässt.

„Du fragst dich bestimmt, warum ich dich sehen wollte“, fährt Siljan nach einer kurzen Pause fort und verschränkt die Arme vor dem Oberkörper.

Ich nicke zur Bestätigung mit meinem Kopf, ehe ich seine Bewegung spiegle und ebenfalls die Arme vor der Brust kreuze.

Mehr als diese Bewegung scheint der Blonde als Bestätigung nicht zu brauchen, denn er erhebt erneut das Wort, „Zum einen wollte ich dich auf den Gesundheitszustand des Schwerverletzten ansprechen, mir wurde zugetragen, dass du ihn besonders intensiv betreuen würdest?“.

Meine Sinne schärfen sich augenblicklich als Siljan das Gesprächsthema auf Arn lenkt.

Außerdem war mir nicht der Anflug von Kälte in seiner Stimme entgangen, der beim letzten Teil seines Satzes mitgeschwang.

Er ist doch nicht etwa eifersüchtig?

Nein, das konnte nicht sein, immerhin schien er den Gedanken mich, einen vermeintlichen Menschen, als seine Seelenverwandte zu haben, nicht mehr als ziemlich abstoßend zu empfinden.

Betont unschuldig schlage ich meine Augen auf und blinzle ihn an.

„ Der Patient scheint im Moment stabil zu sein, jedoch ist er noch nicht ansprechbar“, stelle ich möglichst sachlich fest.

„Die Wunden waren tiefer als erwartet und der Blutverlust dadurch umso höher, so etwas schlimmes habe ich noch nie gesehen“, spiele ich das Spiel weiter.

„Ist mittlerweile schon geklärt, wodurch er so schlimm zugerichtet wurde?“, harke ich nach und reiße meine Augen betont schockiert etwas weiter auf.

Siljan starrt mich für einen Moment mit einem ausdruckslosen Blick an und ich befürchte schon, diesmal etwas zu dick in meiner Rolle des unschuldigen Lamms aufgetragen zu haben, doch schließlich knurrt er nur leise.

„Ich dachte schon du fragst nie und ich verpasse die Gelegenheit in den Genuss zu kommen, dich aufzuklären“, brummt er.

„Der Patient ist ein Paradebeispiel dafür, was mit dir passieren würde, wenn du versuchen würdest abzuhauen“, erklärt er mir ohne einen Anflug von Emotion in der Stimme,
„Nur mit dem Unterschied, dass du vermutlich nicht mit dem Leben davon kommen würdest".

Seine Drohung lässt meine eh schon aufgeregte wölfische Seite zu neuem Leben erwachen und ich muss sie erneut mühsam in Ketten legen, um ihren Ausbruch zu verhindern.

In seiner Anwesenheit bin ich nicht mehr als eine tickende Zeitbombe, bereit jede Sekunde hoch zu gehen.

„Also um deine Frage zu beantworten, er hatte es verdient und wurde durch die Krallen von meinen Werwölfen so zugerichtet, aber ich hoffe du fühlst dich immer noch geborgen in unserer Mitte.“

Die Art und Weise mit der mir Siljan diese Worte an den Kopf wirft, zeugt schon fast von Verhöhnung.

Tränen der Wut schießen mir in die Augen.

Es ist mein bester Freund über den er hier spricht, der um sein Leben kämpfen musste und kein Demonstrationsobjekt für die Grausamkeiten des Westruddels.

Arn hatte es alles andere als verdient.

Er kam um mich zu retten.

Die Freude und die Ausgelassenheit, von denen mein Körper noch vor Minuten eingenommen war, sind von dem aufziehenden Sturm in meinem Inneren fortgetragen worden.

„Warum?“, meine Stimme klingt wesentlich ruhiger als ich erwartet hätte. 

„Er gehört dem mit uns verfeindeten Rudel an, eigentlich wäre das schon Grund genug, allerdings hat er noch die Grenze zu unserem Gebiet überschritten, vermutlich war er ein Spion oder einfach nur lebensmüde“, erklärt mir Siljan langsam und zuckt unbeteiligt mit den Schultern.

Von meinem Gefühlsumschwung bemerkt er nichts.

„Aber egal, genug von ihm er ist nicht weiter relevant“, wechselt der Blonde unvermittelt das Thema.

„Der eigentliche Grund dafür, dass ich dich hier her bestellt habe, ist jener; ich muss mit dir über uns sprechen“.

Mir entgeht nicht, das ihm das Wort „uns“ kaum und schließlich nur voller Abscheu über die Lippen kommt.

Augenblicklich verkrampft sich mein Herz in meiner Brust.

„Ich weiß das Lin dich über die Spezies der Lykantropen aufgeklärt hat, allerdings hat sie einen entscheidenden Punkt ausgelassen“, holt Siljan aus und hält meinen Blick mit dem seinen gefangen.

„Es gibt eine fundamentale kosmische Symmetrie auf subatomarer Ebene. Mit anderen Worten, alles hat ein Gegenstück. Selbst die Materie an sich findet ihr Pendant in der Antimaterie. Um die Balance, das Gleichgewicht auf der Erde, herzustellen muss die Natur einen Kraftausgleich schaffen. Nach diesem Prinzip existieren Yin und Yan, jedoch immer nur zusammen und nie einzeln. Fehlt eines beiden der Gegenstücke, so ist das andere nicht komplett und die zwischen ihnen geflossene Energie geht verloren. Für immer. Dieses Naturgesetz können wir nun auf uns übertragen, denn lange Rede, kurzer Sinn, deine Seele ist unveränderbar das Gegenstück zu der meinen.“

SaoirseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt