In einem übergroßen Sweater und mit einer verwaschenen Jogginghose bekleidet, schlendere ich die Treppe hinunter, ehe sich meine Mutter noch die Seele aus dem Leib geschrien hat.
Mein noch feuchtes Haar fällt über meine Schultern und durchweicht den Stoff, mit welchem es in Berührung kommt.
Heute scheint es Nudeln mit Lachssoße zu geben, was ich anhand des charakteristischen Geruches festmachen kann, ein Standartgericht bei uns.
Ich biege um die Ecke und passiere anschließend das helle und offengehaltene Wohnzimmer, ehe sich vor mir unser Essbereich eröffnet.
Mein Bruder hat sich schon auf die Küchenbank gefläzt und tippt auf seinem Smartphone herum, welches er unter dem Tisch vor den wachsamen Blicken unserer Eltern versteckt.
Am Tisch herrscht bei uns nämlich ein striktes Handyverbot und da verstehen sie auch kein Pardon, nicht mal bei ihrem Goldjungen.
Grundsätzlich mache ich relativ viel Gebrauch von meinem Handy, da es fast die einzige Möglichkeit ist mit meinem Kindheits-und gleichzeitig auch besten Freund, Arn Andersen, kommunizieren zu können.
Er ist meine einzige Bezugs-und Vertrauensperson, seitdem ich ihm vor Zehn Jahren Wort wörtlich aus heiterem Himmel vor die Füße gefallen bin.
Damals war ich zum ersten Mal aus meinem Zimmer geklettert und wollte über die standhafte Birke, welche noch Heute direkt neben unserer Hütte wächst, auf den Boden gelangen.
Dumm nur das der Ast, welchen ich mir als Fluchtweg erwählt hatte, morsch war.
Mit einem Knacken seinerseits und einem Schrei meinerseits waren wir beide gen Erdboden gesegelt. Glücklicherweise war mein Sturz aber von einem neugierigen Wolfsjungen gedämpft wurden, welcher von den Geräuschen angelockt worden war.
Einen verstauchten Arm und eine geprellte Rippe später hatte ich meinen neuen und auch einzigen Freund, Arn, gefunden.
Meinen Eltern missfiel das Ganze natürlich aber ich hatte so lange gebettelt bis sie widerwillig zugestimmt hatten.
Stur war ich schon immer gewesen und unnachgiebig erst recht.
Laut meiner Mutter lag das an meinen roten Haaren, die das Feuer förmlich in sich trugen.
Mit ihnen war ich ein Exot in Mitten meiner restlichen Familie, die alle mit einer blonden Haarpracht gesegnet wurden. Und auch meine stürmischen blau-grauen Augen hoben sich von den restlichen braunen ab.
Der Grund für meine spezielle Haarfarbe war die Mutter meines Vaters, denn schließlich wurden in seiner Erblinie alle Frauen mit einer roten Haarpracht gezeichnet, ein ziemlich eindeutiges Erkennungszeichen wenn man so will.
Ansonsten war ich jedoch ähnlich dem Rest meiner Familie groß und sportlich gebaut.
Sobald ich die Küche betrete verstummen meine Eltern, welche bis eben noch angeregt diskutiert haben und durchbohren mich mit ihren Blicken.
Während der meines Vaters wie immer Enttäuschung ausdrückt, sprühen die braunen Augen meiner Mutter nur so Zorn und Angst.
Ich straffe meine Schultern, recke mein Kinn in die Luft und begebe mich ebenfalls ohne ein Wort zu sagen auf meinen Platz.
Diese entstandene Stille ist nur die Ruhe vor dem Sturm, das ist mir jetzt schon bewusst.
Mein Bruder schiebt sich das Handy langsam in die Tasche seiner Jeans, während er mich ebenfalls stumm mustert. Trotzig verschränke ich meine Arme vor der Brust und wappne mich innerlich schon vor der Schimpftirade meiner Mutter.
„Saoirse, ich weiß nicht was wir noch machen sollen, das war das dritte Mal in diesem Mond an dem du dich ohne etwas zu sagen aus dem Haus geschlichen hast … “ , ihr Tonfall ist leise und beherrscht, für meinen Geschmack etwas zu beherrscht.
„ Ich müsste mich nicht hinaus schleichen, wenn ihr aufhören würdet mich wie eine Gefangene zu behandeln“, zische ich sofort zurück
„ Ich bin kein Kind mehr, im Gegenteil ! Ich bin alt genug um mein Leben selber in die Hand zu nehmen“ ,stoße ich wütend aus.
“ Ihr könnt mich nicht mehr von der Außenwelt abschirmen, mich weiter isolieren und hoffen das ich ewig in dem ach so sicheren Kokon bleibe den ihr schon seit meiner Geburt um mich gesponnen habt…“, ich spüre förmlich wie das Blut in mir zu kochen beginnt, Hitze durch meinen Körper wallt und meine Sicht anfängt zu verschwimmen, alles Anzeichen davon meine Verwandlung kurz bevor steht.
„ Wir wollen nur das beste für d…“, beginnt meine Mutter, doch ich unterbreche sie harsch.
„ Nein das kannst du dir sparen, hör auf MIR und vor allem DIR selbst einreden zu wollen es sei das Beste für mich“ ,
spucke ich schon fast aus, „es kann nicht das Beste sein, seinem Kind jegliche Freiheiten zu nehmen, ICH HASSE ES“.Die letzten Worte verlassen schon fast schreiend meine Kehle, aber ich bin noch nicht fertig.
„ Seit meiner Geburt habe ich kaum Kontakt zu anderen Menschen außer euch, ich habe lediglich einen Freund und das wäre auch nicht so wenn es nach euch ginge, dabei sind es Wölfe gewohnt im Rudel zu leben… wisst ihr überhaupt was ihr mir und Skady damit angetan habt und immer noch antut?!“
Meine Augen füllen sich mit Tränen und wie durch einen Schleier blicke ich in das betroffene Gesicht meiner Mutter.
„ Und wenn ich mich aus dem Haus stehle um im Wald spazieren zu gehen, welchen ich ansonsten nur hinter dem Plexiglas meines Fenster sehe, muss ich mir anhören was ich euch damit angetan habe, welche Angst ich euch mit meinem Verschwinden bereitet habe, wie egoistisch seid ihr eigentlich?!“ .
Die Worte hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack in meinem Mund doch es ist mir egal, meine Haare peitschen durch die Luft als ich herum wirble und durch den Flur stürme.
Das massive Eichenholz unserer Haustür zersplittert als ich mich dagegen werfe um aus diesem Haus zu entkommen, um meinem Käfig und meiner Familie zu entfliehen, um endlich frei zu sein.
Ohne auch nur einen letzten Blick zurück zu werfen, spüre ich wie meine Knochen sich verschieben und brechen, mir Fell aus der Haut sprießt und meine Zähne aus dem Kiefer zu prasseln, nur um durch scharfe Reiszähne ersetzt zu werden, bis meine wölfische Seite nun komplett die Kontrolle über meinen Körper übernimmt und ich in die Tiefen des Waldes eintauche.
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Saoirse
Lobisomem♤ Als ich aus der Zelle durch die Tür in Richtung Freiheit ging, wusste ich, dass ich meine Verbitterung und meinen Hass zurücklassen musste, oder ich würde mein Leben lang gefangen bleiben. ~Nelson Mandela ...