Kapitel 23

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Mit vor dem Oberkörper verschränkten Armen sitze ich zurückgelehnt auf meinen Stuhl.

Zusammen mit Njal, der in einer ähnlichen Pose mir gegenüber verharrt, lausche ich schweigend dessen Zwillingsschwester.

Schon seit gut einer Dreiviertelstunde gibt Lin mir nämlich Unterricht über die Kreaturen der Nacht, also uns Werwölfe.

Das das alles natürlich völlig sinnlos ist, da es nichts neues für mich ist, weiß sie natürlich nicht.

Wie ein geborener Schauspieler verharre ich also in meiner Rolle, der des Wolfs im Menschenpelz, und lasse die Prozedur über mich ergehen.

Dabei übe ich mich von Zeit zu Zeit in fassungslosen Grimassen und stoße Laute des Unglaubens aus, schließlich wurde ja gerade mein Weltbild bis in seine Grundfesten zerstört.

Von meinem gespielten Unglauben angestachelt beteuert Lin eifrig, das das eben gesagte wohl eins der behütetsten Geheimnisse der Weltgeschichte ist.

Die Koexistenz der Werwölfe im Schatten der menschlichen Gesellschaft.

„…Und das ist letztendlich auch der Grund weswegen wir dich einsperren mussten. Zu unserem Schutz, aber auch zum Schutz der Menschheit. Ich kann mir nicht einmal vorstellen, was passieren würde wenn das Wissen über unsere Existenz in die Hände der normalen Bevölkerung fallen würde…“, mit diesen Worten beendet die zierliche Brünette atemlos ihren umfangreichen Vortrag und mustert mich anschließend nahezu ängstlich.

Die Panik darüber, wie ich zu dem eben gesagten reagieren könnte, steht ihr deutlich ins Gesicht geschrieben.

Entgegen ihrer Erwartung habe ich mich allerdings dazu entschieden nicht die ohnmächtig werdende Prinzessin zu mimen.

„Cool, also seid ihr eine Art mutierte Supermenschen, die bei sich bei Vollmond in Wölfe verwandeln um den Mond anzuheulen?“, antworte ich schlicht und fasse damit die Kernaussage ihrer Rede zusammen.

Daraufhin ist es Lins Unterkiefer der vor Überraschung nach unten klappt.

Ihr Zwillingsbruder hingegen brummt nur dumpf, „ Super, sie denkt wir wären ein Fall für die Klapse…“.

Mit erhobener Augenbraue wende ich mein Angesicht dem pessimistischen Norweger zu und erwidere daraufhin mit leicht schief gelegtem Kopf, „ Unter Anbetracht dessen, das ich eine Verwandlung mit eigenen Augen gesehen habe, wären wir in diesem Fall wohl Zimmernachbarn.“

Mein Konter entlockt Njal erstaunlicher Weise einen zuckenden Mundwinkel, was als ein äußerst seltenes Phänomen zu betrachten ist.

Innerlich klopfe ich mir daraufhin rühmend auf die Schulter.

„Das heißt das du uns glaubst?“, harkt Lin verblüfft nach, ehe sie zu kleinen Freudensprüngen ansetzt.

„Ja, das heißt es wohl“, entgegne ich schulterzuckend, „Es ist nämlich eindeutig besser daran zu glauben, als sich einzugestehen, das man nicht mehr ganz richtig im Kopf zu sein scheint.“

Als das letzte Wort gerade meine Lippen verlassen hat, werde ich auch schon von Njal´s Zwilling in eine stürmische Umarmung gezogen.

„Danke Saoirse, du weißt gar nicht wie viel mir das bedeutet“, nuschelt die Brünette.

Da ich völlig überrumpelt davon bin, verharre ich stocksteif auf der Stelle und tätschle nur unbeholfen den Kopf der Kleineren.

Diese scheint nun auch zu realisieren, dass ich damit überfordert zu sein scheine, denn sie rückt verlegen ab und eine dezente Röte verleiht ihren Wangen Farbe.

Njal betrachtet diesen Gefühlsausbruch seiner Schwester eher skeptisch und wendet sich mit einem gebrummten, „Wie auch immer“, von uns ab, ehe er schlendern den Wohnbereich verlässt.

Das Geräusch der zufallenden Haustür unterstreicht anschließend nur noch seinen Abgang.

Zurückbleiben Lin, meine Wenigkeit und eine etwas unangenehme Stille.

Um letztere zu beenden räuspere ich mich etwas unbehaglich, ehe ich die alles entscheidende Frage stelle, „Ich nehme an das ich jetzt, wo ich von eurem Geheimnis weiß, nicht so einfach nach Hause kann oder?“.

Der betretene Blick den Lin daraufhin aufsetzt, ist mir Antwort genug.

Ein bitterer Geschmack steigt meinen Hals herauf und nur mühsam gelingt es mir, ihn wieder hinunter zu würgen.

„Du bist keine Gefangene von uns mehr und wirst es auch nie wieder sein, dafür gebe ich dir mein Wort, aber du hast Recht..“, haucht Lin, „ Siljan lädt dich ein für das Erste bei uns zu bleiben und bei uns zu leben. Ich hoffe du kannst uns und diese Maßnahme verstehen.“

Mit anderen Worten hieß das, das ich keine Wahl hatte.

Es war wie immer.

Nadeln aus Verzweiflung und Wut auf die über mich herrschende Fremdbestimmung stachen in mein Herz.

Ich würde für nahezu unbestimmte Zeit bei ihnen blieben müssen, ob ich es nun wollte oder nicht.

Solange bis sie mich eventuell als vertrauenswürdig genug einstuften würden, um mich gehen zu lassen.

Solange bis Siljan Sutur sich dazu entscheiden würde, mir die Zügel für mein eigenes Leben zurückzugeben.

Dieses verdammte Arschloch.

„Du kannst dich frei auf dem Gelände des Reservates bewegen und weiterhin in unserem Besucherzimmer bleiben, allerdings würden wir dich bitten in der Nähe der Siedlung zu bleiben“, beendet die braunäugige Norwegerin ihre Ansprache.

Mechanisch nicke ich kurz und segne somit die auf mich erlegten Regeln ab.

„Dann würde ich jetzt gerne spazieren gehen“, füge ich trocken hinzu und wende mich nachfolgend bestimmt von ihr ab um es Njal gleich zu tun und mit einem lauten Türknallen meinen Abgang zu unterstreichen.

Meine Beine tragen mich zum Fjord, an dessen weitläufigen Ufer ich mich auf einem großen Felsbrocken niederlasse.

Beine baumelnd denke ich an die letzten Stunden zurück.

Natürlich hätte ich mit der Tür ins Schloss fallen und ihnen die Wahrheit über mich offenbaren können. Das würde einige Probleme lösen, jedoch zudem auch weitaus schlimmere auf den Plan rufen.

Also muss ich schweigen und hoffen das ihnen auch weiterhin die Fähigkeit fehlt, mein Spiel mit gezinkten Karten zu durchschauen.

Mein Gefühl rät mir daraufhin mich vor allem von zwei Werwölfen distanziert zu halten, da es sie als zu scharfsinnig einstuft.

Njal und Siljan.

Beide mit der Fähigkeit ausgestattet hinter meine Maske blicken zu können und deswegen auf gar keinen Fall zu unterschätzen.

Auch wenn es mir für den Moment gelungen ist sie zu täuschen, so ist meine Tarnung doch äußert fragil.

Und als ich einem inneren Drängen nach den Kopf anhebe und plötzlich einen der Gestaltwandler über den Strand auf mich zu steuern sehe, bei dem ich mir vorgenommen habe, ihm so gut wie möglich auszuweichen, erhält meine Fassade den ersten Riss.

SaoirseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt