Kapitel 28

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Die nächsten Tage waren für mich die pure Hölle.

Mein Körper stand durchgehend unter Strom und mein Herz befand sich ständig in den eisigen Klauen der Ungewissheit, ob Arn die nächsten Stunden überleben würde.

In dieser Phase war Zeit für mich nur eine äußerst zähflüssige, dehnbare Masse, die wenn überhaupt nur im Schneckentempo voran zu schreiten schien.

Das Schlimmste war jedoch die Tatsache, das ich nichts für ihn tun konnte und nur ein hilfloser Beobachter seiner Qualen war.

Zusätzlich musste ich allerdings auch noch versuchen meinen Berufsalltag zu meistern und dabei so normal wie nur möglich zu wirken.

Es durfte ja schließlich nicht der Verdacht aufkommen, dass ich auch nur in irgendeiner Beziehung zu diesem Feind stehen würde.

Somit verrichtete ich also stets, trotz mentaler Abwesenheit, mechanisch aber meistens effektiv meine Arbeit.

Das sich von einem auf den anderen Tag plötzlich mein Verhalten änderte, blieb jedoch den besorgten Blicken meiner Freundinnen nicht verborgen.

Immer öfter brannten sich zwei braune Augenpaare in meinen Hinterkopf, doch ich zog es vor sie zu ignorieren oder ihnen ein erzwungenes aber beruhigendes Lächeln zu zuwerfen und für das Erste schien dies auch zu genügen.

Linnea brachte zwar den Auslöser für meines derartiges Verhalten richtig in Verbindung mit unserem letzten medizinischen Notfall, jedoch war sie weitergehend auf der falschen Spur.

Ihrer Annahme zufolge litt ich immer noch leicht unter den Nachwirkungen des Schocks und meiner daraus resultierenden Ohnmacht, schließlich war dies sehr kräftezehrend und auslaugend gewesen.

Sie glaubte daran, dass mich die enorme Menge an Blut in Kombination mit dem Anblick des Schwerverletzen schlichtweg überfordert hatte.

Das meine Gefühlslage jedoch weitaus persönlichere Gründe hatte, blieb ihr verborgen.

Nach unzähligen Beteuerungen meinerseits darüber, das ich wieder in der Lage wäre zu arbeiten und das Ganze schlimmer ausgesehen haben musste, als es tatsächlich war, gelang es mir schließlich die anfangs skeptische, brünette Ärztin davon zu überzeugen, mich wieder auf der Krankenstation einzusetzen.

Auch heute war ich wieder hier und drehte unauffällig meine Runden um Zimmer Nummer 46.

Dieser eintönige, sterile und beinah glanzlose Raum unterschied sich zwar im Wesentlichen nicht wirklich von all den anderen Räumlichkeiten des Krankenhauses, jedoch beherbergte er einen ganz besonderen Patienten.

Der momentan dort im Koma liegende, blonde Mann war es nämlich, der mich anzog wie das Licht die Motten.

Mehr als einen kurzen Blick auf seine schlafende Gestalt zu werfen oder ab und an die Vitalwerte zu überprüfen getraute ich mir jedoch nicht, zu hoch war das Risiko auffällig zu werden.


Der Tag neigt sich dem Ende und die Sonne ist gerade dabei als glühend orangefarbener Feuerball hinter den steilen Felswänden des Fjordes unter zu gehen, als ich erneut Zimmer Nummer 46 betrete.

Dieses Mal wage ich es die weißlackierte Holztür hinter mir zu schließen und somit die Umwelt auszusperren.

Die damit einkehrende Ruhe ist wie Balsam für meine Seele, da außer des gleichmäßigen Piepens von Arns Herzfrequenz kein Geräusch den Frieden stört.

Erschöpft wanke ich zu dem breiten Krankenhausbett und lasse mich zaghaft auf der Bettkante nieder, ehe ich sogar soweit gehe, vorsichtig nach der warmen, dick einbandagierten Hand meines besten Freundes zu greifen und sie mit meinen Handflächen zu umschließen.

In diesem Moment ist es mir egal, das meine Tarnung dadurch mehr als nur gefährdet ist, denn meine Welt fängt in Arns Anwesenheit wieder an sich zu drehen.


Ich weiß nicht wie lange ich schon hier sitze und einfach diese Aura des Friedens auf mich wirken lasse.

Für meine ausgelaugte Seele ist das die Möglichkeit sich wieder mit Leben aufzutanken.

Den Zeitpunkt um vorerst wieder Abschied nehmen zu müssen, schiebe ich wie immer weiter auf.

Schließlich drücke ich schweren Herzens leicht die Hand von Arn, symbolisch um Lebewohl zu sagen und will sie ihm gerade entziehen, als das leichte Zucken seiner Fingerspitzen mein Herz höher schlagen lässt.

„Arn?“, hauche ich erstickt.

Bedeutungsvoll schwebt sein Name zwischen uns, jedoch bleibt eine erhoffte Reaktion aus.

Zweifel schleichen sich wie Attentäter in meinen Verstand und vernebeln meine Sinne, sodass ich mir nicht mehr ganz sicher darüber bin, ob das Zucken nicht doch nur Einbildung war.

Gedankenversunken wandert mein Blick über seine Hand, die immer noch in der meinen liegt, ehe ich den Kopf hebe und blau-grau trifft auf olivgrün.

Was folgt ist ein Feuerwerk aus Endorphinen.

Die warmen Augen des Norwegers verhaken sich in den meinen, ehe er mich tiefgründig und mit diesem einzigartigen strahlen in seinen Pupillen angrinst.

„ Der einzig Wahre“, antwortet er mir schließlich und seine Stimme ist sowohl kratzig als auch leise.

Nur am Rande bemerke ich wie mein Sichtfeld durch einen plötzlichen sturzartigen Tränenfluss verschwimmt, ehe ich mich ohne zu überlegen auf den Blonden stürze.

Er holt kurz und scharf Luft, bremst mich aber nicht.

„Das muss Einbildung sein..“, rufe ich nuschelnd aus während ich mein rotfleckiges Gesicht in seiner bandagierten Brust vergrabe und vor Glück schluchze.

Ich atme wieder, ich denke wieder und vor allem beginne ich wieder richtig zu fühlen.

Uneingeschränkt.

Durch drei einzige Wörter hat er es geschafft die Funktionsfähigkeit meiner Lunge, meines Gehirns und meines Herzens wiederherzustellen.

Das Blut rauscht nur so in meinen Ohren, folgt seiner eigenen fröhlichen Melodie und eine wohlliege Wärme breitet sich in meinem ganzen Körper aus.

Meine Freude könnte zwar gerade kaum größer sein, jedoch wird sie relativ schnell wieder durch die dunklen Wolken der Sorge getrübt.

„Wie geht es dir?“, verlange ich besorgt zu wissen und lehne mich im selben Moment wieder zurück, um ihn akribisch genau zu mustern.

„Hab mich noch nie so lebendig gefühlt wie gerade“, verrät er mir ausweichend mit einem Funken von Schalk in den Augen.

Die tiefen dunklen Ringe unter seinen Augen, sowie der schmerzverzerrte Ausdruck seiner Gesichtsmuskulatur beim Sprechen verraten mir jedoch das Gegenteil.

„Sag mal ist heute eigentlich Halloween oder warum bin ich wie so ein mumifizierter Leichnam zurechtgemacht?“, witzelt er schwach weiter und beäugt die ihn umschlingenden Mullbinden.

„Du bist echt ein Idiot…“, hauche ich mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen und schüttle fassungslos den Kopf, immerhin kommt auch nur er in solch einer Situation auf die Idee Witze zu reißen.

SaoirseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt