Kapitel 6

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Die tiefhängenden Äste einiger Tannen peitschen mir in das Gesicht, als ich von meiner Wut getrieben, immer tiefer in das Innere des Waldes eindringe.

Meine Pfoten treffen je weiter ich komme auf immer steinigeren Untergrund und ich bemerke am Rande meines immer noch vor Zorn verschwommen Sichtfeldes, das ich Richtung Norden renne.

In dem Augenblick ist es mir gleichgültig wohin mich meine Beine tragen. Hauptsache weit weg von dem Ort, den ich früher mein Zuhause genannt habe.

Ein Schauben entweicht meinen Lefzen und ich sporne mich an mein Tempo zu erhöhen, auch wenn ich eigentlich schon mein Limit erreicht habe.

Der einzige Grund für meine, schon seit meiner Geburt währenden, Gefangenschaft ist die Tatsache das meine Familie mich als zu schwach, zu fragil für die Außenwelt erachtet.

Als Tochter eines Alphas hätte ich schon von Kinderbeinen an stärker als die anderen sein müssen, doch ich war und bin es nicht. Meine Eltern denken das es sich um einen Gendefekt handelt, welcher meine wölfische Seite in meiner menschlichen Form hemmt.

Es ist nämlich so das ich, im Gegensatz zu anderen Werwölfen,nur auf einen Bruchteil meiner Kräfte zugreifen kann.

Natürlich bin ich immer noch stärker als ein Mensch und habe auch eine bessere Wundheilung. Nur eben nicht eine so gute, wie es zu erwarten wäre.

Wo wir auch schon bei einem Wort sind, dass ich abgrundtief hasse, Erwartungen.

Meine Familie hat sie immer an mich gehabt, sie konnte mich einfach nicht so akzeptieren wie ich nun mal bin, fehlerbehaftet.

Ein Schleier aus Trauer legt sich über mein Blickfeld, als ich an jene denke, die ich von nun an hinter mir lassen werde.

Ohne Frage, sie haben mich geliebt, aber offensichtlich nicht genug um mich gehen zu lassen. Vielleicht werde ich in der Zukunft zu ihnen zurückkehren doch meine aktuelle Gefühlslage ist im Moment zu unruhig, die Wut und Hilflosigkeit zu frisch.

Meine Umwelt verschwimmt zu einem leuchtenden Farbfilm aus Grün und Braun während ich immer weiter hetzte.

Das lachende Gesicht meines besten Freundes taucht vor meinem inneren Auge auf und mein Herz zieht sich zusammen.

Ich bin ohne mich zu verabschieden gegangen. Für einen kleinen Moment keimt so etwas wie Reue in mir auf, doch sie löst sich mit dem Erdboden unter meinen Füßen in Luft aus.

Aufjaulend reiße ich meine Augen auf, als ich realisiere das ich über den Rand einer Schlucht dem Abgrund entgegenfalle.

Das Rauschen des eisigen Gebirgsstroms und mein Aufprall ist das Letzte, was ich wahrnehme, bevor die gewaltigen Wassermassen über mir zusammenbrechen und ich wie eine Puppe in die Tiefe gezogen werde.



Ein stechender Schmerz an meinem Hinterkopf reißt mich aus meiner bis dato währenden Bewusstlosigkeit.

Orientierungslos betrachte ich die mich umhüllende Schwärze.

Wie ein schwerer Mantel hat sie sich um mich gelegt, bereit mich bei meinem Tanz um Leben und Tod zu schmücken.

Die reißende Strömung führt mich und wirbelt mich derartig umher, dass ich zu nicht mehr in der Lage bin als benommen zu blinzeln.

Nach einer Weile versuche ich verzweifelt meine ,schon von der Kälte taub gewordenen, Arme und Beine zu bewegen, doch es gelingt mir nicht.

Langsam spüre ich das meine Atemluft knapp wird. Weitere Bemühungen, die mich ein ungeheures Maß an Kraft kosten, scheitern ebenso wie die vorherigen.

Ich fühle mich auf einmal unglaublich alleine und hilflos.

Hat es überhaupt einen Sinn dagegen anzukämpfen, frage ich mich still.

Im gleichen Moment wie mir dieser Gedanke durch den Kopf schießt, packt mich eine unbändige Wut. Diesmal auf mich selbst.

Ich habe mir geschworen, niemals aufzugeben, egal wie aussichtlos die Situation auch erscheinen mag.

In meinem Inneren brennt ein Feuer, das sich seit meiner Flucht aus meinem goldenen Käfig erst richtig entfalten konnte. Seit meiner Freiheit.

Ich will noch so viel in meiner Endlichkeit erleben, jetzt wo sich mir die Möglichkeit dazu eröffnet.

Bilder meiner Familie schießen mir durch den Kopf, Gründe um zu kämpfen und zu überleben. Auch wenn einige ihrer Entscheidungen falsch waren, liebe ich sie dennoch aus tiefsten Herzen.

Verbissen kneife ich meine Augen zusammen und mobilisiere meine letzten Kraftreserven. Meine Lunge schreit nach Sauerstoff, als ich mich mit meinen Füßen vom Flussgrund abstoße.

Die Wunde an meinem Hinterkopf bereitet mir immer noch höllische  Schmerzen, aber wenigstens bleibe ich so bei Bewusstsein.

Ich versuche Schwimmbewegungen nachzuahmen, so gut wie es eben mit meinen steifgefrorenen Armen und Beinen geht. Der Gebirgsstrom reißt mich zwar immer noch hin und her, doch anstelle dagegen anzukämpfen lasse ich mich diesmal auf diese Naturgewalt ein.

Gerade als ich denke, das meine Lungenflügel gleich platzten werden, treibt mich der Sog an die Oberfläche. Mein Kopf durchbricht den Wasserspiegel und ich schnappe gierig nach Luft.

Das eisige Wasser, welches meinen nackten Körper umspielt, sticht mich, wie als würde in einem Meer aus Nadeln schwimmen.

Auch wenn ich diese Tatsache in einem anderen Umstand als unerträglich empfunden hätte, lässt sie mich in diesem Augenblick so lebendig fühlen, wie ich es noch nie getan habe.

Das neu ausgeschüttete Adrenalin in meinem Körper befähigt mich dazu, die letzten Meter zum rettenden Ufer zu paddeln.

Mit letzter Kraft robbe ich auf den schmalen Sandstreifen, der sich hier, wo der Fluss ruhiger zu fließen beginnt, an dessen Böschung befindet.

Unfähig mich auch nur einen Zentimeter weiter zu bewegen, bleibe ich wie ein gestrandeter Wal an Ort und Stelle und huste mir die Seele aus dem Leib, ehe ich vor Erschöpfung geplagt , die Augen schließe und in einen unruhigen Schlaf verfalle.

SaoirseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt