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Heute ging ich allein in diesen Club, den "Freezer", den mir Toni am vergangenen Abend vorgestellt hatte. Es mochte leichtsinnig sein, aber vielleicht wussten die Täter etwas. Außerdem war ich diesmal ohne Gesellschaft und wild entschlossen, nichts daran zu ändern. Ich würde heute vorsichtiger sein. Auch mit dem Trinken. Zwar war ich nicht im Dienst, weswegen ich mir das ein oder andere Gläschen genehmigte, aber dabei beließ ich es auch. Ich hatte meine Waffe dabei und scheute mich nicht, sie einzusetzen. Und ich wollte noch zielen können, sollte es soweit kommen. Aber alles blieb ruhig. Die Cocktails schmeckten ein bisschen zu gut und die Musik war so laut, dass ich mir nicht sicher sein konnte, ob ich das Zeichen übersehen und überhört hatte. Ich genoss die Zeit, aber gegen elf ging ich wieder Richtung Hotel. Ich war noch kaputt von vergangener Nacht, in der mir nur eine Stunde Schlaf vergönnt war. Zwar hatte ich mich am Nachmittag nochmal hingelegt, aber das war nicht sehr viel Ruhe gewesen.

Am nächsten Morgen wurde ich vom Klingeln meines Handys geweckt. Verschlafen streckte ich mich, angelte es mir und hob ab, ohne aufs Display zu schauen.
"Ja?"
"Haben Sie verschlafen, Evans?" Schlagartig saß ich aufrecht im Bett.
"Uhm... Sieht so aus. Aber ich kann sofort zu Lou kommen."
Ich hörte, wie sich Marc räusperte. "Das wäre überaus freundlich von Ihnen. Sie wissen aber schon, dass Sie nicht frei haben, nur weil Ihre Undercover-Mission vorbei ist?"
Verdammt. "Ja, das ist mir durchaus bewusst."
"Dann checken Sie verdammt nochmal Ihre E-Mails." Er klang genervt und ich verdrehte die Augen. Weniger wegen ihm, mehr wegen mir selbst. Wie hatte ich das nur vergessen können?
"Ich dachte eigentlich, Sie wollten mich sowieso von dem Fall abziehen."
Er stöhnte hörbar. "Führen Sie mich nicht in Versuchung, Agent."
Schnell sprang ich auf. "Bin in zehn Minuten da." Und damit legte ich auf. Das hatte ich von Marc gelernt und mir leider sehr viel schneller angewöhnt, als mir lieb war. Pluspunkte bei meinem Chef brachte es mir auch nicht gerade. Aber was soll's, dachte ich. Er wird's überleben.

Ich musste zwar auf Frühstück, Make-up und Dusche verzichten, aber ich schaffte es tatsächlich, zehn Minuten später bei Lous Wohnung auf der Matte zu stehen. Nun ja, genau gesagt war es nicht ihre Wohnung. Dessen versuchte ich mein Gehirn immer und immer wieder zu überzeugen, als ich auf der Schwelle stand. Die Computer-Höhle war wirklich zu einer SciFi-Höhle geworden, mit LEDs und allem drum und dran. Anscheinend hatte sich Lou nicht nur die Klimaanlage reparieren lassen. Außerdem sah ich noch rot blinkende Bewegungsmelder, einen Luxus-Massage-Sessel und brandneue, topmoderne Monitore und Computer, mit LED-beleuchteten Tastaturen, zusätzlich zu anderem, teuer aussehenden Equipment. Ich zog die Augenbrauen hoch. Da hatte sie wohl ein bisschen übertrieben. Ich war gespannt, was passierte, wenn das der Director erfuhr. Die Computer waren heute überraschenderweise verlassen, und so besichtigte ich zum ersten Mal die anderen Räume, auf der Suche nach irgendjemandem Bekannten. In einem Raum, der wie eine Küche anmutete, stand Lou vor einem luxuriösen Kaffeevollautomaten. Sie hatte mir den Rücken zugewandt, sodass sie mich nicht gleich bemerkte.
"Wow, du genießt diesen Fall ja richtig", kommentierte ich.
Sie drehte sich blitzschnell um. "Oh ja." Der Kaffeeautomat piepte und offenbarte einen dampfenden Latte Machiatto mit einem Milchschaumhäubchen. Sie ergriff ihn und führte ihn an ihre Lippen, die sie zum Probieren schürzte. "Oh ja", seufzte sie genießerisch. "Und wie." Sie führte mich wieder zurück zu ihrem Computer und setzte sich in einen bequem aussehenden Stuhl. "Wusstest du, dass alles hier- ", sie schloss die Gesamtheit der Wohnung und dessen Inhalt mit einer ausholenden Armbewegung ein, "als  ›Finanzielle Ausgaben im Rahmen einer investigativen Ermittlung‹ gilt und abgerechnet wird?", fragte sie schwärmerisch.
Ich schmunzelte. "Das haben sie sicher nicht damit gemeint. Was meint eigentlich Marc dazu?"
Lou zuckte unbeteiligt mit den Schultern. "Der versteht nichtmal die Hälfte von dem allen hier. Ihm habe ich weisgemacht, dass ich das alles brauche."
Ich zog die Augenbrauen hoch. "Sogar den Kaffeeautomaten?"
Lou drehte sich in ihrem Drehstuhl schwungvoll zu mir. "Da das FBI sonst nur im Inland tätig ist, gibt's einige Unklarheiten in den Vorschriften."
Auch wenn sie nicht weiterredete, wusste ich, worauf sie hinauswollte. "Schon klar, und solange der Director die Rechnung nicht liest, gilt der Kaffeeautomat als unbedingt notwendig für den Fall."
Sie grinste begeistert. "Genauso ist es, Baby." Sie drehte sich wieder zu den Monitoren und tippte irgendwas. "Übrigens, wenn du einen Kaffee oder Cappuccino oder so haben willst, du weißt ja jetzt, wo der Automat steht."
Ich nickte, kam aber nicht mehr zum Antworten, weil Marc in dem Moment hereinkam. Ich zog die Augenbrauen hoch. Und ich gab mir die Mühe, vorher anzuklopfen!
"Ziehen Sie nicht so eine Schnute, das macht Sie glatt zehn Jahre älter", meinte Marc nur knapp, als er an mir vorbei Richtung Küche ging.
‚Ich Sie auch.’ „Ihnen auch einen schönen guten Morgen”, meinte ich mit hochgezogenen Augenbrauen.
Ich stöhnte genervt auf. In dem Moment kam Devan ganz gechillt durch die Tür und marschierte lediglich mit einem "Moin" an uns vorbei Richtung Küche. Lou grinste, löste ihren Blick aber nicht von den Bildschirmen.
Mir blieb der Mund offen stehen. "Sag' nicht, dass die beiden..." Weiter kam ich nicht, weil in diesem Augenblick Marc mit einer extragroßen, dampfenden Kaffeetasse wiederkam und sich kommentarlos neben Lou setzte. Mein Mund blieb offen stehen, und ich öffnete und schloss ihn wie ein Fisch.
"Mach' den Mund wieder zu, sonst fliegt noch 'ne Fliege rein", grinste Lou.
Ich setzte mich aufrechter hin und starrte sie erwartungsvoll an. Ich sah es nicht ein, meine Frage zu wiederholen.
"Marc's Bedingung, dass ich den großen Kaffeeautomaten behalten darf, war, dass er sich auch bedienen darf, wann immer er will", feixte Lou. "Und auch Devan hat Zugriff."
Meine Miene wurde säuerlich. "Das heißt, Sie wohnen von jetzt an nicht mehr im Hotel, sondern hier?" Es war allseits bekannt, dass Marc quasi von Kaffee lebte.
Marc verzog den Mund, verzichtete aber auf eine Erwiderung und nippte stattdessen wieder an seinem Kaffee.
Auch Devan gesellte sich wieder zu uns und beanspruchte den Stuhl neben mir für sich. Genervt verschränkte ich die Arme und versuchte die beiden zu ignorieren. Anscheinend war hier jeder besser im Bild als ich. Wie lange war ich denn weg gewesen?

Lou hatte endlich alle Aufzeichnungen von Verkehrskameras sichten und auswerten können. Die Kennzeichen des Fluchtautos waren dummerweise abmontiert worden, aber dafür hatten wir jetzt die genaue Route und mussten keinen größeren Bereich absuchen.

Most wantedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt