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Am nächsten Tag streckte ich mich verschlafen und blinzelte den halb vorgezogenen Vorhängen entgegen. Als ich zum Wecker schielte, war es schon halb neun. Warum lag ich immer noch im Bett? Ich musste doch arbeiten! Ich hatte eine Mission!
Mein Gehirn ratterte und ich ließ mich erschöpft in die Kissen sinken, als die Erkenntnis durchsickerte. Marc hatte mir heute ja einen freien Tag verordnet.
Ich seufzte und wälzte mich aus dem Bett. Zeit fürs Frühstück. Mit tapsenden Schritte schlich ich barfuß in die Küche und schaute in meinen immer noch gähnend leeren Hotelkühlschrank. Ich hätte gestern einkaufen gehen sollen, schoss es mir durch den Kopf. Frustriert schmiss ich die Tür wieder zu und marschierte zu meiner Tasche, um Zigarette und Feuerzeug herauszukramen.

Nach meinem "Frühstück" war ich noch joggen gegangen und hatte anschließend geduscht. Da mir so alleine im Hotelzimmer die Decke auf den Kopf fiel, fuhr ich bald meinen Rechner hoch und öffnete Skype. Heute wollte ich mal Devan anrufen, weil er ja vor ein paar Tagen darum gebeten hatte. Ich wollte nicht, dass er sich noch Sorgen machte.
"Hey Dave", meinte ich lächelnd, sobald die Verbindung stand.
Er blickte mich schief an. Typisch Devan. "Hi. Alles gut?"
Ich schluckte und nickte schnell.
"Hab' gehört, der große Boss hat sich auf den Weg gemacht, um dich zu retten."
Genervt verdrehte ich die Augen. Ich überlegte ein kleines bisschen und kniff sie dann zu schmalen Schlitzen zusammen. "Sagen wir so, auf meinem Weg haben sich Schwierigkeiten aufgetan, die ich aber mit Marc's Hilfe bewältigen konnte."
Kritisch beäugte er mich und blinzelte ein paar Mal. "Wenn Marc dir zu Hilfe eilt, muss es ja schlimm um dich stehen."
"Na danke."
"Ich meine ja nur..." Devan suchte nach den passenden Worten. "Er ist extra nach Deutschland geflogen, obwohl er Fliegen hasst und kaum Deutsch kann."
Unwillig verzog ich das Gesicht, als hätte ich auf eine Zitrone gebissen. "Er musste mich mehr oder weniger freikaufen."
Er schnalzte. "Klingt ja abenteuerlich."
Ich zuckte die Schultern und mein Blick flog zum Fenster. "Wenn man einen Ausflug in eine Arrestzelle als Abenteuer bezeichnen kann."
"Arrestzelle?" Er warf den Kopf in den Nacken und lachte. "Ich wusste ja, dass du ein schlimmes Mädchen bist, aber so schlimm? Das kommt jetzt überraschend."
Ich lächelte. "Wenigstens kann ich dich nach fünf Jahren noch überraschen."
Er zog die Augenbrauen hoch. "Ich nehme an, der große Boss ist gleich zum Tatort gezischt."
"Du weißt davon?"
Er presste die Luft zwischen den Zähnen durch, die er angehalten hatte. "Ich bin Ermittler, schon vergessen?"
Ich verbiss mir ein Grinsen. "Nein, du bist ein nervtötender Computerfutzi."
Er grinste. "Wenn ich damit Geld verdienen kann..." Er setzte sich gerade hin. "Nein, ich meinte, warum bist du so..." Er deutete auf meine Umrisse.
"Zuhause?"
"Du sagst es."
Ich wiegte den Kopf. "Nun, sagen wir so, Marc hat mich dazu verdonnert."
Devan nickte.
"Sag' Mal, arbeitest du auch an dem Fall?", wollte ich wissen.
Devan nickte wieder. "Was ich von hier aus erledigen kann, mach' ich auch."
Nun war es an mir zu nicken. "Gut."
"Marc hat mir eindringlich verboten, nach Deutschland zu fliegen. Kannst du mir sagen, warum ich das tun sollte?"
"Vielleicht, weil ich so eine freundliche Person bin..." Ich zwinkerte. "Oder... weil ich..." Ich dachte nach und holte tief Luft. "Ich rauche wieder."
Das war so eine Art Codewort zwischen uns, und Devan wusste sofort Bescheid. "Harter Fall, was?"
Nachdenklich zuckte ich mit den Schultern. "Ja, ziemlich."
Er holte tief Luft und blickte zur Decke, bevor er wieder mich anblickte. "Ich hoffe, du machst nichts Dummes. Willst du darüber reden?"
Nachdenklich schloss ich die Augen und zuckte mit den Schultern. "Ich wüsste nicht worüber."
"Okay." Er kratzte sich am Kinn. "Du weißt, du kannst immer mit mir reden", kam nur von ihm und ich verdrehte genervt die Augen, weil ich den Satz schon zu oft gehört hatte.
Er hob den Zeigefinger. "Morgen werde ich übrigens nochmal fragen und da kannst du dir ja schonmal eine Antwort überlegen, denn dann möchte ich eine hören."
Eilig nickte ich und schielte schon zu meinen Zigaretten. "Gut."
Er blickte mich ernst an. "Sonst rufe ich deinen Therapeuten an."
Ich schloss die Augen und massierte meine Stirn. "Das ist Erpressung", jammerte ich.
Devan zuckte mit den Schultern. "So funktioniert's halt am besten."
Kritisch runzelte ich meine Stirn und tat beleidigt. "Vielen Dank auch."
Er grinste. "Also, bis dann, Baby."
Ich verdrehte die Augen. "Bis morgen."

Als ich aufgelegt hatte, klappte ich den Laptop zu und schmiss ihn von mir. Gähnend streckte ich mich, erhob mich von meinem Bett und ging zu meinem Kleiderschrank. Auch wenn Marc mir einen Tag Urlaub verordnet hatte, so konnte er mir ja nicht verbieten, durch die Stadt zu schlendern und zufällig am Tatort aufzutauchen. Außerdem war es gar nicht gesagt, dass überhaupt noch viel der Ermittlungen am Tatort stattfanden. Immerhin war dort ja nicht mehr viel zu finden. Aber trotzdem würde ich gerne in Alexander's Haus vorbeischauen. Vielleicht würde ich ja etwas finden, was die anderen übersehen hatten.

Also zog ich mir eine Jeans und eine Bluse an, legte mir ein Knöchelholster an und steckte dort hinein meine Smith & Wesson, denn falls ich doch Alexander begegnete, musste er ja nicht gleich sehen, dass ich eine Waffe trug. Marc würde es vermutlich sowieso ahnen.
Ich schlüpfte in eine dünne Jacke und verließ das Hotelzimmer. Meinen Dienstausweis nahm ich vorsichtshalber mit und steckte ihn ganz unten in meine Tasche.

Draußen packte ich zuerst eine Zigarette aus und zündete sie an. Ich atmete tief ein und genoss den Geschmack.
Auf der Straße schlenderte ich ganz zufällig an Alexander's Haus vorbei (immerhin lag es ja fast auf dem Weg vom Hotel in die Stadt) und warf  verstohlen einen Blick hinein. Durch die Fenster zur Straße sah ich niemanden. Ich schlich mich in den Vorgarten, nur um zu sehen, dass an der Haustür ein Siegel vom FBI klebte. Ich schlug mir gedanklich vor den Kopf. Warum hatte ich da nicht früher dran gedacht? Da konnte ich dann natürlich nicht rein, das würde sie ja merken. Also ging ich hinten rum. Die Balkontür, die ich schon vorgestern bemerkt hatte, war leider von innen verschlossen. Enttäuscht schlich ich weiter. An der Wand der Garage war relativ versteckt eine Tür, die in die Garage führte. Ich betätigte die Klinke und die Tür öffnete sich. Volltreffer!

Most wantedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt