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Nachdem ich fertig gepackt hatte, klopfte es an der Tür. Ich öffnete und Marc stand davor. Er hatte einen ordentlich gebügelten, schwarzen Anzug mit weißem Hemd und grün-gemusterter Krawatte an, passend zu seinen grünen Augen. Meine Augen musterten ihn schnell von oben bis unten, aber insgeheim musste ich schlucken. Er sah in dem Moment unheimlich attraktiv aus. In seiner Hand trug er eine Reisetasche, in der wohl alle Sachen von ihm waren, die er mit hier her nach Deutschland genommen hatte. Sie sah nicht sehr voll aus. Ich dagegen hatte einen vollgestopften Rucksack und eine Reisetasche, die fast aus allen Nähten platzte. Sie standen hinter mir im Flur. Durch einen schnellen Blick in meinen Flur hatte er das ebenfalls festgestellt. Mit der freien Hand strich er sich durch seine kurzen, schwarzen Haare
Er räusperte sich. "Wie ich sehe, hast du fertig gepackt", bemerkte er nur. "Wir fahren jetzt los zum Flughafen und ich wollte dich holen."
Ich nickte bloß, zog mir eine Jacke an und schnappte mir die Taschen. Den Rucksack schnallte ich mir auf den Rücken, die Handtasche hängte ich mir über den Arm und wuchtete die schwere Tasche hoch. Dann schloss ich umständlich die Tür und drehte mich mit der Schlüsselkarte im Mund zu Marc um. Aber statt mir die Schlüsselkarte zwischen meinen Lippen abzunehmen, ergriff er wortlos meine Reisetasche und setzte sich in Bewegung, ohne sich die zusätzliche Last ansehen zu lassen. Mit meiner nun freien Hand nahm ich die Schlüsselkarte.
"Danke!", sagte ich laut und deutlich, doch Marc antwortete nicht. Er drehte sich noch nicht einmal um. Missmutig biss ich mir auf die Lippe, um mir einen bösen Kommentar zu verkneifen und folgte ihm in die Lobby, wo wir die Schlüsselkarte zurückgaben und dann durch die Drehtür auf den Parkplatz des Hotels gingen, auf dem ich schon Devan entdeckte, wie er beim Auto auf uns wartete.
Als wir ihn erreicht hatten, begrüßte er mich mit den Worten: "Na, freust du dich schon wieder auf D.C.?"
Ich verzog das Gesicht. "Naja, wenigstens sehe ich dann endlich Maja wieder." Maja war meine beste Freundin und so gut wie der einzige Sozialkontakt außerhalb der Arbeit. Ich kannte sie noch vom College.
Marc lud unsere Taschen ein und stieg auf der Fahrerseite ein. Natürlich, dachte ich nur augenverdrehend und stieg hinten ein. Devan verstand meinen Blick und stieg vorne neben Marc ein. So fuhren wir zum Flughafen. Da wir L.E.O.s waren, durften unser Gepäck und wir die Sicherheitskontrolle umgehen und gleich zum Gate gehen. Auf der Landebahn stand schon das Flugzeug. Das Flugpersonal wuselte noch draußen und drinnen herum. Ich war immer wieder überrascht, wie riesig das Flugzeug war, vor allem, wenn wir näher kamen. Ich hatte dann immer ein mulmiges Gefühl im Bauch, keine Ahnung wieso. Als wir einstiegen, wurde es noch stärker. Devan ließ sich nichts davon anmerken, und auch Marc nicht. Kein Wunder, sie waren sicher schon hundertmal geflogen.
Wir trafen Lou und Rich, die mit einem eigenen Leihwagen zum Flughafen gefahren waren. Ich lächelte Lou etwas gezwungen entgegen und sie erwiderte es. Langsam wurde ich nervös. Das Warten verstärkte diese Nervösität noch mehr. Sicherheitshalber hatte ich immer eine Dose Pillen gegen Übelkeit in der Handtasche. Mit zitternden Händen fummelte ich sie heraus, öffnete sie und schüttete mir zwei Pillen in die Hand. Marc saß zu meiner linken, neben ihm Rich, Dave zu meiner rechten Seite und daneben Lou. Wir saßen alle in einer Reihe. Marc bemerkte meine Bewegung sofort und beobachtete meine Hände intensiv mit zusammengezogen Augenbrauen, sagte aber nichts. Devan hingegen zog die Stirn kraus und kratzte sich am Nasenrücken.
"Alles gut?", erkundigte er sich besorgt.
"Ja, nur etwas nervös", antwortete ich und er schaute mich unsicher an.
Er brummte ein kaum hörbares "Mhm", das wahrscheinlich aber nur ich hörte.
In anderen, ähnlichen Situationen nämlich war ich so nervös gewesen, dass die Nervosität eine Panikattacke getriggert hatte. Das wollte Devan wahrscheinlich möglichst vermeiden, dachte ich schmunzelnd, während mir Marc ein Glas Wasser reichte, das ich mir bei der Stewardess bestellt hatte und damit die Tabletten hinunterspülte.

Der Flug dauerte zwar sieben Stunden, aber da ich die meiste Zeit schlief und dann noch Musik hörte, ging der Flug überraschend schnell vorüber. Zum Glück hatten die Tabletten gute Arbeit geleistet. Mein Magen hatte schnell aufgehört zu rebellieren und ich hatte mich insgesamt ziemlich schnell wieder beruhigt, wodurch keine erneute Panikattacke getriggert wurde. Kaum hatte ein Steward den Landeanflug angekündigt, stand die Maschine auch schon wieder still und alle Passagiere fingen an, sich aus ihren Sitzen zu fädeln und zum Ausgang zu kommen. Als wir unsere Taschen und Koffer hatten, setzten wir uns in zwei verschiedene FBI-Wagen und ließen den Flughafen hinter uns.
Der Fahrer setzte uns einzeln bei unserer Haustür ab, weswegen auch Rich diesmal bei uns mitfuhr und Devan und Lou in einem anderen Wagen. Ich war erst vor kurzem ausgezogen und wohnte seitdem in einem anderen Stadtteil. Erst lieferten wir Rich ab. Der verabschiedete sich für den Abend. Morgen würden wir wie gewohnt im Büro erscheinen und an der Dokumentation des Falls in den Akten arbeiten, bevor diese Akten im Archiv verschwanden. Ich freute mich schon auf den etwas besser geregelten Tagesablauf, den ich hatte, wenn ich jeden Tag ins Büro musste. Dann verzog ich den Mund. Morgen Nachmittag hatte ich auch einen Termin bei meinem Psychologen. Diesen Termin hatte Marc kurz nach meinem Zusammenbruch gemacht und der Psychologe hatte ihn mir per E-Mail bestätigt. Die Wunde am Arm war weitestgehend zugeheilt und Narbengewebe hatte sich gebildet, ich bedeckte sie nur noch jeden Tag mit einer Creme und einem leichten Verband, den ich mir selbst anlegte.
Der Fahrer Agent Tasher hielt vor meinem Haus. Naja, eher das Haus meiner Eltern, dass ich mir mit meiner Tante und fünf Katzen teilte. Ich schnappte mir meine Handtasche und sprang heraus. Ich verabschiedete mich von Marc. "Dann noch einen schönen Abend."
"Dir ebenfalls, Lillian", erwiderte er und ein leichtes Lächeln deutete sich auf seinen Lippen an, ehe ich die Autotür zuknallte. Agent Tasher half mir, mein Gepäck aus dem Kofferraum zu hieven und trug es mir bis vor die Haustür, bis wir uns verabschiedeten. "Vielen Dank", sagte ich lächelnd, während ich in meiner Tasche den Haustürschlüssel suchte. "Auf Wiedersehen." Wir kannten uns nicht besonders gut. Agent Tasher arbeitete zwar auch im HQ, aber da arbeiteten so viele Leute, dass es unwahrscheinlich war, dass speziell wir uns über den Weg liefen. Er gehörte auch zu einem anderen Team, zudem ich kaum Kontakt hatte.
"Auf Wiedersehen, Special Agent Evans", verabschiedete er sich und drehte sich um, bevor er, am Auto angekommen, die Fahrertür öffnete und das Auto davonfuhr.

Most wantedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt