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Marc fuhr zu Lou. In der Wohnung holte er sich zu aller erst einen Kaffee. Natürlich. Kopfschüttelnd setzte ich mich.
Lou hatte inzwischen die Aufnahmen der Supermarktüberwachungskamera gesichtet und ausgewertet und stellte uns nun ihre Ergebnisse vor.
"Erstmal die gute Nachricht: Alexander - beziehungsweise Tony Doyle - ist auf dem Video zu sehen." Sie hämmerte auf die Leertaste und spulte vor bis 15:54 Uhr, wo sie das Video erneut stoppte. "Genau hier." Auf dem Standbild erkannte man Alexander, wie er den Supermarkt betrat. "... Und jetzt die schlechte..." Sie ließ das Video mit vierfacher Geschwindigkeit weiterlaufen. "... es ist nicht zu erkennen, dass er ihn wieder verlässt." Ein paar Minuten lag Schweigen über uns, während wir jede Bewegung konzentriert mit den Augen verfolgten. Alexander war nicht zu erkennen, aber er könnte auch leicht in der Menge untergegangen sein. Gegen 17 Uhr nahm der Verkehr extrem zu. Rush hour. So viele Leute betraten und verließen den Supermarkt, dass wir nicht sicher waren, ob Alexander vielleicht von anderen Personen verdeckt worden war. Da er trotzdem ungewöhnlich lange dort zugebracht hatte, beschlossen wir, dem Supermarkt am Nachmittag erneut einen Besuch abzustatten; erstmal ohne Durchsuchungsbeschluss in der Hoffnung, der Marktleiter würde bereitwillig kooperieren.
Bevor wir jedoch zum Aufbrechen kamen, kam der Anruf, dass die Patronenhülsen gefunden worden waren. Sofort fuhren wir an den Ort, den uns die Polizei nannte.
Die Hülsen wurden auf einem Hügel hinter einer Tankstelle gefunden. Die Polizisten waren schon dabei, die Hülsen einzutüten. Ein junger, attraktiver Polizist schien hier die Suche zu beaufsichtigen.
Marc Schritt ganz dicht vor ihn und starrte ihm in seine braunen Augen. "Sagen Sie, fangen Sie bei gemeinsamen Ermittlungen immer schon an, bevor alle Teammitglieder vor Ort sind?"
Ich verdrehte heimlich die Augen.
Der Polizist vor ihm schluckte. "Wir haben schon Fotos und Skizzen gemacht", fing er zögerlich an. "Und wir haben Sie angerufen, dass Sie sich an der Suche beteiligen können."
Marc schnaufte verächtlich und kniff die Augen zusammen. "Wie großzügig von Ihnen."
Die Augen des Polizisten zuckten nervös von einer Seite zur anderen. "Wir haben die Leiche und die restlichen forensischen Beweise. Damit leiten wir die Ermittlungen. Ich glaube, wir müssen Sie nicht um Erlaubnis fragen."
"Pfft." Verächtlich spuckte Marc ins Gras und verzichtete auf eine Antwort. Stattdessen winkte er uns wortlos herbei. "Da." Er deutete Richtung Tankstelle und ich schirmte meinen Blick gegen die Sonne ab. "Überwachungskamera."
"Das heißt, ich gehe zur Tankstelle und hole die Aufnahmen?", erkundigte sich Devan und war schon dabei, sein Zeug zu schnappen und loszulaufen, aber Marc pfiff ihn zurück.
Er schüttelte den Kopf. "Evans geht zur Tankstelle. Die Aufnahmen der letzten Woche", fügte er an mich gewandt hinzu. "Du skizzierst und vermisst den Tatort."
"Alles klar, Boss." Devan holte seinen Block heraus und machte sich an die Arbeit.
"Alles klar", murmelte ich und machte mich auf den Weg. Eine Welle der Erleichterung überschwemmte mich, für die nächste Zeit nicht ständig Marc im Nacken sitzen zu haben.

An der Tankstelle war nicht viel los. Das Tankstellengebäude war düster, anscheinend waren ein paar Halogen-Lampen kaputtgegangen und das Geld fehlte, um sie auszutauschen. Ich holte meinen Block hervor und hielt ihn bereit. Der Tankstelleninhaber war im hinteren Teil des Gebäudes hinter der Theke und schmatzte laut auf einem Kaugummi, während er etwas an der Kasse herumfummelte.
"Ähm... Hallo!" Unsicher schlich ich zu ihm vor.
Schnell legte er etwas aus der Hand und lächelte mich an.
"Ich bin vom FBI, Special Agent Lillian Evans." Ich zeigte ihm meinen Ausweis. "Ich habe gesehen, dass Sie hier draußen eine Überwachungskamera angebracht haben", fing ich vorsichtig an und deutete in die ungefähre Richtung hinter mich.
"Ohh... Ähh... Ja", stotterte er zögerlich.
Ich lächelte strahlend. "Genau. Dürfte ich die Aufnahmen der letzten Woche sichten? Es könnte wichtig für aktuelle Ermittlungen sein", fuhr ich fort. Seine Augen flogen unsicher durch den Raum, bevor sie auf mir zu ruhen kamen. Seine Gesichtszüge entspannten sich und ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. "Gerne doch. Ich spiele Ihnen die Aufnahmen auf einen USB-Stick."

Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mir etwas verheimlichte. Regel Nummer 12: Wenn du das Gefühl hast, jemand macht dir etwas vor, ist das wahrscheinlich so. Aber ohne konkreten Verdacht hatte ich keine Handhabe, das Gebäude zu durchsuchen. Also verabschiedete ich mich freundlich und ging langsam Richtung Ausgang.
Eine Bewegung im Augenwinkel zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein paar Ameisen wuselten geschäftig an mir vorbei. Meine Augen folgten ihnen geistesabwesend. Sauberkeit stand hier anscheinend nicht an oberster Stelle. Auf den schmutzig-grauen Fliesen entdeckte ich auf einmal Blutstropfen. Ich legte meinen Kopf schief und verfolgte ihren Weg. Sie verschwanden unter einer Tür aus meiner Sicht. Mehrere Schmierblutspuren und Blutstropfen führten in einen anderen Raum. Mit hochgegezogenen Augenbrauen runzelte ich die Stirn. Das gab mir einen dringenden Verdacht, was einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss überflüssig machte. Ich kramte mein Handy hervor und wählte Marcs Nummer über das Kurzwahl-Widget, das ich extra dafür erstellt hatte. Unter keinen Umständen würde ein ausgebildeter Ermittler allein in einen ungesicherten Raum gehen. Immerhin könnte es ein Hinterhalt sein. Und wer wusste schon, wer noch alles hinter mir her war, abgesehen von Clay.
"Ja?"
"Kommen Sie zur Tankstelle. Ich habe hier Hinweise auf ein Gewaltverbrechen", erwiderte ich.
"Warten Sie auf mich", kam sofort von ihm. "Ich bin schon auf dem Weg."
Bevor er auflegte, hörte ich noch, wie er losjoggte. Ich steckte das Handy in meine Tasche. "Was machen Sie hier?", fragte der Tankstellenwärter erstickt. Eindeutig kein Verbrechergenie, grinste ich vor mich hin. Als ich mich allerdings zu ihm umdrehte, war davon allerdings keine Spur mehr geblieben.
"Ich habe mich Ihnen als Ermittlerin vorgestellt", presste ich bitter hervor. "Ich bin dafür ausgebildet, dass ich meine Umgebung beobachte und analysiere. Was denken Sie denn?"
"Was... Ähm... Sie dürfen nich...", stotterte er und ich sah mir das eine Weile an, ehe ich mich umwandte und auf die Tür zuging.
Ich deutete darauf. "Was ist dahinter?"
"Da können Sie nicht rein", rief er alarmiert, etwas zu schnell.
Ich zog die Augenbrauen hoch. "Das habe ich nicht gefragt."
"Das..." Er schluckte. "Haben Sie denn einen Durchsuchungsbefehl?"
Meine Kiefer mahlten. "Gefahr im Verzug, da ist das nicht nötig", erwiderte ich trocken und wandte mich erneut um, um die Tür zu öffnen, doch sie war verschlossen. "Was ist hinter dieser Tür?", fragte ich ihn eindringlich und schritt auf ihn zu. "Ähm... Nur das Lager...", nuschelte er.
"Öffnen Sie die Tür, oder ich trete sie ein!"
Der Tankwart schluckte und ich hörte, wie sich die Eingangstür öffnete und schloss. "Sie haben fünf Sekunden."

Most wantedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt