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Vorsichtig schlich ich durch die dunkle Garage, in welcher bereits die Spurensicherung zugange gewesen war. Das erkannte man unter anderem daran, dass die Garage quasi leergeräumt worden war. Alles, worauf sich potenziell Spuren befinden könnten und transportabel war, war bereits in Labore transportiert worden. Auch in Alexander's Haus war vieles bereits ausgeräumt worden. Fast alle Möbel, bis auf den großen Wandschrank und -regale waren weg. Auch die Kameras sah ich nicht mehr und hoffte, dass ich mich nicht täuschte. Sonst könnte das hier ein plötzliches und schmerzhaftes Ende haben.
Ich zog mir Vinylhandschuhe über - Regel Nummer eins bei der Beweismittelsicherung - und fing an, mit den Augen das Bücherregal zu durchsuchen. Es war alles abgedeckt und eingepackt und vorsichtig schob ich das dünne Material zur Seite, um die Buchrücken studieren zu können.
Um eine mögliche Botschaft von Alexander finden zu können, musste ich überlegen, welche Orte oder Themen für ihn, für mich oder für uns beide bedeutsam sein könnten.
Im Bücherregal fand ich nichts besonderes. Ich schaute mich weiter um, was ich im Wohnzimmer noch finden könnte. Sonst war Vieles schon abgeholt worden.
Also ging ich weiter in die Küche. Ich durchsuchte Kühlschrank und Küchenschränke, fand aber nichts. Stunden vergingen und meine Suche führte ins Leere, und ich wurde langsam unruhig. Ich eilte ins Bad und schaute mich dort in den Schränken um. Plötzlich bekam ich einen Geistesblitz und demontierte den oberen Teil des Spülkastens. Und tatsächlich, darin konnte einen Teil eines kleinen Zettels entdecken, einlaminiert, angeklebt mit einem Streifen Tesafilm. Ich angelte ihn hervor, las ihn und ließ ihn sogleich wieder sinken. Er war von Marc. 'Gehen Sie wieder nach Hause, Evans!' Ich versuchte, wütend zu sein, musste aber mühevoll ein Schmunzeln unterdrücken. Wie gut er mich doch kannte.
Seufzend steckte ich den Zettel zurück und schloss den Spülkasten wieder. Dann verließ ich das Haus durch die Garage.
Kurz vor der Tür, die in die Garage führte, sah ich eine Treppe zum Schlafzimmerbereich. Dort oben war ich nur einmal gewesen. Ich zögerte kurz, bevor ich die Stufen hinaufsprang.
Im Schlafzimmer standen nach meinem Gefühl noch die meisten Möbel. Zuerst durchsuchte ich den noch stehenden Schrank. Als ich dort nichts fand, kam die Kommode neben dem Bett an die Reihe. Dort fand ich auch nichts, also widmete ich mich dem Doppelbett, auf dem sogar noch die Matratze lag. Ich suchte den Rahmen ab und fand nichts. Ich ließ mich nicht so schnell unterkriegen und durchsuchte die Matratze und fand tatsächlich einen Zettel unter dem Laken, an der Seite versteckt. Mit meinen Einmalhandschuhen zog ich ihn vorsichtig hervor.

'Glückwunsch, FBI-Special Agent Lillian Evans', stand darauf. 'Ich hoffe sehr, ich habe dir keine Umstände bereitet. Falls doch tut es mir leid. Aber du hattest einen guten Riecher. Du bist nochmal zurückgekommen, um den Hinweis zu suchen, den ich für dich hinterlassen habe. Ich kann dich doch nicht enttäuschen, Prinzessin. Deshalb hier mein Hinweis: Es tut mir leid, wenn er dich nicht weiterbringt. Ich schreibe das hier, um dich zu warnen: Suche mich nicht! Ich brauche nicht die Gesellschaft von falschen Leuten und Lügnern, die mich zum Narren halten! Ich möchte nicht, dass du mich findest, deshalb habe ich mich gut versteckt.
Ich bin nicht der Mörder, und du wirst es auch beweisen können, wenn du gründlich suchst.
Viel Glück.'

Überwältigt ließ ich den Zettel sinken und betrachtete gedankenverloren die zugezogenen Vorhänge vor den sonnenbeschienenen Fenstern. Bedeutete diese Botschaft etwa, dass Alexander mich beobachtete? Logisch wäre es in jedem Fall. Woher sollte er sonst meinen richtigen Namen wissen? Verstohlen blickte ich mich um. Hier wäre es doch bestimmt schon der Spurensicherung aufgefallen. Nur im Hotel hätte er mich beobachten können. Er wusste ja, wo mein Zimmer war.
Ich steckte den Zettel in meine Tasche und verließ das Haus.

Im Hotel fuhr ich meinen Laptop erneut hoch. Irgendetwas hatte ich übersehen. Wieso war er sich so sicher? Ich öffnete sein Profil, das ich von ihm erstellt hatte, und überflog noch einmal alle Notizen. Freundlich, höflich, zurückhaltend. Dann später: 'Kann kein Blut sehen.'
Ich stutzte. Das hatte mir Alexander zwar so gesagt, aber es schien nicht zu passen.
Nachdenklich griff ich nach der Fallakte und blätterte ziellos darin herum, bis ich etwas gefunden hatte, das ich lesen konnte.
Ich hielt Alexander's Aussage durchaus für wahrheitsgemäß. Zudem bestätigte seine Notiz gewissermaßen noch seine Aussage. Doch um zu beweisen, dass er nicht der Täter war, musste ich erstmal beweisen, dass er zu Tatzeit nicht im Haus gewesen war. Und selbst dann könnte er trotzdem an dem Mord beteiligt gewesen sein. Und trotz allem könnte er an dem Mord in D.C. beteiligt oder sogar der Täter sein. Ich seufzte frustriert und warf den Laptop von mir. Was übersah ich nur?
Da ich meinen Kühlschrank überraschenderweise immer noch leer vorfand, als ich ihn öffnete, entschied ich mich kurz entschlossen in den nahen Supermarkt zu gehen. Ich zog mir nur eine Jacke über, schnappte meine Handtasche und lief los.
Auf dem Weg, schon wieder rauchend, entdeckte ich Marc und Lou, wie sie sich, in ein Gespräch vertieft, vom Tatort entfernten. Grübelnd blickte ich ihnen nach. Zwar hatte mich Marc ja dazu verdonnert, mich heute von den Ermittlungen fernzuhalten und ich war mir sicher, es würde Riesenärger geben, wenn er mich beim Schnüffeln erwischte, aber vielleicht gab es wichtige Neuigkeiten, die mir zur Auflösung "meiner" Ermittlung halfen.
Eilig raffte ich mich auf und folgte ihnen. Sie bogen um eine Ecke und ich verlor sie für einen winzigen Moment aus den Augen. Als ich dann um die Ecke bog, waren sie weit und breit nicht zu sehen.
Verwirrt zog ich die Stirn kraus und musterte die kahlen Hauswände. Vorsichtig machte ich einige Schritte in die Straße hinein und sogleich hörte ich ein Räuspern hinter mir.
"Sie sind auf den wohl ältesten Trick bei Beschattungen reingefallen", meinte er schlicht. "Sie müssen noch einiges lernen."
Ertappt biss ich mir auf die Unterlippe.
Er runzelte die Stirn. "Apropos Lernen, was machen Sie überhaupt hier? Ich bilde mir ein, ich hätte Ihnen gesagt, Sie sollen sich heute freinehmen."
Ich stellte mich dumm. "Ich laufe nur in die Stadt. Das darf ich doch noch, oder?" Fragend zog ich die Augenbrauen hoch.
Marc seinerseits musterte mich kritisch. "Das glaube ich kaum."
Stur stellte ich mich gerader hin und verschränkte anklagend meine Arme. "Das nenne ich Freiheitsberaubung."
Erschrocken japste ich auf, als Marc mich plötzlich mit eisernem Griff am Oberarm packte und mit sich zog. "Das hier ist Freiheitsberaubung." Er stieß mich in einen Hauseingang, öffnete die Tür und schloss sie wieder hinter mir. "Und das hier ist Entführung."

Most wantedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt