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Ich gähnte herzhaft, während ich die Cornflakes in die Milch kippte. Gestern war es wieder lang geworden. Ich war irgendwann gegangen, zusammen mit Devan. Lou und Marc hatten bis tief in die Nacht weitergearbeitet.
Ich vernahm ein Stöhnen von der Couch. "Hast du Kaffee gemacht?"
Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte ich über den Rand meines Wasserglases zu der dampfenden Kaffeekanne. "Klar."
Statt einer Antwort ertönte ein erneutes Stöhnen , gefolgt vom Quietschen der Couch und müden, schlurfenden Schritten. "Es ist zu früh."
"Es ist halb neun", erwiderte ich emotionslos.
Devan rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. "Was haben wir heute vor?"
"Wir fahren zu den Koordinaten, die Lou uns schickt, und suchen nach Hinweisen."
Devan schnappte mir den Löffel aus der Hand und schob ihn sich voller Cornflakes und Milch in den Mund. Die Milch verfing sich in seinem Drei-Tage-Bart und rann hinunter, bevor er sie sich mit der Hand wegwischte und verschmitzt grinste. "Ich fahre."

Lou schickte uns die Koordinaten, zu denen wir fuhren. Es war ein ruhiger Vorort mit Neubauhäusern. Ich konnte mir kaum vorstellen, was eine Terrorzelle hier machte. Aber als wir die Straße etwas hinunter gelaufen waren, sahen wir ein verlassenes Fabrikgebäude. Devan und ich warfen uns einen vielsagenden Blick zu. Wir standen per Funk mit Lou und Marc in Kontakt und Devan griff sein Funkgerät. "Lou? Kannst du uns hören?"
Es knisterte etwas, bis Lou antwortete. "Ja."
"Ist der Zielort möglicherweise ein altes Fabrikgebäude?"
Es rauschte, während Lou überlegte. "Wir haben Hinweise darauf."
"Klingt verdächtig", klinkte Marc sich ein.
Sofort verstand Devan den unausgesprochenen Befehl. "Wird gecheckt."
Devan steckte das Funkgerät wieder weg und wir liefen auf den zerfallenen Eingang zu. Wachsam beobachteten wir die Umgebung und schlichen in das Gebäude. Devan drückte die Tür auf und wir teilten uns auf, um den großen Eingangsbereich zu sichern. Devan hielt sich links, während ich die Büroräume auf der rechten Seite übernahm. Es war alles gespenstig ruhig, überall lag Dreck und Müll herum. Unter meinen Schuhen knirschten die Scherben der zerschlagenen Fenster. Die Räume waren alle fast leer. Die grauen Betonwände waren von Moosen und Flechten bewachsen. Auf den Schreibtischen lagen teilweise noch alte Zettel, die sich durch den Wind bewegten und unheimlich knisterten. Nervös beobachtete ich die kaputten Fenster, als ich mich einer weiteren Tür näherte. Ich machte mich bereit, meine Waffe zu ziehen, während ich mit der anderen Hand langsam die Klinke drückte. Ich spähte durch den entstandenen Spalt und erwartete dunkle, kalte Räume wie die zuvor. Aber ich erblickte einen Raum, den man fast als gemütlich bezeichnen könnte. Er war in warmen Farben eingerichtet. Allerdings war die Innenausstattung nicht unbedenklich. An den Wänden hingen Stadtpläne mit roten Punkten und Strichen übersät. Der Tisch war vollgepflastert von Notizzetteln. Couches mit Kissen und Decken deuteten darauf hin, dass hier jemand übernachtet hatte.
Ich holte Latex-Handschuhe aus meiner Hosentasche. "Devan! Ich hab' hier was!", rief ich zurück und meine Worte hallten durch die großen, leeren Räume.
Geschwind war Devan hinter mir. "Oh", kam nur, als er den Raum erblickte.
"Nimm' du schonmal DNA-Proben, ich nehm' mir den Schreibtisch vor", meinte ich schon halb geistesabwesend, realisierte nicht, wie sehr meine Worte nach einem Befehl klangen.
Devan merkte dies natürlich und sprang sofort darauf an. Fragend zog er die Augenbrauen hoch. "Da ich hier der dienstältere Agent bin, bin ich minimal verwirrt. Was ist denn mit unserem Frischling passiert? Hast du dir Mut angetrunken?"
Mit zusammengekniffenen Augen drehte ich mich um. "Noch nie einen Befehl von 'ner Frau gekriegt?"
Devan blickte mich passenderweise geschockt an und öffnete den Mund, um zu protestieren, doch ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. "Dir kann man's ja nichtmal verübeln, du hast wahrscheinlich noch nie eine Frau gedated, die alleine die Klobrille runterklappen konnte."
Devan verzog das Gesicht. "Haha, sehr witzig, Evans. Ich könnte kotzen." Gereizt zog Devan die Beweismitteltüten hinaus und starrte mich provokant an. "Jetzt geh' arbeiten."
Ich sortierte lange durch die Zettel auf dem Schreibtisch. Devan hatte unterdes Marc und Lou kontaktiert und über unseren Fund informiert. Er hatte bereits die DNA-Proben in den Beweismitteltüten verstaut und machte sich jetzt daran, Fingerabdruckspuren zu sichern. Ich versuchte mich nicht allzu sehr ins Lesen zu vertiefen, das würde die Spurensicherung noch zur Genüge tun, also fuhr ich damit fort, die Schubladen zu durchsuchen. Da wir immer noch keinen Hinweis auf Clay's Verbleib hatten, war ich entschlossen, etwas zu finden.
Ich fand Einkaufslisten und Grundrisse von Gebäuden, Baupläne von verschiedenen Waffen und Stadtpläne mit verschiedenfarbigen Markierungen, aber keinen Hinweis auf Clay's Verbleib.
Nach einer Stunde trafen Marc, die Polizei und die Spurensicherung ein. Weitere zwei Stunden später gab ich die Suche auf. Gemeinsam mit Devan und Marc ging ich kurze Zeit später Richtung Auto, um zu Lou zu fahren und dort nach Hinweisen zu suchen. Kurz vorher trafen wir auf einen Passanten, der sichtlich besorgt dreinschaute angesichts des "Polizeiaufgebots". Als er uns erblickte kam er auf uns zu.
"Sie sehen aus, als könnten Sie wissen, was hier los ist", fing er an und warf die Hände in die Luft. "Das hier", er gestikulierte zu den Häusern hinter sich, "ist eigentlich eine ruhige Nachbarschaft. Warum ist jetzt die Polizei hier? Gibt es Grund zur Beunruhigung? Ist was Schlimmes passiert?"
Marc berührte ihn beruhigend an der Schulter und schob ihn sanft etwas vom Fabrikgelände weg. "Aufmerksame Nachbarn können uns durchaus unterstützen, aber Sie müssen sich keine Sorgen machen."
"Nur eine Übung", lächelte ich. "Kein Grund zur Beunruhigung." Marc warf mir einen langen Blick zu, wandte sich aber schnell wieder dem Mann zu, als der zu sprechen ansetzte.
"Hängt das vielleicht mit den Männern zusammen, die hier öfter ein- und ausgehen?", erkundigte sich der Mann mit zusammengeschobenen Augenbrauen und deutete auf die alte Fabrik im Hintergrund.
Marc begann, mit dem Fuß zu wippen. "Können Sie diese Personen näher beschreiben?"
"Es war die übliche Freundesgruppe um Andreas Lohmann. Alle Anfang, Mitte dreißig. Zerissene Jeans und dunkle Kapuzenpullis, einer blond, drei braunhaarig und drei schwarzhaarig, allesamt mit Bart."
Ich zog meinen Notizblock hervor und notierte die wichtigsten Stichpunkte.
"Kennen Sie die Namen?", wollte Devan wissen.
Die Schultern des Mannes sackten nach unten. "Nein, leider nicht. Ich kenne nur Andreas Lohmann. Der hat ja noch bis vor kurzem in der Nähe gewohnt."
Marc nickte. "Wissen Sie, wo er jetzt wohnt?"
"Leider nein. Aber die Gruppe kam immer aus Richtung des Neubaugebietes nur zwei Querstraßen weiter."
"Okay, vielen Dank für die Hinweise", bedankte ich mich nickend.
Der Mann neigte den Kopf und verschwand langsam schlurfend in Richtung der Villen.
Schweigend gingen Marc, Devan und ich zum Auto. Kurz bevor wir uns trennten, tippte Marc mich an. "Und Evans", meinte er in einem belehrenden Tonfall. "Merken Sie sich, lügen Sie keine Nachbarn an. Von mir aus können Sie ihnen die Wahrheit verheimlichen. Aber lügen Sie sie nicht an."

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