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Er zögerte, schien nachzudenken, abzuwägen, ob er es wagen sollte mich herauszufordern. Aber als er die Hand hob, erreichte Marc ihn und hielt seine Hand fest. "Wollten Sie gerade meine Agentin schlagen?", fragte er drohend.
"Ähh... Ähm... Nei... Nei...", stotterte er mit großen Augen.
"Und jetzt öffnen Sie die Tür", unterbrach Marc sein Gewinsel.
Den Moment nutzte ich und stibitzte flink den Schlüssel von seinem Gürtel. Schnell hatte ich den richtigen gefunden und schloss die Tür auf. Hohe Regale offenbarten sich uns und verbargen den Großteil des Raums in ihren Schatten.
Ich zog meine Waffe. Marc hatte sie ebenfalls gezogen und wir tasteten uns vor, den Raum zu sichern. Als ich einen Lichtschalter sah, drückte ich ihn. Mit dem Ton eines zerspringenden Glases sprangen die Halogen-Röhren an der Decke an und sandten surrend Licht aus. Als wir um ein großes Regal liefen, sahen wir schon die blutigen Bandagen auf einem Arbeitstisch. Auch das Erste-Hilfe-Set war mit blutigen Fingerabdrücken übersät. Nachdem wir das kleine Lager gesichert hatten, gingen wir wieder zurück und sicherten die Beweise. Ich zog mir die Vinyl-Handschuhe an und wollte einige Proben nehmen, doch Marc stoppte mich.
"Da wir nicht genau wissen, ob dies mit unserem Fall zu tun hat, ist dies kein Fall für uns, sondern für die örtliche Polizei", bemerkte er zerknirscht, während er sein Handy hervorkramte und die Nummer der Polizei wählte. Ich war einigermaßen perplex. Normalerweise gab Marc einen Scheiß auf Vorschriften.
Trotzdem testete ich die Blutlache, ob es Menschen- oder Tierblut war. Das tat ich, während sich der Tankwart um Kopf und Kragen redete. Als er begann, etwas über die Ursache des Blutes zu faseln, schlug der Test an und strafte seine Worte Lügen. "Hören Sie besser auf, solange Sie noch können."
Es war tatsächlich Menschenblut. Die Polizei konnte keine unmittelbare Ursache für das Blut feststellen. Also fuhren wir zurück.

Als die Polizei die Blutproben im Labor untersucht hatte, stellte sich heraus, dass es sich um Tony Doyle's Blut handelte. Aber damit würden wir uns morgen beschäftigen.
Ich war noch an der Tankstelle in einer Querstraße und holte mir dort eine Flasche Whiskey. Das hatte ich mir nach dem heutigen Tag wirklich verdient. Ich ließ sie in meiner Tasche verschwinden und zündete mir eine Zigarette an. Bis zum Hotel rauchte ich zwei. Ich nahm den Fahrstuhl und stand bald mit der Schlüsselkarte vor der Hotelzimmertür.
"Wo warst du?", rief Devan aus dem Wohnzimmer.
Ich verdrehte die Augen. Ich hasste es, wenn er sich als mein Therapeut aufspielte. "Geht dich was Feuchtes an", erwiderte ich gereizt.
Als ich in die Küche gehen wollte, tauchte er plötzlich vor mir im Türrahmen auf. "Was ist los? Fängst du jetzt wieder so an?"
Erneut verdrehte ich genervt die Augen und verzichtete auf eine Antwort. Ich quetschte mich an ihm vorbei und stellte meine Tasche auf einen Stuhl. An dem Stapfen hinter mir hörte ich, dass er mir folgte. Mit zusammengekniffenen Augen drehte ich mich zu ihm um. "Was willst du?"
Er starrte mich lange und leer an. "Das weißt du."
"Mir geht es gut", antwortete ich monoton ohne ihn anzugucken, während ich mir meinen Windbeutel aus dem Kühlschrank nahm. "Ist das Verhör jetzt beendet?" Missmutig stierte ich zu ihm hoch.
Er hielt meinen Blick eine Weile, biss sich geistesabwesend auf die Innenseite seiner Wange und schien nachzudenken. Ich konnte sehen, wie seine Kiefer mahlten. Dann wandte er sich wieder ab und verschwand im Wohnzimmer.
Ich schnappte mir noch die Whiskey-Flasche und eine Chips-Tüte und verdünnisierte mich ins Schlafzimmer. Mit einem Seufzer schmiss ich mich auf mein Bett und schaltete meinen Laptop an. Ich stellte den Windbeutel auf den Nachttisch und öffnete Netflix. Ich suchte mir einen guten Film heraus und steckte mir die Kopfhörer in die Ohren.

Eine Stunde später war die Whiskey-Flasche halb leer. Ich hatte den Windbeutel in mich reingestopft, während ich an das Streitgespräch mit Marc denken musste. Vielleicht hatte ich tatsächlich überreagiert. Immerhin stimmte es, dachte ich und kaute abwesend auf meinen Chips. Er wollte doch nur das Beste für mich. Erneut trank ich zwei Schluck von dem Alkohol. Ich war einfach nur unbelehrbar und stur. Plötzlich wurde mir schlecht und mir kamen die Tränen, als etwas der scharfen Magensäure in meine Speiseröhre schwappte. Ich warf den Laptop von mir und sprang auf, um ins Bad zu sprinten. Schwungvoll schmiss ich Klodeckel und Klobrille zurück und kniete mich vor die Toilette. Ich erbrach alles, was ich ihm Magen hatte.

Noch ungefähr zehn Minuten hockte ich nach Luft ringend auf den kalten Fliesen, bis sich mein Herz beruhigt hatte. Verdammt, warum war ich nur so stur? Ein paar stumme Tränen stahlen sich in meine Augen, doch ich zwinkerte sie weg.
Als die Wände und der Boden nicht mehr schwankten, erhob ich mich und stolperte in die Küche, um mit einer Cola den brennenden Geschmack meiner Magensäure aus dem Mund zu spülen. Ich war noch etwas unsicher auf den Beinen und knallte gegen einen der Küchenschränke. Der Knall alarmierte Dave. Ich dagegen gab mich unbeeindruckt, nahm die Cola aus dem Kühlschrank und trank in großen Schlucken die Hälfte der Flasche aus.
"Alles in Ordnung, Lilly?", fragte Dave und musterte mich von oben bis unten mit kritisch gerunzelter Stirn. "Bist du betrunken?"
Die Kohlensäure zischte in der Flasche, als ich sie hinabsenkte und zuschraubte. "Nein."
"Was ist -" Dave hörte schlagartig auf zu sprechen, als er verstand.
"Nur ein einmaliger Zwischenfall", schwächte ich ab und griff mir stöhnend an den Kopf. Er versperrte den Rückweg ins Schlafzimmer und so presste ich mich an ihm vorbei.
Er hielt mich am Oberarm fest. "Du riechst nach Alkohol."
Reglos starrte ich ihn an. "Und? Darf ich jetzt nicht mal mehr was trinken?"
Er wiegte den Kopf. "Ich mache mir nur Sorgen um dich."
Eine Weile blickte ich forschend in seine Augen, um seine Intention zu ergründen. Irgendwann verschwamm alles miteinander und mir wurde schwindelig, als ich mich aus seinem Griff losriss und wieder ins Schlafzimmer marschierte.
Der Film war inzwischen weitergelaufen, ich hatte vergessen, ihn anzuhalten. Genervt schloss ich die offenen Tabs und fuhr meinen Laptop herunter. Ich schmiss ihn auf die andere Bettseite des Doppelbettes und vergrub meinen schwerer werdenden Kopf in den Kissen.

Most wantedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt