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Nach Luft schnappend wachte ich auf, aber ich sah nur die vertraute Decke, die ich schon in den letzten Wochen genau begutachtet hatte. Es wurde schon heller. Kälte zog unter die Decke und ich drehte mich um, um mich näher an die Wärme zu kuscheln, doch ich fand sie nicht. In einem Schreckmoment öffnete ich die Augen ganz. Marc war weg! Ich ertastete auf seiner Seite des Bettes noch eine geringe Restwärme, also konnte er noch nicht allzu lange weg sein.
Der Wecker zeigte 7.16 Uhr. Gleichzeitig hörte ich die Dusche im Bad rauschen und sank zurück in die Kissen. Ich hatte immer noch einen dröhnenden Schädel, aber Marc konnte sich nicht freinehmen. Er musste eine Ermittlung leiten und ich konnte mir nur vorstellen, wie schwierig es war, die Zusammenarbeit der örtlichen Polizei und des FBIs zu koordinieren.
Ich hörte es im Bad klappern, dann kam Marc mit einem Handtuch um die Hüfte gebunden hinaus. Er wirkte verlegen und verwirrt, runzelte die Stirn und kratzte sich am Kopf. "Ich habe gedacht, du schläfst noch", meinte er zögerlich. "Ich dachte, du hast gerufen."
Ich setzte mich auf und dabei musterte ich ihn nur mit einem kurzen Blick. Obwohl ich sehr wohl wusste, dass er durchtrainiert war, fand ich sein gut sichtbares Sixpack doch sehr attraktiv. Gespielt gelangweilt ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen, mied dabei jedoch Marc. "Ich habe schlecht geschlafen."
Marc nickte. "Ich mach' mich fertig, ich muss gleich zu Lou fahren und mich mit der Polizei in Kontakt setzen."
Nachdenklich nickte ich. "Gut."
Marc nickte mir ebenfalls zu und verschwand wieder.
Ich blickte mich um. Was sollte ich den ganzen Tag tun? Mein Blick wanderte von den Wänden über die Couch zur Küche. Alkohol würde das Warten bestimmt verkürzen. Dazu könnte ich noch einen Film schauen und Chips essen. Entschlossen stand ich auf und ging zum Kühlschrank. Ich griff mir die angefangene Weinflasche aus der Tür, schloss die Tür wieder und wollte mich umdrehen, als plötzlich Marc vor mir stand. Langsam nahm er mir die Weinflasche aus der Hand und stellte sie auf die Arbeitsplatte.
"Du hattest erstmal genug Alkohol", meinte er nur ruhig.
Ich presste die Lippen aufeinander, während ich ihn anstarrte. "Dann brauche ich meine Zigaretten."
Er stand viel zu dicht vor mir und ich konnte seinen warmen Blick auf meinen Lippen spüren. Aber dann hoben sich seine Augen wieder. Er zuckte mit den Schultern. "Red' mit Devan."
Trotzig verschränkte ich die Arme und beobachtete mit zusammengeschobenen Augenbrauen, wie er sich seine Waffe ins Holster steckte, seine Dienstmarke an seinen Gürtel und sein Portemonnaie und sein Handy in seine Hosentaschen. Dann drehte er sich um und ging ohne weiteren Kommentar zur Tür hinaus.
Mit einem gekränkten 'Pah!' ergriff ich die Weinflasche und wollte wieder ins Bett verschwinden, als Dave durch die noch offene Tür schritt. Als er mich mit der Weinflasche sah, nahm er sie mir natürlich sofort kommentarlos ab. "Dann will ich meine Zigaretten!", protestierte ich laut, doch er reagierte gar nicht. Stattdessen stellte er die Flasche ab, kam zu mir und legte mir seine Hände auf die Schultern.
"Tief durchatmen", befahl er mir und ich tat es. Seine Größe und seine Anwesenheit strahlten eine derart dominante Aura aus, so eine Sicherheit, dass ich mich sofort beruhigte. Atem und Puls verlangsamten sich und ich fühlte mich nicht mehr, als müsse ich sterben, wenn ich nicht bald eine Zigarette rauchen konnte.

Gegen 18.00 Uhr stieß Marc die Tür auf. Mit zusammengebissenen Zähnen und einem offenen Jackett knallte er zuerst sein Holster mit der Waffe auf den Tisch, dann seine Dienstmarke und sein Portemonnaie. Auch seine Hemd war nur hastig zugeknöpft, nicht richtig in die Hose gesteckt und seine Krawatte unordentlich gebunden. Das sah Marc so gar nicht ähnlich. Dafür gab es nur zwei Erklärungen. Entweder er hatte sich mit jemandem rumgeprügelt oder er hatte ein sehr heißes Date gehabt. Ich versuchte, mir ein Schmunzeln zu verkneifen. Seit wann hatte ich solche Gedanken? Ging mich doch überhaupt nichts an, was mein Boss in seiner Freizeit machte. "Man man man", stöhnte er leise vor sich hin und klang dabei frustriert und geschafft. Wohl doch eher Prügelei.
Interessiert rutschte ich auf dem Bett herum. "Was ist los?"
Marc drehte sich geschwind um und starrte mich an, als hätte er vergessen, dass er gerade in mein Zimmer gekommen war. Aber schnell entspannten sich seine Gesichtszüge wieder und er winkte leichtfertig ab. "Ach, nur Ärger mit der örtlichen Polizei", gab er zu und griff sich an den Kopf. "Hast du zufällig Alkohol da?"
Ich zog meine Knie enger an mich und schlang meine Arme um meine Beine. "Hat Devan alles einkassiert."
Er wandte sich geschwind um. "Achja, Entschuldigung", murmelte er, als habe er gestern Abend vergessen oder verdrängt. Ich hielt das für so gut wie unmöglich, zumindest bei ihm. "Energy-Drink? Irgendwas mit Koffein?"
Ich deutete hinter ihn. "Im Hängeschrank müsste noch was sein."
Marc verschwand kurz, ich hörte nur ein 'Ah!', dann ein schnelles, undeutliches "Danke", während er aus Richtung Küche mit einer Dose zur Couch ging, diese mit einem Knacken und einem Zischen öffnete und sich setzte. Er trank einen großen Schluck und verzog gleich den Mund. "Man, schmeckt das scheiße", kommentierte er.
Ich zuckte mit den Schultern. "Wenn's nicht schmeckt, kannst du's ja wieder auf den Tisch stellen, ich trink' das dann morgen."
"Niemals", erwiderte er erstaunlicherweise. "Ich brauche das Koffein."
Ich runzelte die Stirn. "Aber ich bin abhängig", kritisierte ich mit skeptischem Blick.
Stumm senkte er die Dose und starrte mich lange ernst über den metallenen Rand an. "Das bei dir ist was anderes", meinte er bloß. Klar.
Seufzend stand ich auf und ging in Richtung Bad. "Ja klar. Red' mit der Hand."
"Ich mein' das ernst!", rief er mir noch nach.
"Du musst es ja wissen", bemerkte ich leise mit gerunzelter Stirn.
Ich bemerkte nicht, wie er plötzlich hinter mir im Badezimmer auftauchte und sich aufbaute, die Fäuste in die Seiten gestemmt, wie ein kampfeslustiger Hahn. Bei dem Vergleich lachte ich innerlich auf.
Aber nach außen musste ich ernst bleiben und verschränkte die Arme vor meiner Brust. "Du musst es ja wissen als der Profi. Für praktisch alles."
Marc schob seinen Unterkiefer nach vorne, veränderte seinen Stand und verschränkte die Arme. "Hast du mich gerade arrogant genannt?", knurrte er.
"Nicht nur das", schoss ich genauso bissig zurück. "Du bist selbstverliebt und so von dir selbst überzeugt, und da musst du alle bevormunden."
Marc biss die Zähne zusammen und seine Kiefermuskeln spannten sich an. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt behaupten, er trainiere dafür, dass er eine so wohlgeformte, scharf gezeichnete Kinnlinie hatte. "Und du bist besser? Tust so, als hättest du die Weisheit mit Löffeln gefressen, aber bist erst seit einem Jahr Special Agent", konterte er.
Ich presste die Lippen fest aufeinander. Er hatte ja recht.
"Du versinkst in Selbstmitleid! Und statt dir Hilfe zu holen, trinkst du!", fuhr er zornig fort, redete sich geradezu in Rage.
Erschrocken über seine heftigen Worte drehte ich mich zu ihm und wich zurück.
"Ohne Devan und mich wärst du jetzt wahrscheinlich tot." Als er geendet hatte, hob und senkte sich sein Brustkorb schwer unter seinen tiefen, aber schnellen Atemzügen. Es wirkte fast, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen.
Ich schluckte heftig. Ja, wie Recht er doch hatte. Vielleicht wäre es besser, wenn ich gestorben wäre. Tränen stiegen mir in die Augen. Mein Blick irrte über die Badezimmerfliesen. Ich musste mich zerstören, oder ich würde mich selbst und andere zerstören. Schließlich griff ich blitzschnell nach einem Zahnstocher und wollte ihn mir in den Arm rammen, doch Marc sprang genauso schnell zu mir, hielt meinen Arm fest und nahm mir den Zahnstocher weg.
"Warum kannst du nicht nur einmal normal sein?", forderte er zu wissen, "Warum musst du immer gleich so überreagieren? Wie willst du bitteschön in dieser Welt bestehen?"
Tränen liefen mir über die Wangen.
"Könntest du bitte mal aufhören, so egoistisch zu sein und anfangen an die zu denken, die dich gern haben?" Sah ich da etwa... Trauer, Bedauern, Sorge in seinen Augen aufblitzen? Ich glaubte einige Tränchen zu erkennen, die seine Augen neu mit Flüssigkeit benetzten.

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