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Gegen Mittag kamen Polizisten zu meiner Arrestzelle und schlossen sie überraschend auf.
"Ihr Boss ist gerade angekommen", meinte der Polizist unbewegt und hielt mir die Tür auf. "Er wartet im Verhörraum."
Meine Schritte offenbarten, wie sehr ich mich eigentlich auf ihn freute, obwohl mir das gar nicht so bewusst gewesen war. Ich riss die Tür zum Verhörraum auf und starrte in zwei moosgrüne Augen.
"Boss", brachte ich nur hervor und mit vor Aufregung zitternden Händen strich ich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. "Bin ich froh, Sie zu sehen."
Statt einer Begrüßung griff er entschlossen meinen Unterarm mit seiner Hand und zog mich in eine feste Umarmung. "Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat", murmelte er an meine Schläfe.
Eine Eigenschaft, die ich an ihm schätzte: Er verstand sofort, ohne Fragen zu stellen.
"Alles gut", murmelte ich und entzog mich ihm. Er packte mich an den Schultern und musterte mich mit sorgenvollem Blick. Ich sah ihm an, dass er mir nicht glaubte, aber er beließ es dabei.

Wir setzten uns auf die Stühle und warteten auf den Polizisten, der das ersehnte Wort verkündigen würde.
Und wie vermutet, nicht viel später traten eine junge Polizistin und ein älterer Polizist ein. Sie setzten sich auf die andere Seite. Mein Blick wanderte erwartungsvoll von einem zum anderen, dass sie die Stille durchbrechen sollten. Schließlich hob der Mann zu sprechen an.
"Ich bräuchte Ihren Dienstausweis", meinte er zu Marc.
Ohne weiteren Kommentar fischte er seinen Ausweis aus seiner Jackentasche und seine Dienstmarke vom Gürtel und breitete beides auf dem Tisch aus.
Der Polizist begutachtete beides genauestens und notierte sich etwas auf einem Bogen. Neugierig beobachtete ich ihn.
"Um sie gehen lassen zu können, müssten Sie hier unterschreiben, dass sie auch die Person ist, für die sie sich ausgibt."
Kommentarlos ergriff Marc den Stift und kritzelte seinen Namen auf die Linie.
"Außerdem müssten Sie uns erzählen, was Ms. Evans in der Tatzeit gemacht hat."
Er zuckte mit den Schultern und antwortete auf Englisch. "Sie hat wahrscheinlich ihre Zeit damit verbracht, das Haus des Verdächtigen zu observieren, nehme ich an", meinte er schlicht.
Die Polizistin zog die Augenbrauen hoch. "Um die Freilassung von Ms. Evans zu erreichen, müssten Sie schon mehr als annehmen."
Marc verdrehte die Augen. "Es ist Special Agent Evans, wenn Sie gestatten. Sie war im Dienst, undercover, auf einer Beschattungsmission." Marc räusperte sich und kratzte sich an der Nase. "Es geht um die nationale Sicherheit", fügte er mit mehr Nachdruck hinzu, was die Polizisten endlich zu überzeugen schien.
Zweifelnd wanderte der Blick des Mannes von mir zu Marc, bevor er ergeben seufzte.

Als wir durchs Foyer schritten, raunte mir die junge Polizistin leise zu: "Ein Glück haben Sie mit Ihrem Boss, dass er Sie so hier rausgekickt hat. Mein Boss hätte das nicht gemacht."
Bevor ich etwas erwidern konnte, erreichten wir die Tür und die Polizistin hielt sie für uns auf. "Machen Sie's gut mit Ihrer Ermittlung. Und viel Erfolg weiterhin."
Da trat Marc ihr noch einmal nahe und runzelte die Stirn. "Sie werden bestimmt noch von uns hören. Sie glauben doch nicht, dass wir Ihnen diese Ermittlung jetzt einfach so überlassen."
Die Polizistin zog die Augenbrauen hoch. "Klären Sie das mit der Chefetage." Und damit ließ sie die Tür vor unserer Nase ins Schloss fallen.

Wieder im Hotel ließ ich mich erstmal auf mein Bett fallen. Marc blieb verunsichert im Flur stehen und beobachtete mich mit den Händen in den Hosentaschen.
Ich seufzte. "Endlich ist dieser Wirrwarr vorbei", presste ich hervor.
"Falsch", kam nur von Marc, der jetzt zu meinem Bett schritt. "Das Wirrwarr fängt gerade erst an."
Ich stöhnte. "Lassen Sie mich doch einmal träumen."
Er blickte fast gelangweilt zur Tür. "Ich frag' mal an der Rezeption nach der Schlüsselkarte."
Mein Kopf schoss hoch. "Sie haben noch kein Zimmer?"
Marcs Blick traf auf meinen. "Doch. Ich hab' die Kollegen, die mir auch den Flug versorgt haben, damit beauftragt, mir ein Zimmer neben Ihrem zu besorgen."
"Achso." Ich ließ mich wieder in die Kissen sinken und starrte die Decke an.
"Machen Sie sich schonmal fertig, Evans, in einer Viertelstunde fahren wir zum Tatort."

Wir trafen uns vor dem Hotel, beide fertig angezogen inklusive Dienstmarke, -ausweis und -waffe, eine Glock. Ich hatte schon wieder eine Zigarette zwischen den Fingern.
Marc deutete auf die Zigarette und blickte dann zu mir. "Seit wann rauchen Sie wieder?"
Ich hauchte den Rauch gen Himmel und holte tief Luft. "Seit gerade eben."
Er warf mir einen besorgten Blick zu. "Sie wissen, dass das nicht gut ist."
Ich warf ihm einen langen Blick zu, stieß die Luft zwischen den Zähnen hervor und tippte auf die Zigarette zwischen meinen Fingern. "So einiges ist gerade nicht gut", meinte ich bitter und führte diese ein weiteres Mal an meine Lippen.
Marc seufzte und ließ seinen Blick über die Häuser schweifen. "Wenigstens ist Lou noch mit Vernunft beizukommen", presste er kritisch hervor.
Ich antwortete nicht.

Am Tatort war nicht viel zu machen. Die Leiche war schon durch den lokalen Rechtsmediziner abgeholt worden und lag nun vermutlich dort im Kühlraum in der Pathologie.  Wir sicherten nur die Beweise, die noch vor Ort waren. Mithilfe einiger Kollegen konnten Marc und ich schon nach zwei Stunden wieder gehen und suchten Lou in ihrer "Computerhöhle" auf.
Zusammen sichteten wir das aufgenommene Material aus Alexander's Haus, was uns aber keine neuen Informationen einbrachte.
Er schien eine der Mini-Kameras bemerkt zu haben, weswegen er Verdacht geschöpft und sich verdünnisiert hatte.
Er hatte das Haus durch die Garage verlassen, wo ich leider noch keine Kamera hatte anbringen können. Dadurch aber war er nun Hauptverdächtiger im Falle des Mordes.

Als ich wieder im Hotel ankam, war ich fix und fertig. Der Tag, nicht zuletzt die in Gewahrsamnahme bei der Polizei, hatte an meinen Kräften gezehrt. Erschöpft verabschiedete ich mich vor meiner Hotelzimmertür von Marc und hörte kaum, wie er mich zu Zimmerruhe für den nächsten Tag verdonnerte. Das war mir eigentlich ganz recht; ich konnte ein bisschen Erholung ganz gut gebrauchen.
Ich schmiss die Tür hinter mir zu, ohne zurückzublicken.

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