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Mit offenem Mund starrte ich ihn an. So hatte mir das noch niemand gesagt. Es öffnete mir etwas die Augen und ich erkannte, wie beengt vorher meine schwarz-weiße Welt gewesen war. Wenn ich schon weiterlebte, dann zumindest für sie, wenn schon nicht für mich. Ich schaute hinab auf meinen Verband am Unterarm.
Auf einmal löste sich Marc ruckartig aus seiner Starre und kam zu mir, um mich fest zu umarmen. "Ich hätte dich fast verloren", murmelte er in meine Haare.
Darauf hatte ich keine Antwort, also blieb ich stumm. Was sollte ich schon sagen außer 'Es tut mir leid, ich wollte zwar sterben, aber nicht, dass du mit leidest oder mich gar siehst'?
Er fasste mich an den Schultern und schob mich ein Stück von sich weg. "Das darf nicht mehr vorkommen", meinte er streng, während er mich intensiv anblickte.
Ich nickte heftig. "Ich versuch's."

In der Nahbereichssuche hatte die Polizei das Handy des Mordopfers gefunden. Durch die Analyse der Anrufliste hatten sie festgestellt, dass Clay und das Mordopfer verschiedene Leute angeworben hatten. Der Verdacht erhärtete sich, dass Tony Doyle nur ein Angeworbener war und abgelehnt hatte durch diverse Indizien wie Überweisungen und SMS.
Lou musste aber noch die Videoaufnahmen der Supermarktüberwachungskamera sichten, und dabei sollte ich ihr helfen. Ich merkte, wie Marc immer wieder seinen Blick zu mir schweifen ließ, als könne er mich nicht aus den Augen lassen, ohne dass ich etwas Dummes anstellte. Zugegeben, bei dem vorangegangenen Ereignissen hatte ich sogar Verständnis dafür. Aber ich wurde den Gedanken nicht los, dass er mir nicht zutraute, objektiv zu bleiben, weil ich so intim mit dem Fall zu tun hatte. Die Gedanken drängte ich jedoch so gut es ging in den Hintergrund.
Auf dem Video konnte man zwar weder den Täter noch die Waffe genau identifizieren, aber dafür konnte man sehr gut erkennen, in welche Richtung der Täter nach der Tat ging. Ich hatte die Idee, den Weg abzugehen. Vielleicht fanden wir Hinweise.

Marc betraute Lou und mich mit dem Auftrag den genauen Weg abzugehen, den der Täter nach der Tat gegangen ist.
Das kam Lou wie gelegen. Sie hätte zu gerne nähere Informationen, wie genau das Verhältnis von Marc zu mir aussah. Durch geschicktes Ablenken der Gesprächsthemen gelang es mir tatsächlich, dies für mich zu behalten. Vorerst zumindest, ich musste es erst einmal selbst verdauen.
Beim Abgehen des Fluchtweges konnten wir neben DNA- und Fingerabdruckspuren auch die Tatwaffe sicherstellen. Dies half der Forensik zu beweisen, wer genau der Täter war. Dann würde es verhältnismäßig leicht sein, ihn ausfindig zu machen, festzunehmen und seiner Strafe zuzuführen. Und wenn wir uns nicht täuschten, hatte dies alles auch die Zerschlagung einer Schläferzelle als erfreulichen Nebeneffekt.
Neben den ganzen forensischen Beweisen hatten wir noch ein Handy gefunden, was es zu durchsuchen galt. Das blieb natürlich Lou und mir überlassen, während die Jungs draußen ihren Spaß hatten. Tja, das hatte ich mir diesmal wohl selbst zuzuschreiben und auch mehr als verdient, bedauerte ich schuldbewusst mit schmollend vorgeschobener Unterlippe. Was ich allerdings noch mehr bedauerte, war die Tatsache, dass Lou allmählich etwas nervig wurde mit ihrer Fragerei.
"Also... ihr seid euch nähergekommen, oder?", meinte sie, ohne vom Computermonitor aufzublicken. "Echt, das merkt man total! Ihr seid so ein süßes Pärchen!"
Ich verdrehte heimlich die Augen und überlegte, ob es sich lohnte, ihr zu widersprechen. "Überhaupt nicht, aber du hörst eh nicht zu."
"Habt ihr euch geküsst? Ich wette, ihr habt euch schon geküsst", plapperte sie weiter wie ein Wasserfall. "Wann schlaft ihr miteinander? Awwww!" Sie schlug sich eine Hand vor den Mund und blickte mir aufgeregt in die Augen. "Ihr habt's schon getan! Das traue ich euch zu! So heiß wie's zwischen euch sicher zugeht! Man, da schwitzt man ja schon beim Zusehen!"
"Natürlich", stöhnte ich und öffnete mir eine Energy-Drink-Dose.
"Wirklich... die Blicke, die ihr euch zuwerft, verraten genug - woah!"
Ich hob schnell beide Hände und überschwapperte dabei fast meinen Energy-Drink. "Soviel auch wieder nicht!"
"Nein nein!" Aufgeregt zupfte sie an meinem Ärmel. "Sieh nur, die SMS!"
"Ja doch, ich schau' doch schon hin!" Genervt entriss ich ihr meinen Arm.
"Nein nein, lies' mal hier!"
Geschwind überflog ich den Text. "Da steht was von einem illegalen Boxkampf..." Ich zuckte mit den Schultern und lehnte mich zurück. "Nichts für uns, interessiert aber möglicherweise die lokale Polizei."
Sie vergrößerte einen Abschnitt. "Die SMS hier! Die Zahlen! Das sind Koordinaten! Und die Nummer, das könnte Tony Doyle sein."
Ich gestikulierte wild mit den Fingern. "Dann tippiditip mal und erleuchte uns."

Es waren am Ende doch zu wenig Zahlen für Koordinaten, aber die SMS wurde wirklich von einem Wegwerfhandy gesendet, das Tony Doyle mit Kreditkarte bezahlt hatte. Aber mit ein bisschen Nerd-Magie und 'ner Menge spezieller Lou-Computer-Tricks schaffte sie es, noch bevor Marc und Devan zurückkamen, den mutmaßlichen Standpunkt auszuloten. Es war eine Lichtung mitten im Wald. Um sich vor uns zu verstecken, hätte er sich schon was Besseres eingefallen lassen müssen, grinste ich in meinen Energy-Drink. Aber wahrscheinlich hatte er größere Probleme als uns.

Mit Funkgerät, schusssicherer Weste, Handschellen und Hüftholster gingen Devan, Marc, Lou, einige Polizisten und ich auf einem Schotterweg in Richtung der Koordinaten, die Lou herausgefunden hatte. Wir erwarteten, ein Zelt oder ein Wohnmobil vorzufinden. Aus diesem Grund teilten wir uns kurz vor Erreichen des Zieles auf, um Tony Doyle den Fluchtweg abzuschneiden, falls er versuchte zu fliehen. Mit gezückten Waffen bahnten wir uns einen Weg durchs Unterholz. Wir waren relativ überrascht, als eine Holzhütte zwischen den Bäumen auftauchte. Per Funkgerät kommunizierten wir leise, dass wir alle Ausgänge sichern würden. Das schloss die einzige Tür ein und die wenigen Fenster. Vorsichtig guckte ich in den Raum hinein. Auf einer Isomatte und einem Schlafsack saß Tony Doyle mit einem zerfledderten, blutigen Verband um den Oberarm. Er schien etwas zu ahnen, als Marc die Tür eintrat, aber ließ sich widerstandslos von Devan festnehmen. Ich stand draußen und konnte nicht genau verstehen, was gesprochen wurde. Ich ging mit den anderen Polizisten vor zum Weg. Als ich an den Weg kam, befand sich Tony Doyle gerade im Gespräch mit Devan, aber als er mich sah, verfinsterte sich sein Gesicht und er presste die Lippen aufeinander. Schweigsam stolzierte er an mir vorbei und stieg ins Auto ein, das ein Polizist vorgefahren hatte. Marc und zwei andere Polizisten fuhren mit ihm im Auto, während wir zu den an der Straße geparkten Autos liefen.

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