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Dave fiel tatsächlich eine bessere Methode ein, als mich zu fesseln: Er fuhr mit mir aus der Stadt zu einem idyllischen Wald und wir wanderten ein paar Stunden. Darüber vergaß ich tatsächlich die Arbeit und konnte etwas entspannen.

Dafür startete dann der nächste Tag umso blöder. Dave und ich saßen beide noch in unserer Schlafaufmachung müde am Tisch und frühstückten Cornflakes und Orangensaft. Auf einmal summte mein Handy und ich sah Marcs Namen auf dem Display. Seufzend nahm ich ab und stellte auf laut.
"Guten Morgen, wir können Sie beide hören", sagte ich nur kühl.
Aber Marc ging gar nicht darauf ein. "Die Früh-Streife der Polizei hat einen Transporter mit einer Leiche gefunden", informierte er uns. "Der Transporter ist zugelassen auf Rolf Loikowski. Deshalb hat die Polizei uns informiert." Er räusperte sich und es knackte in der Leitung, als er das Handy in die andere Hand nahm. "Wie schnell könnt ihr bei Lou sein?"
Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte ich zu Devan. "Fünfzehn Minuten", meinte Devan und rührte in seinen Cornflakes. Dann stand er auf und kippte die Cornflakes in die Spüle.
Ich blickte von ihm zu meinem Handy. Inzwischen hatte Marc aufgelegt. Ich kippte selbst meine Cornflakes weg und flitzte ins Bad, um mich anzuziehen.
Bei Lou hielten wir uns gar nicht lange auf. Wir fuhren gleich los zur Fundstelle.
Fast sofort identifizierte ich ihn als Clays Komplizen, der mich mit Clay gefangen gehalten hatte. Über der Spurensicherung erwähnte Marc beiläufig, dass Richie, Dr. Richard Lowell, der FBI-Rechtsmediziner auf dem Weg hierher war. Anscheinend war Marc so paranoid, dass er der Polizei und deren Rechtsmediziner vor Ort grundsätzlich misstraute. Aber das sollte mich nicht überraschen, nach allem, was ich über Marc in Erfahrung gebracht hatte.
Wie es seine Art war, kommandierte er Dave und mich nur herum. Er schickte Dave zum Aufnehmen der Zeugenaussagen weg. Er selbst entdeckte neben dem Wagen (imaginäre) Fußabdrücke und sein Instinkt sagte ihm sofort, dass der eigentliche Tatort in dem kleinen Waldstück ein paar hundert Meter hinter dem Transporter zu finden war. Natürlich war ich wieder die Leidtragende, die ihn begleiten musste, um seine irrsinnige Theorie zu be- oder widerlegen.
„Glauben Sie wirklich, dass er woanders umgebracht wurde?", begann ich ihn vorsichtig darauf anzusprechen, während wir über die kurzgemähte Wiese zum Wald stapften.
„Ja", antwortete er nur kurz angebunden.
Ich verdrehte die Augen. „Mein Instinkt sagt mir, dass es diesmal nicht so kompliziert ist. Der Mord war vermutlich nicht geplant", sprach ich weiter.
Abrupt drehte er sich zu mir um und starrte mir stumm in die Augen. „Erstens, hierbei haben wir es mit einem Profi zu tun. Und zweitens, Special Agent Evans", diese Worte spuckte er mit einer verbitterten Verachtung aus, „sind Sie bei Weitem noch nicht lange genug Ermittlerin, um so etwas wie einen Instinkt haben zu können."
Während er sich wieder dem Boden zuwandte, schluckte ich die Unsicherheit hinunter und meine Augenbrauen zogen sich bitterböse zusammen. „Eigentlich bin ich nicht zum FBI gegangen, um so etwas wie Sie", ich legte besonders Betonung auf das Sie, „ertragen zu müssen."
Er drehte sich erneut um, aber diesmal deutlich langsamer und stierte nur stumm in meine Augen. An der Art, wie sich seine Augenbrauen zusammenschoben und den Eindruck eines zum Flug ansetzenden Adlers machten und daran, wie der sonst klare, aufmerksame Blick seiner grüngrauen Augen wie von dunklen Wolken überschattet wurde, zeigte mir, dass etwas von meiner Aussage ihn tief im Inneren berührt hatte.
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Ich meine, ich bin auch eine geschulte Ermittlerin, und dass meine Meinung, meine Wahrnehmung und ich hier so komplett übergangen werden, gibt mir das Gefühl, nicht als Person respektiert zu werden", schob ich schnell nach, in der Hoffnung, meiner vorangegangen Aussage etwas ihrer Aggressivität zu nehmen.
Er wandte sich wieder um und schwieg eine Weile; so lange, dass ich schon dachte, er würde die Anmerkung keiner Antwort würdigen. Aber er überraschte mich wieder mit seiner nächsten Aussage: „Ich respektiere Ihre Meinung, Evans, aber Sie sind noch sehr jung, und ich versuche mein Bestes, um Sie zu schulen und zu einer guten Ermittlerin zu machen."
Das nahm mir zwar einen Teil meines Zorns, ließ ihn aber noch nicht ganz verpuffen. Immerhin hatte er mich auf das Persönlichste angegriffen. „Und Sie sind wohl der Meinung, dass Sie perfekt sind?" Ich baute eine Kunstpause ein, um den Satz und seinen Inhalt auf Marc wirken zu lassen. Er atmete lautstark aus und richtete sich auf, starrte aber nach wie vor von mir weg. „Sie sind nur ein paar Jahre älter als ich."
„Sieben Jahre mache ich den Job schon länger als Sie. In diesen Jahren sammeln Sie unersetzliche Erfahrung, die Sie als Ermittler prägt und effizienter macht. Ich versuche Ihnen lediglich zu helfen, diese Erfahrung zu sammeln." Sein Seufzer am Ende klang erschöpft.
Für mich war es aber nicht so leicht erledigt und ich empfand auch recht wenig Mitleid mit ihm. „Und das gibt Ihnen das Recht, mich so-" Ich suchte nach dem passenden Wort, um meiner Aussage mehr Bedeutung zu verleihen. „- furchtbar trocken herumzukommandieren."
Marc seufzte noch einmal. Es klang so resigniert, dass ich ihn entgegen meiner Gefühlslage beinah in den Arm genommen hätte. „Kündigen Sie doch."
Hinter seinem Rücken verdrehte ich heimlich die Augen und folgte ihm stattdessen schweigend durch das trockene Gras ins dichter werdende Unterholz.
Wir kamen zu einer bestimmten Stelle im Wald, eine Lichtung in Randnähe. Trotz dass ich keine Fußabdrücke oder andere Zeichen erkennen konnte, dass vor kurzem irgendjemand hier gewesen war, bestand er darauf, dass dies der richtige Ort war. So genervt wie er klang, hielt ich lieber den Mund und dachte mir meinen Teil. Wir sammelten alle potentiellen Beweisstücke ein und tüteten sie ein.
Zurück am Transporter überreichten wir der Polizei unsere Schätze, die schon die Augen rollten, als wir näher kamen. Da sie Marc nicht bei anderen Ermittlungen kennengelernt haben dürften, besaßen sie wohl einfach eine gute Menschenkenntnis. Ich konnte es ihnen nicht verübeln und sie taten mir sogar etwas leid, dass sie jetzt beutelweise forensische Beweise (vielleicht, vielleicht aber auch nicht) untersuchen durften. Sehr viel Zeit blieb mir dafür allerdings nicht, da Marc mich am Arm packte und zum Auto schob. Er winkte Devan heran und bedeutete mir, auf dem Rücksitz Platz zu nehmen. Devan stieg vorne ein,
„Wo geht's hin, Boss?", doch er bekam wie so oft keine Antwort. Ich seufzte. Am Ende des Tages waren wir doch nur Untergebene und ein verbohrter Idiot wie Marc würde sich nicht ändern.

Most wantedWo Geschichten leben. Entdecke jetzt