Chapter 75

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Ich drehe mich unruhig hin und her. Suche vergeblich nach dem Schlaf, den ich dringend benötige um für die Rückkehr genügend Reserven zu haben. Vielleicht ist es gerade das, was mich daran hindert einzuschlafen. Der Gedanke daran, sie wieder zu sehen. In ihre liebevollen Augen zu sehen, nachdem man tagelang in wilde, rebellische Augen geschaut und sie zu ergründen versucht hat. In Erklärungsnot zu geraten und einen Weg für die Zukunft darlegen zu müssen, dessen Grundsätze nicht einmal annähernd entwickelt sind. Nein, ich habe nicht einmal eine Idee wie es nun weitergehen wird. Das Vertrauen in mich und meine Entscheidungen ist auf den Nullpunkt gesunken. Sämtliche Entscheidungen meinerseits haben Opfer gefordert. Gerade das, was doch verhindert werden sollte oder etwa nicht? Ich bin es leid, Antworten auf Fragen zu haben, die mich selbst Nacht um Nacht quälen. Ich bin es leid, Wege aus der Dunkelheit zu finden, dessen Ursache ich nicht wage zu beseitigen. Ich bin es leid, für das Wohl anderer in gewissen Maße verantwortlich zu sein. Dieses Rudel würde mich verändern, hat Dad damals gesagt und er hat Recht behalten. Ich bin viel erwachsener geworden, habe mich von meinem alten Ich verabschiedet und bin zu einer jungen Frau geworden. Doch zu welchem Preis?

Ich richte mich im Bett auf und blinzle, während sich meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen versuchen. Zacharys Seite ist leer, was mich nicht verwundert. Er steht oft nachts auf, um etwas zu trinken, das Bad zu benutzen oder sich zu vergewissern, dass sich keine ungebetenen Gäste in der Nähe befinden. Eine ruhige Nacht sieht anders aus, aber solange es ihn beruhigt regelmäßig das Gelände zu kontrollieren soll es mir recht sein. Ich habe kein Interesse an einer erneuten Diskussion über seine Patrouille. Die habe ich bereits vor einigen Tagen geführt und sie mit erhobenem Haupt glorreich verloren. Als Zack jedoch auch in der darauffolgenden halben Stunde nicht auftaucht, greife ich nach meinem Handy und durchsuche das Haus nach einem Lebenszeichen von ihm. Als ich auch im Keller niemanden antreffe schalte ich mein Handy ein und versuche mich an den Moment zu erinnern, in dem ich es ausgeschaltet habe. Ich schalte mein Handy nie aus und schon gar nicht dann, wenn ich von den Welpen getrennt bin. Vielleicht erinnere ich mich nicht daran, weil ich es im Halbschlaf ausgeschaltet und in den Nachttisch gelegt habe. Gut, ich erinnere mich zwar auch nicht daran jemals diesen Nachttisch auch nur angesehen zu haben, aber das tut nicht weiter zur Sache. Mit dem Handy in der Hand laufe ich ins Schlafzimmer zurück, schlüpfe in meine Jogginghose und krame in meinem Rucksack nach einem passenden Oberteil. Als ich den Hoodie von Joshua herausziehe, spüre ich wie meine Wangen erröten. Ich vermisse diesen eifersüchtigen Mistkerl. Dass ich das mal von mir behaupten kann. Ich vermisse diesen Kerl, der mich vom ersten Tag an nicht gemocht und in keinsterweise ernst genommen hat. Ständig wettete er auf meine Niederlagen und verdiente sich etwas Kleingeld dadurch, weil Milan und Milow einen gefährlichen Drang zur Spielsucht besitzen und einfach nicht aus ihren Fehlern lernen. Und heute vermisse ich ihn? Verdammt, meine Entscheidungen sind wirklich für nichts zu gebrauchen und mein Herz sowieso ein einziges fehlgeleitetes Organ, das dringend zur Reparatur eingereicht werden muss. Ich drücke den Hoodie an meine Brust, genieße den zarten Geruch nach seinem Parfüm und schäme mich gleich darauf. Ich würde durchdrehen, wenn Zachary sich so gegenüber Gegenständen von anderen Frauen verhält. Warum also tue ich so etwas? Nicht nur mein Herz scheint reparaturbedürftig. Mein gesamtes Wesen müsste dringend einmal generalüberholt werden und das möglichst zeitnah. Da diese Komplettreparatur noch in weiter Ferne liegt ziehe ich mir den Hoodie über den Kopf und hoffe, dass Zachary den fremden Geruch nicht bemerkt. Andererseits hat er mir nichts von sich da gelassen. Was bleibt mir also anderes übrig? Frieren ist schließlich keine Alternative. Ich entsperre mein Handy und überfliege die zahlreichen Nachrichten und Anrufe, ohne sie zu verinnerlichen. Darum kümmere ich mich später. Zachary zu finden ist gerade klare Priorität. Allein in einem Haus mitten im Nirgendwo ist nicht unbedingt meine favorisierte Situation. Dafür habe ich zu viele Horrorfilme gesehen. Ich schleiche nach draußen und schaue mich in der Dunkelheit um, mit der sich meine Augen mittlerweile vertraut gemacht haben. Sie können allerdings dennoch nichts entdecken, was auf Zacharys Verbleiben schließen lässt. Ich suche das gesamte Gelände ab, prüfe zwei Mal den Garten und lausche in den Wald hinein, doch erkenne kein Lebenszeichen. Wo ist er nur und warum lässt er mich ohne Vorwarnung mitten im Wald zurück? Ein mulmiges Gefühl breitet sich in mir aus und als ich in der Ferne ein Grunzen höre, ist es mit meiner anfänglichen Gelassenheit dahin und ich renne panisch in die nächstgelegene Hütte. Ich bin in der Stadt aufgewachsen. Wie soll ausgerechnet ich mich mitten in der freien Wildbahn zurechtfinden und verteidigen können? Das ist schier unmöglich. Zumindest versucht mir meine innere Stimme, die panisch umher zappelt, genau das einzureden. Mit klopfendem Herzen schließe ich die Tür hinter mir und bahne mir den Weg in Zacharys Kinderzimmer. Panisch prüfe ich die verschlossenen Fenster auf ihren Sicherheitsaspekt und krame aus dem Nachttisch eine Packung Streichhölzer. Vorsichtig zünde ich eines an und entfache die verstaubte Kerze zum Leben, welche auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett steht. Erleichtert seufzend lasse ich mich auf das Bett fallen und kuschle mich in die selbst gestrickte Decke. Ich werde diese Hütte vor Sonnenaufgang nicht verlassen. Mit Wildschweinen ist nicht zu spaßen. Das habe ich mal in einer Doku gesehen. Zumindest glaube ich das. Ein Schauer läuft mir über den Rücken und ich fühle mich plötzlich so verloren und einsam. Ob er wieder bei ihr ist? Ich habe einen ziemlich tiefen und vor allem festen Schlaf. Da wäre es gut möglich, dass ich seine nächtlichen Ausflüge bisher verschlafen habe. Eine Träne rollt über meine Wange. Mein Herz krümmt sich, versteckt sich vor dem Steinhagel der Eifersucht und überlässt dieser die Kontrolle über meine Gedanken. Immer und immer wieder wähle ich seine Nummer, doch er nimmt den Anruf nicht entgegen. Immer und immer wieder flüstere ich die eindringliche Bitte, dass er an sein Handy geht und sich meine Ängste nicht bewahrheiten, in mich hinein, doch nichts tut sich. Minute um Minute vergeht und ich bin bereits tief in der Eifersucht und der damit verbundenen Hilflosigkeit gefangen, als ich wie fremdgesteuert durch meine Kontaktliste scrolle und Joshua anrufe.

"Was ist passiert?" Höre ich seine tiefe Stimme am anderen Ende der Leitung und obwohl auf der Stelle ein erleichtertes Lächeln auf meinen Lippen erscheint, beginne ich automatisch zu schluchzen. "Schon gut, ich bin ja da." Verspricht er und ich umklammere meine Knie, während die Tränen meine Wangen hinunter laufen und ich mich frage, was hier eigentlich gerade geschieht. Bis vor etwa einer Stunde ist die Welt in Ordnung gewesen. Zumindest die Welt an diesem verwunschenen Ort. Kann die Furcht vor der Rückkehr einen so sehr beherrschen, dass man sich so sehr in sich selbst verfängt? Oder spricht doch eher die Angst aus mir, die mich vor dem Verlust meines Mates zu warnen versucht? Ich weiß es nicht, aber der Grund spielt keine Rolle für das tatsächliche Empfinden, das mich versucht niederzustrecken. Es fühlt sich scheußlich an. "Ich fühle mich so einsam, so allein, so verzweifelt. Alle schauen auf mich hinab und wollen Entscheidungen, die für alle vertretbar sind. Sie legen ihr Leben in meine Hände und schenken mir so viel Vertrauen, dass ich es auf meinen winzigen Schultern niemals tragen können werde. Wie soll ich etwas entscheiden, wenn ich nicht einmal meine Gefühle im Griff habe? Wer gibt mir das Recht über unsere Zukunft zu bestimmen? Und wer verzeiht mir, wenn ich wieder einmal alles in den Sand setze?" Bitterlich schluchzend sitze ich da, starre auf die eingeritzten Striche in der Wand und bereue es, Joshua angerufen zu haben. Nun vermisse ich ihn nur noch mehr. Seine Stimme zu hören und dennoch allein hier zu sitzen ist deutlich schmerzhafter, als ich es für möglich gehalten habe. Wieder eine Entscheidung, die sich nicht bewährt hat. "Weißt du, was dein größter Fehler ist? Du denkst immer, dass du all das allein bewältigen musst. Dabei hast du doch uns. Wir können gemeinsam über all das grübeln, diskutieren und entscheiden, was dieses Rudel betrifft. Du stehst nicht allein da. Nicht eine Sekunde. Ein guter Alpha tritt in Kommunikation und entscheidet nicht auf eigene Faust." Alpha. Wie ich diese Bezeichnung mittlerweile fürchte. Nicht nur, dass ich diese Rolle damals mit rosa roter Brille betrachtet habe und sie unbedingt annehmen wollte. Nein, ich stehe derzeit im direkten Konkurrenzkampf mit Zachary. Er wird diesen Rang nicht hergeben wollen und sollten wir uns für das Leben mit dem Rudel entscheiden, steht eine nicht unbedingt freundliche Diskussion darüber an, wer uns in Zukunft führen wird. "Ich weiß nicht einmal, ob ich weiterhin diesen Rang besetzen will. Sieh doch was ich jedem von euch zumute. Ich habe die Welpen zurückgelassen, euch die elterlichen Pflichten aufgedrängt und dich und Jayden nach all dem was ihr für mich getan habt, einfach verlassen." Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht, doch komme gegen diese Masse nicht an. "Gleich komme ich vorbei und verpasse dir eine Ohrfeige." Brummt Joshua, doch ich höre sein Schmunzeln deutlich heraus. Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer in seiner Ecke und verbreitet gleich darauf den Wunsch, er würde sich wirklich auf den Weg hierher machen. "Du hast dieses Rudel komplett auf den Kopf gestellt und das ohne mit der Wimper zu zucken. Du hast es geschafft einen Haufen rebellischer Rüden zu bändigen. Dir liegt es im Blut, ein Rudel zu führen." Ich streiche mir eine Strähne aus dem Gesicht. Ausnahmsweise kann ich Komplimente dieser Art gut verkraften. "Ja, sie vermissen dich. Aber jeder von uns weiß, wie selbstlos deine Entscheidung gewesen ist und wie viel Leid du uns damit erspart hast. Auch wenn es mich zerfrisst, dich so lange nicht zu sehen und dir nicht helfen zu können. Es geht hier um viel mehr, als um mich." Ich schluchze leise, kann das Lächeln auf meinen Lippen kaum bändigen und lege mich hin. Mein Herzschlag beruhigt sich allmählich und auch die Tränen reduzieren sich zunehmend. "Können wir telefonieren, bis ich einschlafe?" Kommen diese Worte über meine Lippen, ohne das ich zuvor über sie nachdenken kann. Beschämt laufe ich rot an, ziehe die Decke über mein Gesicht und verfluche mich. Peinlich, Heather. Peinlich. "Solange du mich länger als fünf Minuten beehrst." Ich verdrehe lachend die Augen und verspreche ihm, noch lange wach zu sein.

Und während wir telefonieren und eine Stunde in die andere übergeht verfliegt die Angst und reißt die Eifersucht samt der Enttäuschung mit sich. Zurück bleibt nur mein Herz, in den Armen meiner inneren Stimme dick eingekuschelt ins warme Decken und mit einem heißen Kakao in der Hand.



The Alpha And Me -Love The Way You Lie-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt