Sie steht wie angewurzelt da, als sich seine Hand an ihre Taille legt und ich auf dem Absatz kehrt mache. Eine weitere Sekunde und ich verwirkliche meine Mordfantasien. Der Frust, den ich vor wenigen Minuten noch herbei gesehnt habe, überrollt mich mit all seiner Überzeugungskraft. Jede Faser meines Körpers wünscht sich, ihn grün und blau zu schlagen. Er soll bluten, wie ich es dank Cash getan habe und um Gnade flehen. Das würde meinem Geschmack viel eher entsprechen, als die Flucht vor diesen Taten. „Ich dachte, ich schaffe es wenigstens heute, verstehst du? Wenigstens heute, meine Eifersucht zu kontrollieren." Erkläre ich Ethan, welcher neben mir läuft und mich irritiert mustert. Ob er sich darüber wundert, dass ich Joshua gewähren lasse? Oder hat er es schon immer für möglich gehalten, dass ich mich kontrollieren kann und Heather ihre, wie sie es nennt, Freiheit zurückgebe? Wahrscheinlich erwartet er wie all die anderen auch, dass ich es niemals schaffen werde. Zugegeben, überzeugt bin ich von meinen Fähigkeiten ebenfalls nicht. „Ich bin einfach nicht dafür gemacht, nur zuzusehen. Sie ist meine Mate, mein Mädchen und das soll jeder auf diesem Planeten begreifen." Ich fahre mir durch die Haare, um den aufgestauten Frust in irgendeiner anderen Form loszuwerden als das Ausüben von Gewalt. Das würde sie wollen. Ganz sicher sogar. „Du solltest nicht daran arbeiten, dass die Welt sie als deine Mate anerkennt, sondern sie selbst." Ich werfe Ethan einen verachtenden Blick zu, doch er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und vertieft seinen Gedanken stattdessen. „Es ist vollkommen egal, wer oder was sie als deine Mate anerkennt. Solange sie in euch eine Zukunft sieht, werden all die anderen keinen Wert für sie haben." Ich bearbeite meine Unterlippe und stecke missmutig meine Hände in die Hosentaschen. „Dann habe ich sie wohl bereits verloren." Diese Worte schneiden tiefer in mein Fleisch, als ich es für möglich gehalten habe. In meinem Kopf klangen sie kühl und haben keinen Funken von Gefühl mit sich getragen. Ausgesprochen stecken sie voller Verzweiflung und Trauer, sodass ich sie am liebsten zurücknehmen würde. Doch das funktioniert nicht. Gefühle kann man nicht zurücknehmen. Sie bleiben bestehen und das unabhängig davon, ob man sie wahrhaben will oder nicht. Sie verschwinden nicht einfach, nur weil man sie tot schweigt. Sie graben sich nur tiefer in das Herz und verweilen dort, bis man sich ihnen stellt oder zugrunde geht. „Was hast du getan?" Der vorwurfsvolle Blick in seinen Augen weicht einem besorgten Funkeln und ich seufze, ehe ich ihm von Shannon erzähle. „Und daraufhin hast du sie angegriffen und Cash hat sie in letzter Sekunde gerettet?" Der Vorwurf, der aus seinen Augen gewichen ist, liegt nun in seiner Stimme und ich weigere mich zunächst instinktiv, ihm eine Antwort zu geben. „Dass du Joshua töten würdest, wenn sie dich ließe, okay. Aber sie? Deine Mate?" Hakt er nach und ich fahre schneller aus der Haut, als eigentlich beabsichtigt. „Ich habe sie nicht töten wollen, kapiert? Dieses Mistvieh von Cash hat sich nur aus der Schusslinie ziehen wollen. Wann hört ihr endlich auf, ihn wie ein normales Kind zu behandeln?" Giftige ich ihn an und erwarte eine ebenso giftige Antwort zurück, doch Ethan bleibt seinem Stil treu und ist weiterhin die Ruhe selbst. „Das habe ich schon lange. Aber darüber sollten wir heute Abend mit den anderen sprechen. Sie werden ebenfalls hören wollen, was geschehen ist und wir brauchen eine Erklärung für Bayans Heilprozess um in Zukunft darauf eingehen zu können." Ich nicke, auch wenn es mir nicht zusagt mit den anderen über solch wichtige Fragen zu sprechen. Früher habe ich nur Ethan und Cody zurate gezogen und es nicht bereut. Heather scheint viel mehr Veränderungen in dieses Rudel gebracht zu haben, als ich bisher wahrhaben wollte. „Hast du jemals daran gedacht, sie zu töten?" Ich antworte ihm nicht. „Ich habe kurz nachdem Heather die Welpen bei uns aufgenommen hat auch darüber nachgedacht, sie schnellstmöglich verschwinden zu lassen. Dann haben sie mich abgeschleckt und es war um mich geschehen. Sie sind für mich wie meine Kinder, verstehst du? Ich empfinde viel mehr für sie, als ich sollte. Viel mehr, als gesund für mich wäre. Es hat mich beinahe umgebracht, als ihr in die Stadt gezogen seid. Ich werde nie Kinder bekommen können und kurz nachdem ich diese Horrordiagnose von meinem Arzt bekam, sind die Zwei aufgetaucht. Es war wie ein Wunder." Farbe weicht aus meinem Gesicht und ich schlucke schwer, als Ethan seinen Satz beendet und aufs Meer hinaus schaut, um meinem Blick auszuweichen. Tränen schimmern in seinen Augen, doch er hält sie zurück. „Manchmal war ich so wütend, dass Heather sie mitgenommen hat, dass ich die gesamte Werkstatt verwüstet habe. Cody hat sie jedes Mal mit mir aufgeräumt. Ich habe mir gewünscht, ich hätte sie damals verschwinden lassen. Ich war so wütend, dass sie täglich Bilder von ihnen geschickt hat und ich kein Teil von ihrem Leben sein konnte. Ich war eifersüchtig auf sie, auf dich, auf die Welt. Bis ich bemerkt habe, dass es nichts bringt. Es bringt nichts, herumzubrüllen und sämtliche Male etwas zu verwüsten. Es lindert den Schmerz nicht. Es wäre nicht fair, ihnen ihr Glück zu nehmen nur weil ich meines nicht habe. Sie können nichts dafür, dass ich keine Kinder bekommen kann. Niemand kann das." Ich lasse von meiner Unterlippe ab, als sie zu bluten beginnt und wundere mich über das Maß an Empathie, dass ich für ihn empfinde. Verdammt, was ist nur los mit mir. Normalerweise sollte es mich nicht interessieren, ob er Kinder bekommen kann oder nicht. Ob es ihn erschüttert, wenn er keine bekommt. Es sollte mir vollkommen egal sein. Stattdessen hat er mein tiefstes Mitgefühl. „Ich wusste nicht.." Beginne ich, doch er unterbricht mich. Ausnahmsweise ohne von mir gleich darauf angeknurrt zu werden. Seinen Alpha unterbricht man nicht. Naja, wenn ich überhaupt noch der Alpha dieses Rudels bin. „Es ist nicht wichtig, was man von jemandem weiß und was nicht. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Man sollte sich dessen bewusst sein. Glaub mir, es ist leichter mit seinen Problemen umzugehen, wenn man nicht allein mit ihnen ist. Das führt nur zu Gewalt und Gewalt hilft niemandem." Ich antworte nicht. Sein letzter Satz missfällt mir viel zu sehr, als dass ich diesem zustimmen kann. Er ist bekennender Pazifist. Zumindest erlebe ich ihn als diesen. Ich nicht. Das werde ich nie sein. „Ich möchte nur, dass du verstehst, dass es einen anderen Weg gibt. Du musst ihn nicht sofort beherrschen, aber du solltest dich zumindest bemühen. Man soll sich für andere nicht verändern, aber Kompromisse eingehen und sich anpassen ist unumgänglich. Joshua hat das getan. Er liebt die Gewalt ebenso wie du, aber er lebt sie anderweitig aus. Er hat sich für Kompromisse und Anpassungen seiner Welt an ihre entschieden." Ich knurre auf. Nicht, weil ich ihm widerspreche, sondern weil ich seine Gedanken nachvollziehen kann. Gedanken, die meiner selbst niemals entsprungen wären. „Also, hast du sie töten wollen?" Beendet er seinen Vortrag mit einer Frage, die ich längst aus meinem Gedächtnis gelöscht habe. „Nein."
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The Alpha And Me -Love The Way You Lie-
WerewolfStark und furchtlos im Sturm. Der Retter in der Flut. Ein Held. Doch die Rolle des Helden ist viel mehr als das Retten von den vermeidlich Schwachen. Was, wenn die Starken einen Helden benötigen? Nach Wochen im Koma hat sich im Rudel viel getan und...