Chapter 83

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"Wir sollten uns beeilen. Spätestens zum Abendessen werden sie unser Verschwinden bemerken." Erklärt Bayan stotternd und zieht sich die Wolldecke bis über das Kinn. Wie kann er trotz einer solch hohen Körpertemperatur noch immer frieren? Hechelnd setze ich eine Pfote vor die andere und versuche die Geschwindigkeit beizubehalten, mit der wir uns fortbewegen. Viel mehr, mit der ich mich fortbewege. Schließlich sitzt Bayan wohl behütet auf einem Kinderschlitten und lässt sich von mir durch den Sand ziehen. Jayden hat noch am Wochenende erklärt, dass es keinen Sinn macht die Kufen zu schleifen und dem Holz einen neuen Anstrich zu verpassen. In diesem Moment bin ich dankbar dafür, dass Bayan darauf bestanden hat, alles auffindbare im Schuppen zu reparieren und neu zu streichen. Ausnahmsweise hat es sich ausgezahlt Langeweile zu haben und auf der verzweifelten Suche nach einer Beschäftigung sich einem Schlitten zu widmen. Das Geschirr reibt an meinen Schultern und sitzt nicht annähernd so bequem, wie noch vor wenigen Tagen. Ich scheine gewachsen zu sein, seit Shannon mit Bayan und mir in die Stadt gefahren ist und wir uns als Hundewelpen ausgeben mussten um mitkommen zu dürfen. Es hat sich schnell heraus gestellt, dass Menschen nicht sonderlich angetan von beißenden Welpen angetan sind. Niemand hat mich darauf vorbereitet, dass ich dauernd angefasst werde. Ich habe bloß ein Eis abstauben wollen, nichts weiter. Dem verordneten Hausarrest entfliehen und die Stadt erkunden. Wer würde da nein sagen? Demnach, selber Schuld Shannon. Amüsiert über ihre hysterischen Versuche, sich bei diesen distanzlosen Fremden zu entschuldigen, schüttle ich den Kopf und kehre erst wieder aus meinen eigenen Gedanken zurück, als Bayan sich mahnend räuspert. "Keine Sorge, ich habe an die Türklinken Socken gehängt. Das haben Milow und Jayden auch ständig gemacht und niemand hat in den folgenden Stunden ihr Zimmer betreten." Erkläre ich mit selbstsicherer Miene, die in sich zusammen fällt als ich den Berg vor uns erblicke. Dass wir diesen ebenfalls überqueren müssen habe ich nicht bedacht. "Und was bedeuten Socken an der Türklinke? Achtung, ich schlafe?" Nachdenklich kaue ich auf meiner Unterlippe herum. Solche unwichtigen Fragen stellt auch nur Bayan. Wen interessiert schon, was sie bedeuten? Hauptsache diese Methode wirkt und verschafft uns etwas mehr Zeit. Ich bin mir sicher, dass wir bis morgen früh keine Verfolger zu befürchten haben. "Beschäftige dich lieber damit Mom zu finden. Logan hat erzählt, dass sie bei ihm vorbei gekommen sind. Mehr wissen wir über ihren zurückgelegten Weg nicht oder sagt dir dein Gefühl das zufällig auch voraus?" Meine Zunge weht im Wind, während ich Bayan die Düne hinauf ziehe und mich frage, wie ich diese Idee jemals gutheißen konnte. Der Berg liegt noch vor uns und ich habe schon jetzt keine Kraft mehr. Abgesehen davon, dass meine Zunge längst vertrocknet ist und Salzwasser keine Alternative zur Wasseraufnahme bietet. "Das überlegen wir uns, wenn wir dort sind. Vielleicht gibt es noch Fußspuren." Ich verdrehe die Augen. Es sind bereits etliche Tage vergangen, seit Mom und Dad aufgebrochen sind. Zu denken, dass ihre Fußspuren noch lesbar sind grenzt schon fast an Fahrlässigkeit. Diese Naivität und Leichgläubigkeit in jeglichem Sinne nicht zu strafen fällt mir dermaßen schwer, dass ich mir ein dunkles Knurren nicht verkneifen kann. "Ich verstehe immer noch nicht, warum ausgerechnet du diese Fähigkeit zu haben scheinst. Ich meine, bisher bin ich immer derjenige gewesen, der durch Einzigartigkeit aufgefallen ist." Einerseits bin ich stolz auf meine besonderen Fähigkeiten, wie Mom sie bezeichnen würden. Andererseits macht es mich jedoch verrückt, dass Bayan ebenfalls mit solch einer Intuition aus der Masse heraus sticht. Ich habe noch immer nicht den Glauben daran verloren, dass bloß sein Fieber für Halluzinationen sorgt. Allerdings stellt sich das Anerkennen einer Fähigkeit als angenehmer heraus, als das Befürworten der Fiebertheorie. Meinen Bruder für nichts und wieder nichts auf den Berg gezogen zu haben und sich anschließend im Wald zu verirren würde bei mir wohl sämtliche Geduldsfäden reißen lassen. "Ich finde diese Verteilung äußerst logisch. Du bist schließlich nicht für deine Empathie und dein großes Herz bekannt. Ich hingegen schon und für solch eine Fähigkeit benötigt man eindeutig Empathie." Seine Stimme bröckelt nicht mehr, obwohl sie noch immer sehr strapaziert zu sein scheint. Immerhin scheint die frische Luft einem von uns gut zu tun. "Ich brauche weder das eine noch das andere. Dafür habe ich schließlich dich." Keuche ich und bete, dass wir den Gipfel des Berges in wenigen Schritten bereits erreichen werden. "Und was ist, wenn wir uns eines Tages nicht mehr gegenseitig haben? Wer beschützt mich dann und wer bringt dir Nächstenliebe und Empathie bei?" Wieder verdrehe ich die Augen. Wieder bin ich genervt von seinen ständigen Widerworten und den Gedanken, die zu nichts taugen außer Sorgen zu begünstigen. "Das wird nicht geschehen." Knurre ich daher nur und konzentriere mich wieder voll und ganz auf den Weg, der noch vor uns liegt. Die Tannen stehen dicht aneinander gereiht und sorgen dank ihrer Wurzeln, die aus dem Boden ragen, nicht gerade für ein angenehmes Ambiente. Es dauert eine halbe Ewigkeit und kostet mehr Kräfte und Nerven, als ich erwartet habe, als wir endlich den Gipfel erreichen und Logans Residenz vor unseren Augen erscheint. Erschöpft von den Strapazen geben meine Beine nach und ich lege mich auf den Bauch, um meinem Körper einen Augenblick der Ruhe zu gönnen. Ich spüre jeden einzelnen Muskel, jede Sehne und jedes noch so kleine Blutkörperchen. Mühsam versuche ich, meine Zunge feucht zu halten, doch mir ist auch der letzte Spuckerest bereits ausgegangen. Ich lege meinen Kopf auf den Boden ab, versuche das eigentlich notwendige Hecheln zu unterdrücken und alles um mich herum für einen kurzen Augenblick auszuschalten. "Von hier aus kann ich selbst laufen, denke ich." Höre ich Bayans sanfte Stimme neben meinem Ohr und springe wild knurrend auf. "Darauf kommst du erst jetzt?" Brülle ich ihn an und schnappe nach meinem Bruder, der sich nervös am Hinterkopf kratzt und sich daraufhin verwandelt. Unbeirrt von meinem Knurren, macht er sich daran das Geschirr von meinem Körper zu lösen und mich von meiner Aufgabe als Schlittenhund zu befreien. "Moment, warum kannst du dich bewegen? Was ist mit deinem Fieber? Vor fünf Minuten sahst du noch aus wie eine Wasserleiche." Ich lege den Kopf schief und mustere ihn von oben bis unten. Sein Fell ist struppig und lässt den Zustand erahnen, dem er noch bis vor kurzem ausgeliefert gewesen ist, aber eindeutige Zeichen sind dank seinem Fell nicht zu erkennen. "Ich weiß es nicht. Kurz bevor wir den Gipfel erreicht haben, sind alle Symptome verschwunden." Skeptisch beschnuppere ich ihn, doch auch dadurch sind keine Krankheitsmerkmale mehr aufzuspüren. Ich möchte ihn gerade für verrückt erklären und wieder auf den Schlitten zwingen, da stellen sich mir reflexartig die Nackenhaare auf. Bayan streckt seinen Kopf in die Höhe und versucht zu wittern, was ich so eben in weiter Ferne hören konnte. Dieses Knurren ist mir nicht bekannt und doch trifft es mich mitten ins Herz. Dieses tief dunkle Herz, das sich ansonsten nicht sonderlich häufig zu Wort meldet, schlägt mir plötzlich bis zum Hals. Neugierig wirft Bayan seinen Kopf von links nach rechts und versucht scheinbar den genauen Standort zu ermitteln, doch ich komme ihm zuvor. Wieder einmal. Dieses Mal jedoch habe ich keine Gewalt über meine Sinne und agiere, als würde ich fremdgesteuert werden. Die Erschöpfung verpufft und ich werde von einer Hitzewelle eingefangen, die sich durch meinen Körper frisst und die Kontrolle an sich reißt. Vor meinem inneren Auge erscheint Mom und ehe ich diese Bilder verarbeiten kann, renne ich bereits wie von der Tarantel gestochen los.

The Alpha And Me -Love The Way You Lie-Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt