Mit geschlossenen Augen ziehe ich an der Zigarette und genieße das Brennen in meinen Lungen, das daraufhin folgt. Das Wetter hat sich innerhalb von wenigen Minuten verändert und ist von makellosen Sonnenschein zu Dauerregen gewechselt. Schweigend schaue ich in die Dunkelheit hinaus und beobachte den Regen dabei, wie er literweise zu Boden fällt. Die Paletten sind zwar nicht annähernd so gemütlich wie mein Bett, doch das Haus zu betreten kommt für mich nicht infrage. Lieber faste ich, als mich den unverständnisvollen Blicken ausgesetzt zu sein und mich für meine Art rechtfertigen zu müssen. Mir anzuschauen, wie sehr sie Heather verehren und mich als miserablen Rudelführer bezeichnen. Wahrscheinlich bin ich das sogar. Bevor sie aufgetaucht ist und alles verändert hat, sind wir gut zurecht gekommen. Zumindest für unsere Verhältnisse. Bis auf Logan sind alle zufrieden gewesen. Ich ziehe wieder an der Zigarette und frage mich, was Heather in diesem Augenblick tut. Sitzt sie auf ihrem Bett und spricht über ihren Frust und die Angst, die sie geplagt haben? Ist Joshua bei ihr und tröstet sie auf eine Art, die ich niemals beherrschen werde oder veranstalten sie alle gemeinsam einen Film-oder Spieleabend? Lachen sie gemeinsam und vergessen die Welt um sie herum? Ich seufze leise und zwinge mich, diese Gedanken nicht weiter auszuführen. Sie haben keinen tieferen Sinn, keine Aufgabe als mich zu verletzen. Sie bringen mich nicht voran. Mit leeren Augen starre ich auf den Hof hinaus und verliere mich im ewigen Nichts, bis mich ein Schatten aus meiner Trance reißt. Ohne zu realisieren, wer dort mit gebürtigem Abstand steht und mich gezielt aufzusuchen scheint, greife ich nach dem Wodka und kippe die brennende Flüssigkeit hinunter. Ich habe mich damals tagelang gefragt, ob der Minikühlschrank in der Werkstatt seinen Preis wert war. In diesem Augenblick beantworte ich mir diese Frage mit einem eindeutigen ja. Alkohol und eine Schachtel Zigaretten hier zu verstauen hat mich davor bewahrt völlig den Verstand zu verlieren. Emotionen zu ertränken ist zwar keine lobenswerte Leistung, aber das habe ich auch nicht angestrebt. "Verzieh dich, verdammt nochmal." Belle ich den Schatten an, der noch immer ohne ein Wort zu sagen im Regen steht und mir allmählich ziemlich auf die Nerven geht. Als sich dieser noch immer nicht weg bewegt und meine Autorität ein weiteres Mal untergraben wird, werfe ich die leere Glasflasche nach dem Störenfried. Sie zerschellt etwa einen Meter vor meinem Ziel in sämtliche Einzelteile, doch der Stalker zuckt nicht einmal ansatzweise zusammen und mir ist sofort klar, wer dort steht. "Musst du nicht längst im Bett sein?" Keife ich mehr als dass ich eine Frage formuliere und nehme einen weiteren Zug, um mich zu besänftigen. "Geh wieder rein. Ich habe keinen Bock auf Gesellschaft, falls es dir entgangen ist." Ich denke kurz darüber nach, wie sehr ich wohl nach Alkohol rieche, doch wische den Gedanken gleich wieder fort. Eigentlich ist es mir völlig egal wonach ich rieche oder wie ich aussehe und wirke. "Mir egal." Erklärt Cash seelenruhig und tritt in das schwache Licht, das in der Werkstatt brennt. Er mustert mich noch einen weiteren Moment, ehe er zu mir auf die Paletten klettert und sich neben mich setzt. Knurrend gebe ich ihm zu verstehen, dass mir seine Anwesenheit mehr als nur missfällt, doch ich gebe es im nächsten Augenblick bereits auf. Mir doch egal, ob er dort sitzt. In spätestens einer halben Stunde wird sein Verschwinden bemerkt werden und jemand macht sich auf die Suche nach ihm. Dann bin ich ihn los. Er sagt nichts, sitzt bloß da und starrt in die Dunkelheit. So lange, bis ich es nicht mehr aushalte und ihn nach dem Grund für seinen Besuch frage. "Ich habe keine Lust auf die Anderen." Erklärt er kurz angebunden und greift nach der Schachtel Zigaretten. Meine Reaktionsfähigkeit ist durch den hohen Promillewert zwar deutlich eingeschränkt, hält mich aber nicht davon ab ihm auf die Finger zu hauen, ehe er die Schachtel berührt. Desinteressiert zuckt er mit den Schultern und lässt von seinem Vorhaben ab. Kinder sind so naiv und beeinflussbar. Egal was Erwachsene tun und lassen. Sie denken immer, dass es gut sein muss und versuchen es nachzuahmen. "Du sollst ja auch schlafen und nicht mit den anderen herumtoben." Ich werfe die Zigarette in den Regen hinaus und beobachte sie dabei, wie sie langsam verglüht und vom Regen fort gespült wird. Cody wird sie morgen finden und sicherlich einen Vortrag darüber halten, dass es nicht umsonst Mülleimer an jeder Ecke gibt und wir die Umwelt nur noch mehr mit herumliegenden Müll belasten. Ich schmunzle, als ich an all die Momente zurückdenke, in denen er uns versucht hat zu besseren Menschen zu machen. Er hat sich wirklich Mühe gegeben. "Ist doch egal." Knurrt Cash verärgert und blockt das Thema vollständig ab. Verdammter Sturkopf. "Ich will dich immer noch nicht hier haben. Also entweder du verziehst dich jetzt von selbst oder ich lasse dich von Ethan abholen." Ich höre deutlich, wie meine Stimme unter dem Alkohol bröckelt. Spätestens morgen wird Heather mich dafür zur Rechenschaft ziehen. Sie wird es nicht verstehen und mir vorhalten, was für ein schlechtes Vorbild ich bin. Dabei habe ich nie darum gebeten, ein Vorbild zu sein. Ich wollte nie eins sein. "Mach doch, der vermisst mich genauso wenig wie die anderen." Die Emotionslosigkeit in seiner Stimme lässt mich beinahe sentimental werden. Das hat zwar eindeutig der Alkohol zu verantworten, aber dennoch verspüre ich einen Funken Empathie, auf den ich nicht vorbereitet war. "Warum denkst du so einen Scheiß?" Knurre ich ihn an, doch er ignoriert meine Maßregelung geflissentlich. So wie er es immer tut, wenn ich ehrlich bin. Verdammt, ich habe viel zu viel intus. "Bist du so doof oder tust du nur so?" Ich fletsche die Zähne, auch wenn diese Drohung in menschlicher Gestalt nicht annähernd so beängstigend ist, wie ich es gern hätte. Aber es reicht zumindest für ein leises sorry. "Immer erklären sie mir, dass ich auch so sein kann wie Bayan und eines Tages wie all die anderen. Dabei will ich gar nicht so sein. Ich will mir nicht alles gefallen lassen. Ich möchte nicht das Wohl anderer über mein eigenes stellen. Ich will verdammt nochmal nicht so sein wie Bayan!" Erklärt er frustriert und ich spüre förmlich die Wut, die in ihm aufkocht und sich ihren Weg durch seinen kleinen Körper bahnt. "Du bist doch auch nicht so wie Joshua oder Cody. Warum muss ich es dann sein?" Ich verdrehe die Augen und zünde mir eine weitere Zigarette an. Warum endet jedes Thema bei Joshua oder Heather? Egal was ich tue, um die Zwei zu vergessen, es kommt jemand um die Ecke und schneidet noch tiefer in mein Fleisch. "Dann sei halt nicht wie die." Gebe ich ihm gleichgültig zu verstehen und lege die Zigarette an meine Lippen. "Ich hasse dich." Knurrt er, doch sein darauffolgendes Seufzen entgeht mir nicht. "Hey, ich habe dir gesagt, dass ich keinen Bock auf dich habe und du bist trotzdem hier und nervst mich mit deinen Problemen. Du solltest keine psychologische Meisterleistung erwarten." Er mustert mich ausdruckslos und beobachtet mich dabei, wie ich meinen Körper mit Nikotin überschütte. "Wenn du einen Seelsorger brauchst, musst du zu Ethan gehen." Setze ich nach, doch er reagiert noch immer nicht so wie ich es beabsichtigt habe. Eigentlich habe ich ihn loswerden wollen, doch er ist noch viel hartnäckiger als ich es für möglich gehalten habe. "Dir ist scheiß egal was ich sage, kann das sein?" Ich puste den Rauch in sein Gesicht, doch Cash lässt sich auch davon nicht beeindrucken und nickt stattdessen schief grinsend. "Du hast mir vor wenigen Stunden beinahe den Kiefer gebrochen und jetzt sitzt du hier und gehst mir auf die Nerven." Denke ich laut und halte ihm die Zigarette hin. Neugierig beäugt er diese und als er sich sicher ist, dass ich ihn nicht in eine Falle locken will, greift er nach ihr. Knurrend gebe ich ihm einen Schlag auf den Hinterkopf und lege sie mir wieder zwischen die Lippen. Verärgert zeigt er mir den Mittelfinger, doch ich schmunzle bloß über seine frustrierte Geste. "Du hast Joshua auch schon angegriffen und trotzdem hast du ihn gern." Wieder kocht Wut in mir auf, als dieser Name durch meinen Kopf hallt. Wieder kämpfe ich dagegen an und danke dem Alkohol für seine betäubende Wirkung, die das erst möglich macht. "Habe ich jemals gesagt, dass ich ihn nicht gern habe?" Cash zieht irritiert eine Augenbraue hoch und scheint sich gründlich zu vergewissern, ob ich diese Frage ernst meine, bevor er eifrig zu nicken beginnt. "So ungefähr tausend Mal am Tag." Ich lache auf und wuschle ihm neckend durch die Haare. "Also ungefähr so oft, wie ich mir wünsche, dass du die Klappe hältst?" Er verzieht das Gesicht zu einer Grimasse und versucht seine Haare zu bändigen, ehe er sich wieder unserem Gespräch widmet und die plötzlich euphorisch erscheinende Stimmung im Keim erstickt. "Du hättest ihn längst verjagen oder töten können. Warum hast du es nicht gemacht? Hast du etwa Angst, dass er doch stärker ist als du?" Ich knurre drohend, was zwar dazu führt, dass Cash seinen frechen Vortrag unterbricht, jedoch nicht annähernd seine Worte bereut oder gar zurücknimmt. Diese vorlaute Art treibt mich eines Tages noch in den Wahnsinn. "Er ist nicht stärker als ich und das weiß er genau. Aber es geht hier nicht um stärker oder schwächer. Auch nicht um Unterdrückung oder Angst." Erkläre ich, nehme einen Zug von der Zigarette und konzentriere mich wieder auf das Brennen der Lungen, das mittlerweile verschwindend gering ist. "Und ob du Angst hast." Bellt Cash und grinst breit, doch ich lasse seinen Vorwurf ins Leere laufen. "Ich habe keine Angst vor Joshua. Ich fürchte mich vor einem Kampf mit Cody, ja. Er ist mir zwar deutlich unterlegen, aber Ethan würde ihn niemals im Stich lassen. Sobald ich es wagen würde Cody tödlich zu verletzen, würde Ethan sich einmischen und gegen zwei ausgewachsene Wölfe habe auch ich keine Chance." Ich sehe Cash an, dass er mir widersprechen will, doch ich lasse ihn in seinem naiven Glauben daran, dass man es auch mit zwei Wölfen gleichzeitig aufnehmen kann. Daran habe ich auch in seinem Alter geglaubt. Naiv und ich habe es eines Tages bitter bereut. "Was bringt es mir, Joshua fortzujagen oder zu töten?" Wieder mustert der Kleine mich eine ganze Weile, ehe er sich eine Antwort zurechtlegt. "Er ist dein direkter Konkurrent. Ich hätte ihn längst ins Jenseits befördert." Ich schmunzle über seine Antwort. Habe ich sie doch genau so erwartet. Nicht, weil ich ein Hellseher bin, sondern weil ich als Kind genau dasselbe gesagt hätte. "Aber er hat einen wichtigen Platz in dem Herzen deiner Mom und auch wenn mir das ganz und gar nicht schmeckt, werde ich ihr diesen Teil ihres Herzens nicht rausreißen nur weil ich ohne diesen leben könnte. Ich bin nicht dazu befugt zu bestimmen, wem man einen Platz in seinem Herzen schenkt." Skeptisch mustert er mich und schüttelt verständnislos den Kopf. Natürlich tut er das. Für ihn macht es in diesem Alter noch keinen Sinn, so zu handeln. "Du brichst ihr andauernd das Herz, aber ausgerechnet diesen Teil rührst du nicht an? Das macht keinen Sinn." Ich nehme einen Zug, um den Schmerz zu überbrücken, der durch meinen Körper fährt. Dieser kleine Kerl bekommt verdammt viel mit. Viel mehr, als es gut für ihn ist. "Ich habe nie behauptet, dass es Sinn ergibt." Erkläre ich heiser und schaue wieder in die Dunkelheit hinaus. Der Alkohol verweigert mir den Zugang zu meinen Gedanken und das kommt mir mehr als gelegen. Alles was in diesem Augenblick an Gedanken verfügbar ist, würde mich wohl nur noch mehr verletzen. "Aber du hast sie noch lieb, oder?" Flüstert er vorsichtig, als befürchtete er ich könnte auf diese Frage ablehnend reagieren. Ich widme mich gerade dem kleinen Plagegeist, da öffnet sich die Haustür und Heather tritt auf die Veranda hinaus. Panisch sieht sie sich um, doch atmet tief durch und entspannt sich augenblicklich, als sie Cash bei mir sitzen sieht. Sie scheint zu zögern und darüber nachzudenken, ob sie ihn rufen oder holen soll. Doch sie tut nichts dergleichen und steht bloß schwach lächelnd da und schaut zu uns herüber. "Nur weil Menschen sich nicht andauernd sagen, dass sie sich lieben oder vermissen heißt das nicht, dass sie es nicht tun." Erkläre ich Cash und zwinge mich, Heather nicht weiter anzustarren. Das führt auf kurz oder lang vermutlich sowieso nur dazu, dass ich aufspringe und ihr ein Gespräch aufdränge. Dem Alkohol sei dank. "Sowas zu sagen ist ja auch verdammt uncool." Angewidert verzieht Cash das Gesicht und ich lache Kopf schüttelnd über diese kindische Betrachtungsweise. "Mom sucht dich." Bemühe ich mich ausnahmsweise, Verantwortung zu übernehmen und deute zur Veranda, auf der Heather steht und Cash zu winkt, als dieser sie ansieht. "Kann ich nicht bei dir bleiben? Nur ausnahmsweise." Ich seufze theatralisch und verdrehe die Augen, ehe ich meine Zigarette in den Regen werfe und Cash dabei beobachte, wie er möglichst gleichgültig versucht auszusehen. Manchmal wirkt es so, als wolle er mich nachahmen. Ebenso kalt und gewissenlos sein wie ich. Eine schlechte Eigenschaft und ich kann nur hoffen, dass ich nicht mehr so denke, wenn ich meinen Rausch ausgeschlafen habe. "Wenn es unbedingt sein muss. Aber du schläfst nicht in meinem Bett. Du kannst dir die Matratze auf den Boden legen oder so. Mir egal." Das Funkeln in seinen Augen verrät die Freude, die in ihm brodelt, doch ich tue so, als kaufe ich ihm seine eiskalte Fassade ab und folge ihm ins Haus, in dem Heather bereits wieder verschwunden ist.
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The Alpha And Me -Love The Way You Lie-
Hombres LoboStark und furchtlos im Sturm. Der Retter in der Flut. Ein Held. Doch die Rolle des Helden ist viel mehr als das Retten von den vermeidlich Schwachen. Was, wenn die Starken einen Helden benötigen? Nach Wochen im Koma hat sich im Rudel viel getan und...