Kapitel 6

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Zwei Tage später stand ich nervös vor dem Spiegel in meinem Schlafzimmer und betrachtete mich.

Ich hatte mir ein Tanktop angezogen, welches unten den Achseln sehr weit ausgeschnitten war und ich war mir nicht ganz so sicher, ob ich mich wirklich darin wohl fühlte.

„Würde Harry mich so attraktiv finden?", fragte ich mich selber und drehte mich um meine eigene Achse.

Die letzten zwei Tage hatte ich fast nur an ihn gedacht und so langsam fing es an mich zu nerven. Ich kannte ihn ja eigentlich nicht, wieso schaffte er es dann meine Gedanken so einzunehmen?

Und letztendlich war auch nur er der Grund, warum ich mich heute wieder dazu aufraffte, in die Stadt zu fahren. Zum einen wollte ich ihn Wiedersehen und zum anderen gab er mir genug Selbstvertrauen, dass ich gut genug war und meine Sexualität ausleben durfte und das war ihm doch positiv anzurechnen.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Nick, mein großer Bruder, stand im Türrahmen. Er hatte in seiner Hand seinen Ausweis und wedelte damit vor meinem Gesicht herum.

„Hier Kleiner.", meinte er und reichte mir ihn. „Danke.", kam es aus meinen Mund und schon lag mein Blick wieder auf meinem Spiegelbild.

Nick beobachtete mich ebenfalls. „Meinst du, dein Outfit ist nicht etwas zu viel? Du gehst doch nur zu ein paar Freunden etwas trinken.", fragte er mich.

Nick wusste nicht, dass ich vor hatte einen Gay Club zu besuchen. Er dachte ich bräuchte seinen Ausweis, um Alkohol für eine Party zu kaufen.

Nick wusste auch nicht, dass ich schwul war. Genauso wenig wie meine Eltern. Obwohl langsam die Angst in mir hoch kam, dass es zu ihnen durchdringen könnte, nach dem Kuss von Harry am Donnerstag vor der Schule.

Ich redete mir auch ein, dass ich darüber stehen sollte. Doch dieser verdammte Ort war so konservativ und meine Eltern bildeten da leider keine Ausnahme.

Nick konnte ich nicht einschätzen. Er studierte mittlerweile. Lebte in einem anderen Umfeld. Er hatte sich verändert. Er ging nicht mehr jede Woche in die Kirche, trank Alkohol und rauchte. Er schien offener allem gegenüber geworden zu sein, doch trotzdem hatte wir noch nie darüber geredet, wie er zu Homosexualität stand.

„Ich wollte mal was neues ausprobieren.", erklärte ich ihm.

„Cool cool.", meinte Nick nur und dann war er schon wieder aus meinem Zimmer verschwunden. Er war noch nie ein Mann größer Worte gewesen.

„Ach scheiß drauf.", sagte ich mir selber, griff nach meiner Jacke die neben dem Spiegel hing und verließ mein Zimmer.

Ich sollte mir nicht ständig darüber Gedanken machen, was andere über mich denken, sondern einfach das tun, was ich möchte.

Kurz bevor ich das Wohnzimmer betrat, in dem meine Eltern saßen, zog ich mir meine Jacke an und machte sie zu. Denn mein neu gewonnenes Selbstbewusstsein reichte definitiv nicht dafür aus, meinen Eltern meine Outfitwahl zu erklären.

„Ich bin dann bei Niall.", verabschiedete ich mich bei den beiden und sofort lagen zwei Augenpaare auf mir.

„Ihr trinkt aber kein Alkohol, oder?", fragte mich mein Vater sofort und innerlich rollte ich mit meinen Augen.

„Nein. Wir machen eine Art Spielabend, alles ganz ruhig.", log ich meinen Vater an und erschrak mich selbst ein bisschen, wie leicht mir das fiel.

„Schläfst du bei Niall?", fragte mich meine Mutter und lächelte mich warmherzig an. Sie war schon immer die fürsorglichere der beiden gewesen und ich war mir sicher, dass wenn ich mich je outen sollte, ich es zunächst nur ihr erzählen würde.

„Ich weiß nicht. Ich guck mal wie spät es wird und entscheide dann spontan.", gab ich von mir. Wer wusste schon was die Nacht bringen würde und ich wollte mir alle Optionen offen halten.

„Na gut. Dann viel Spaß Schatz.", antwortete mir meine Mutter und mit einem „Danke" auf den Lippen verließ ich das Haus Richtung Bushaltestelle.

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Fast eine Stunde später, der Bus hatte Verspätung gehabt, befand ich mich wieder auf der pulsierenden Straße.

Heute schien es noch voller zu sein, was daran liegen könnte, dass es Wochenende war. Doch trotz der Menschenmassen, fühlte ich mich unglaublich wohl. Von der Unsicherheit, die ich vor ein paar Tagen verspürt hatte, keine Spur mehr.

Mein Weg führte mich direkt zum Lucky, vor dem sich schon eine lange Schlange gebildet hatte, an die ich mich ebenfalls anstellte. Laut dem Internet sollte dies hier der beliebteste Club der Stadt sein und ich hoffte inständig, dass ich rein gelassen werden würde.

Viel zu schnell wanderte ich in der Schlange nach vorne und als ich vor dem Türsteher stand und meinen Ausweis vorzeigte, kam doch etwas Nervosität in mir auf. Das hier war etwas anderes, als sich einfach nur irgendwo einen Drink zu besorgen.

Der Türsteher beugte mich skeptisch, gab mir dann aber meinen Ausweis zurück und nickte in die Richtung des Clubs. Ich durfte rein.

Erleichtert atmete ich auf. Und dann betrat ich zum ersten Mal den Ort, der neben Harry, wohl am meisten mein Leben auf den Kopf stellen würde.

Lucky || Larry Stylinson Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt