,,Du bist unausstehlich, wenn du nicht schläfst. Weißt du das eigentlich?" Raphael verdrehte nur die Augen und wendete sich von der schwarzhaarigen Vampirin ab, um in sein Zimmer des Hotel Dumort zurück zu kehren. Er hatte nun schon seit zwei Tagen und drei Nächten kein Auge zugemacht, was Lily natürlich bemerkte. Sie kannte ihn schließlich schon seit einer langen Zeit und stand ihm näher, als jeder Andere im Clan. Somit bemerkte sie selbstverständlich auch, dass ihn etwas beschäftigte. Raphael wollte gerade die Tür hinter sich zuschlagen, doch Lily hatte andere Pläne. Sie flitzte mit Vampirgeschwindigkeit in den Raum und stellte sich mit verschränkten Armen vor den mies gelaunten Vampir. ,,Komm schon, Raphael. Ich kenne dich doch! Was ist los?" Raphael seufzte. Ihm war klar, dass es ein Ding der Unmöglichkeit war, diese Frau ohne eine anständige und aufrichtige Antwort fortzujagen. Sie wusste sofort, wenn er log oder etwas verbarg. Sie war klug, geduldig und mitfühlend. Aber Raphael mochte es einfach nicht, über seine Gefühle zu sprechen. Er hatte gern die Kontrolle. Gefühle jedoch konnte man nun mal nicht kontrollieren. Man konnte sie nur unterdrücken oder eben verstecken. Er wusste, dass das Unterdrücken an sich nicht viel brachte, also versteckte er sein Inneres eben, bis er selbst einen Weg fand, damit umzugehen. Und diesen Weg hatte er bisher noch nicht gefunden. Lily jedoch, wusste er, würde sich mit einem 'Nichts, alles gut.' oder einem 'Ach, nur die Geschichte mit den Nephilim.' nicht zufrieden geben. Also sagte er: ,,Jemand hat mir eine Frage gestellt, auf die ich selbst keine Antwort weiß. Und nein, ich möchte dir jetzt nicht heulend mein Herz ausschütten." setzte er, auf ihren fragenden Blick hin, entnervt hinterher. Lily seufzte. Natürlich wusste sie, wie stur Raphael war, jedoch regte es sie trotzdem noch nach all den Jahren hin und wieder auf. ,,Na, gut. Kannst du mir dann wenigstens sagen, wieso wir jemanden entführt haben, nur damit du ihn dann doch gehen lässt?" fragte die Vampirin und ließ sich auf Raphaels Bett nieder. ,,Es wäre klüger, in einer solchen Zeit, die Shadowhunter auf unserer Seite zu haben, als-" fing er an, wurde jedoch direkt wieder von Lily unterbrochen: ,,Ja, ja. Warum du ihn gehen lassen hast, weiß ich. Ich habe mich nur gefragt, wozu wir uns überhaupt die Mühe gemacht haben, ihn mitzunehmen." ,,Camille dachte, Simon wüsste vielleicht wo der Kelch der Engel ist oder-" Er brach abrupt ab, als er ein Geräusch hörte. Es kam definitiv vom Lieferanteneingang, da war er sich sicher. Schnell lief er nach unten, da erkannte er den ihm sehr bekannten Geruch von Mundiblut. Simons Blut. ,,Wie bitte?!" fragte Raphael halb genervt halb wütend, als er schließlich vor dem Jungen stand. ,,Bist du verrückt oder nur ein Idiot?" Simon sah ihn verwirrt an; fast so, als hätte er ihn hier gar nicht erwartet. ,,Was suchst du hier eigentlich?" hakte Raphael weiter nach. Da kam Simon aus seiner Schockstarre und antwortete: ,,Keine Ahnung-äh . . ehrlich gesagt." ,,Du glaubst doch nicht etwa, ich hätte Lust, schon wieder dein wertloses Leben zu retten?!" meinte der Vampir mit einem bedrohlichen Unterton, während er langsam wie eine Raubkatze auf Simon zuging. Dieser ging aus Reflex ein paar Schritte rückwärts, während er stotterte: ,,Nein, nein, nein. Das glaub ich wirklich nicht!" ,,Verzieh dich hier und wehe, du kommst zurück!" sagte der Latino noch einmal nachdrücklich, doch Simon bewegte keinen Muskel. Daraufhin wurde Raphael nur noch wütender und knurrte nun etwas lauter: ,,Los! Verschwinde!" Mit dem Zeigen seiner Fangzähne und einem lauten Zischen untermauerte er seine Aufforderung, woraufhin Simon mit einem ängstlichen Gesichtsausdruck davon rannte. Der Vampir sah dem rennenden Teenager noch einen Moment nach, ehe er zurück zu dem Gebäude sah, wo Lily an einem der Fenster stand und auf ihn hinunterblickte. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte sie jedes Wort mitgehört und glaubte schon zu wissen, was da vor sich ging.
,,Es geht um ihn, nicht?" fragte sie, kaum dass die Tür hinter Raphael ins Schloss gefallen war. ,,Was auch immer dich beschäftigt, es hat mit ihm zu tun." Sie warf ihrem Kumpel einen vielsagenden Blick zu und setzte hinterher: ,,Es geht um Simon." Einen Moment fragte er sich, woher sie seinen Namen kannte, da fiel ihm plötzlich auf, dass er ihm bei ihrem vorherigen Gespräch erwähnt hatte. Er hatte sich verraten. In diesem Moment hätte er sich für seine Unachtsamkeit selbst ohrfeigen können. Doch anstatt die Beherrschung zu verlieren, seufzte er nur und sagte: ,,Du würdest es nicht verstehen." ,,Oh, ich glaube, ich verstehe sehr wohl." erwiderte Lily. ,,Ob es nur die Blutlust ist oder echte Gefühle; Fakt ist: Du willst ihn. Was wiederum nicht geht, da er unter dem Schutz der Shadowhunter steht." Raphael ließ sich rückwärts auf sein Kingsize-Bett fallen und seufzte. ,,Wenn es doch nur das wäre..." Einen Moment war es still zwischen den Beiden. Schließlich fragte die Vampirin: ,,Was hat er dich gefragt?" Raphael antwortete nicht, starrte einfach weiter ins Nichts. Lily ließ sich neben ihn auf sein Bett fallen und starrte in die selbe Richtung. Ein paar Momente später murmelte sie: ,,Ich würde wirklich gerne wissen, was an dieser Decke so interessant ist..." Sie sagte es nicht, um ihren Freund aufzumuntern, sondern einfach, weil ihr dieser Satz gerade durch den Kopf geschossen war. Raphael wusste das und genau deshalb fing er an, zu grinsen. ,,Weiß nicht. Aber wenn ich sie lange genug anstarre, finde ich vielleicht etwas." Die schwarzhaarige lachte leise, während der Latino in seinem Kopf hinzufügte: Oder sie fängt an, zu sprechen und verrät mir die Antwort auf Simons Frage. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, fragte Lily: ,,Was hat er dich denn nun gefragt?" Raphael seufzte resigniert auf, gab schließlich jedoch nach. ,,Ob er mir etwas bedeutet." ,,Und was hast du geantwortet?" fragte die Frau neben ihm direkt. ,,Nichts." Wieder blieb es einen Moment still. Und wieder hatte Raphael das Gefühl, Lily würde seine Gedanken lesen, als sie meinte: ,,Ich schätze, du weißt nicht, ob er dir etwas bedeutet?" ,,Ganz genau."
Die nächste Zeit verbrachten Raphael und Lily zusammen, ohne wirklich auf die Zeit zu achten. Sie lagen gerade zusammen auf Raphaels Bett und redeten, da hörten die beiden Vampire plötzlich jemanden rufen. ,,Hallo?" kam es von unten. Simon. Raphael stand innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde an seiner Zimmertür. ,,Du wartest hier." knurrte er. Lily erwiderte nichts, also ging er einfach. Doch gerade, als er in den Flur zum ersten Wohnzimmer abbog, packte ihn jemand am Arm. ,,Ich erledige das." Raphael drehte den Kopf und sah in Camilles vor Freude blitzende Augen. Er schluckte schwer, als die Clanführerin an ihm vorbei ging und sich direkt an den Türrahmen lehnte. Ein paar weitere Momente hörte sie Simons verzweifelten Rufen zu. Der Vampir dachte fieberhaft nach. Sollte er einschreiten? Simon vor dem sicheren Tod bewahren? Aber wenn Camille Simon töten würde, hätte er einen Beweis dafür, dass Camille das Abkommen missachtete. Er könnte sie stürzen und den Clan vor dem Angriff der Nephilim bewahren. Aber was war nun wichtiger? Ein Menschenleben, das sowieso irgendwann zu Ende gehen würde oder mehrere unsterbliche Wesen? Simon oder sein Clan? Nach kurzem Überlegen, beschloss er, dass er das tun würde, was er schon immer getan hatte: Seine Familie beschützen. Außerdem würde Simon nach seinem Tode sowieso ein Vampir werden. Er könnte den Frischling bei sich aufnehmen und ihn dann ebenso beschützen. Nur bis er auf sich selbst aufpassen kann, versteht sich natürlich. Raphael war sich seines Plans zu hundert Prozent sicher. Es war die beste Möglichkeit. Doch dann hörte er es: ,,Raphael?" Simon hatte nach ihm gerufen. Für einen kurzen Moment überkam ihn ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache, doch er wusste, er musste objektiv bleiben. Er musste mit seinem Gehirn denken, weder mit seinem Herzen, noch mit seinem Magen. Er musste stark bleiben. Für seinen Clan. Für seine Familie. Simons Gebrüll machte das jedoch nicht einfacher. ,,Ich weiß, dass hier irgendwo jemand ist! Bitte!" Raphael biss sich auf die Lippe. ,,Ich glaub ich bin krank. Irgendjemand muss mir sagen, was mit mir passiert, weil es mein Leben ruiniert!" Einen kurzen Moment totale Stille, dann: ,,Verwandle ich mich zum Vampir?" und Camilles ekelhaftes Lachen, als sie in das andere Zimmer trat. ,,Mein armer kleiner Junge..." trällerte sie. ,,Ich hab mich schon gefragt, wann du zurückkommen würdest." ,,Was? Du . . . " Simon klang hilflos. ,,Du bist nicht sauer?" ,,Ganz im Gegenteil. Ich hab dich erwartet." erwiderte Camille. ,,Weißt du...Es ist nur mein Blut,was durch deine Adern fließt. Das kann seltsame Auswirkungen haben. Aber ich versichere dir, es ist harmlos. Das klingt ab mit der Zeit und alles wird wieder normal." Simon atmete mehrmals erleichtert auf und murmelte: ,,Gott sei dank." , ehe er nochmal zur Sicherheit nachfragte: ,,A-aber ich bin doch in Ordnung. Ich bin . . . Noch bin ich doch ein Mensch, oder?" ,,Aber natürlich bist du das!" sagte die Vampirin in diesem widerlich süßem Ton. Bei ihrem nächsten Satz jedoch, veränderte sich ihre Stimmlage und sie tat genau das, was Raphael erwartet hatte. ,,Zumindest wärst du das gewesen!" giftete sie und stürzte sich auf den Jungen. Raphael konnte Simons Schreie hören. Er konnte hören, wie er sich wehrte, bis das Gift seine Wirkung ausbreitete und seine Muskeln sich entspannten. Wenigstens würde Simon schmerzlos sterben. Das redete sich der Vampir jedenfalls die ganze Zeit ein, während er noch immer auf dem Flur stand und den Saug- und Schluckgeräuschen lauschte. Als Camille schließlich zurück in den Flur stolziert kam, setzte Raphael wieder seine kühle Maske auf und verhielt sich, als ob es nur irgendein Mundi gewesen wäre. ,,Ich geh mal davon aus, du hast mir nichts übrig gelassen?" sagte er mit einem sarkastischen Unterton, woraufhin Camille nur teuflisch grinste. ,,Bitte verzeih." meinte sie nur. Der Latino verdrehte gekonnt die Augen, ging an ihr vorbei und sagte: ,,Na, dann geh ich mal die Leiche entsorgen." Camille winkte nur ab und verzog sich zurück in ihr Arbeitszimmer. Als Raphael schließlich im Wohnzimmer stand und auf Simons blassen toten Körper hinabblickte murmelte er nur: ,,Lo siento."

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In The Shadows
Fiksi PenggemarSimon Lewis und Clary Fray waren schon immer beste Freunde. Zusammen gehen sie durch Dick und Dünn. Sie kennen einander in und auswendig. Nur eine Sache gibt es, die Clary nicht über Simon weiß. Als sie herausfindet, dass sie eine Schattenjägerin i...