XX.

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Simon konnte einfach nicht mehr klar denken. Raphael hatte ihn als Mensch oft gebissen, aber dieser Biss war anders. In dem Moment, als Raphaels Fänge seine Haut durchbrachen, überwältigte ihn eine Welle voller Gefühle. Seltsame aber gute Gefühle, die er so noch nie hatte. Es war eine Mischung aus Sehnsucht, Erregung und etwas, das Simon nicht so ganz einordnen konnte. Und dann kam er auch noch in seine Hose, wie ein mit Hormonen vollgepumpter Teenager! Nach diesem Vorfall konnte er Raphael eine ganze Weile nicht in die Augen sehen. Also versteckte er sich im Bootshaus und wartete auf den nächsten jüdischen Feiertag, den er mit seiner Familie verbringen würde: Jom Kippur. Es würde ihn etwas ablenken. Maia hielt das allerdings nicht für eine sehr gute Idee, also kam sie mit, um etwas auf Simon aufzupassen. Überraschenderweise verstand die Wölfin sich gut mit Simons Familie und die Beiden kamen sich immer näher. Schließlich endete die Flirterei mit einem Date und sie wurden ein Paar. Zum ersten Mal seit Wochen war Simons Leben kein einziger Komplizierter Scherbenhaufen. Doch dann kam Clary und erzählte ihm von der Sitzung mit den Unterweltlern und der Entscheidung der Elbenkönigin. Sie bat ihn, mit der Königin zu reden. Simon zögerte, stimmte kurz darauf jedoch zu.

Und so stand er nun hier: Auf einer Brücke mit dem Wasser sprechend, während Vorbeilaufende ihn schief ansahen. Als dann ein junges Mädchen, zirka fünfzehn schätzte Simon, vorbeikam, erzählte er zuerst, er würde ein Spiel mit einem Kind aus seiner Nachbarschaft spielen, doch das Mädchen lachte nur und zeigte ihre spitzen Ohren. ,,Sie sind eine?" fragte der Tageslichtler erleichtert. ,,Toll. Ähh . . Ich muss mit der Königin sprechen."  ,,Deine Königin steht bereits vor dir." erwiderte das Mädchen und Simon sah sie verwirrt an. ,,Ihr wart ein Kind und jetzt seid ihr . . ." Die Königin lächelte und kam einen Schritt näher. ,,Verschiedene Outfits, für verschiedene Anlässe." Simon machte einen Schritt zurück, woraufhin sie fragte: ,,Du traust mir nicht, hab ich recht? Ist es etwa wegen des kleinen Spiels, das ich mit dir und deinen Freunden gespielt habe?" ,,Nein, nein." erwiderte Simon. ,,Gar nicht. Das ist Schnee von gestern." Er atmete tief durch und straffte die Schultern. ,,Eure Hoheit, ich bin dienstlich hier." erklärte er. ,,Diese ganze Auszug-gegen-den-Rat-Sache könnte zu einem Krieg führen. Ich bitte Euch, überdenkt das. Ich meine, Ihr wisst doch, dass das nicht gut ausgeht, egal wer Valentine aufhält." ,,Nun, solange du auf meiner Seite stehst, wenn der Wind sich dreht," erwiderte die Königin und streckte eine Hand aus, um durch Simons Haar zu fahren, als sie fortfuhr: ,,wird kein einziges Haar auf deinem perfekten Haupt zerzaust." Da wurde es Simon klar und er machte ein paar Schritte rückwärts. ,,Ihr wollt nicht, dass das gut ausgeht. Ihr wollt Krieg!" ,,Ich will Veränderungen." erwiderte die Königin. ,,Und dich, Tageslichtler. Komm an meinen Hof. Gib mir, was ich will und ich geb dir alles, was du verlangst." Doch Simon lehnte ab und ließ die Königin wütend zurück. Auf dem Weg zurück zum Bootshaus, dachte er über die ganze Situation nach. Die Unterwelt stand kurz vor einem Krieg und er stand im Prinzip ganz alleine da. Er hatte Maia, doch zu den Werwölfen gehörte er nicht. Er hatte Clary, doch zu den Shadowhuntern gehörte er nicht. Er hatte Magnus, doch ein Hexenmeister war er auch nicht. Zu den Elben wollte er nicht und zu den Vampiren konnte er nicht mehr. Im Bootshaus legte er sich sofort ins Bett, hatte jedoch nicht lange seine Ruhe. ,,Was genau wolltest du damit erreichen?" Erschrocken sprang Simon auf. Doch als er sah, wer dort vor ihm stand, ließ er sich gerade wieder ins Bett fallen. ,,Mal im Ernst, hast du nichts besseres zu tun, als mir einen Herzinfarkt zu verpassen?" grummelte er, in dem Versuch, seine Nervosität zu überspielen. ,,Dein Herz schlägt nicht. Du kannst gar keinen Herzinfarkt bekommen." erwiderte Raphael. ,,Zurück zum Thema: Magnus hat mich vorhin angerufen und mir erzählt, dass die Königin ihn gefragt hatte, ob er dich zu ihr geschickt hat. Hat er nicht, also fragte er, ob ich dich geschickt habe. Hab ich nicht, also: Was wolltest du da?" Simon setzte sich aufrecht hin und sah den Älteren an. Bei seinem Anblick kamen Bilder von dem Biss in ihm hoch, die er jedoch schnell zur Seite schob. ,,Clary hat mich gebeten, mit ihr zu reden." Raphael lachte bitter auf. ,,Natürlich, wer auch sonst!"  ,,Bist du etwa mit der ganzen Sache einverstanden?" fragte Simon, doch Raphael antwortete nicht, woraufhin der Tageslichtler aufsprang. ,,Das ist nicht dein Ernst! Du willst Krieg?!"  ,,Nein, will ich nicht!" zischte Raphael. ,,Aber momentan haben wir nicht sehr viele Möglichkeiten. Was du auch wissen würdest, würdest du dich auch nur etwas an der Sache beteiligen, anstatt mit dieser Wölfin-" ,,Lass Maia da raus!" unterbrach Simon ihn. ,,Sie hat nichts damit zu tun. Ich häng nicht nur mit ihr 'rum, damit ich nicht mit dir reden muss." ,,Das hab ich ja auch nie behauptet." Simon wurde still, woraufhin Raphael grinste.  ,,Dann ist sie also nur eine Ablenkung, ja?" Der Latino kam einen Schritt näher. ,,N-Nein." stotterte Simon und fiel, bei dem Versuch einen Schritt zurück zu machen, auf sein Bett, sodass er nun vor dem Älteren saß und ihn von unten herauf ansah. ,,Natürlich nicht." lachte Raphael. ,,Es ist wegen dem Biss, nicht?" Simon antwortete nicht, stattdessen stand er auf und sagte: ,,Weißt du was, das ist mir zu blöd. Ich geh jetzt zu Maia, denn ich mag sie." Damit verschwand er aus dem Bootshaus, doch er konnte Maia nicht finden. Wie sich herausstellte, wurde Maia von der Elbenkönigin entführt und Simon konnte sie nur retten, indem er einen Deal mit ihr vereinbarte. Er blieb ein paar Tage am Lichten Hof und durfte gehen, nachdem er ein Zeichen auf die Stirn gebrannt bekommen hatte. Jeder der ihm jetzt versuchte weh zu tun, verletzte sich damit selbst; so auch Raphael. Da Simon niemanden verletzen wollte, machte er sich zusammen mit Maia auf den Weg zur Elbenkönigin. Doch bei dem Versuch, ins Elbenreich jenseits des Wassers zu gelangen, plumpste er geradewegs ins kalte Nass. Es schien, als hätte man ihn aus dem Hof verbannt. Frustriert ging er zurück zum Bootshaus, doch als er ankam, stand die Tür ein Stückchen offen. Vorsichtig steckte er den Kopf durch die Tür und rief: ,,Hallo? Ist jemand da?" Da trat ein nur allzu bekannter Werwolf in Simons Sichtfeld. ,,Luke?" fragte Simon verwundert. ,,Was machst du denn hier?" Der Mann warf ihm einen entschuldigenden Blick zu. ,,Simon, ich- ähm . . ." Simon verstand; die Wölfe wollten ihn aus dem Haus haben.  ,,Schon okay." meinte er. ,,Ich verstehe. Ich komm morgen wieder und hole meine Sachen." Nachdem er Luke nochmal versichert hatte, dass er klar kommen würde, machte er sich auf den Weg zu Maia. Doch kurz bevor er bei ihr ankam, hielt er inne. Er konnte Raphael einfach nicht mehr vergessen. Er hatte ihn verletzt. Er hatte ihn mit Fragen gelöchert, obwohl er, wie Simon nun realisierte, sowieso schon echt mies aussah. Es war das erste Mal, dass er Raphael hat weinen sehen. Er fühlte sich furchtbar und konnte das Gefühl einfach nicht abschütteln. Nach kurzem Zögern entschied er, wenigstens mal nach ihm zu sehen. Mit Vampirgeschwindigkeit rannte er zum Hotel Dumort, wo er schon gar nicht erst anklopfte. Ohne zu zögern rannte er hoch Richtung Raphaels Zimmer, doch so weit kam er gar nicht. Er war gerade in den Flur eingebogen, da kam Gesuchter auch schon auf ihn zugehetzt. ,,Was machst du hier, Tageslichtler?!" fragte er. ,,Hör zu, Raphael, ich weiß du bist sauer-" Zu seiner Überraschung ging der Clanführer geradewegs an ihm vorbei und erwiderte: ,,Nein, ich bin beschäftigt."  ,,Beschäftigt?" fragte Simon verwirrt und ging ihm nach. ,,Solltest du nicht eher deine Verletzungen-"  ,,Mir geht's gut." knurrte Raphael, drehte sich um und sah Simon aus dunklen Augen an. ,,Aber dir gleich nicht mehr, wenn du jetzt nicht gehst!" Simon blieb stehen. Etwas stimmte nicht, das spürte er. Nach kurzem Innehalten, lief er Raphael hinterher in sein Schlafzimmer. ,,Okay, Raphael, was ist-" Er sah, wie der Ältere gerade etwas aus einer Schublade holte. Irgendwoher kannte er dieses Fläschchen. ,,Was ist das?" ,,Nichts." erwiderte Raphael. ,,Doch, doch. Das hab ich schon mal irgendwo gesehen." Da fiel es ihm wieder ein. ,,Ja, klar! Bei Magnus. Es . . . Ein Beruhigungsmittel für Vampire?! Wofür . . .?" Raphael antwortete nicht. Einen Moment war es still. ,,Wem gibst du das?" ,,Niemandem." ,,Dann nimmst du es?" Erneut antwortete Raphael nicht.  ,,Wieso?" fragte Simon schließlich. ,,Wieso interessiert es dich?" Simon seufzte bei dieser Antwort und schloss die Tür. ,,Wieso?" wiederholte er seine Frage mit mehr Nachdruck. Kurze Stille. ,,Meine Schwester ..." murmelte Raphael schließlich so leise, dass Simon es nicht gehört hätte, wäre er noch ein Mensch gewesen. Da wurde Simon Alles klar.

Raphael hatte mal erwähnt, dass er seit sechzig Jahren ein Vampir sei, was bedeutete, dass seine Schwester theoretisch noch am Leben sein konnte. Doch anscheinend war sie das seit kurzem nicht mehr.

,,Scheiße, Raph... " murmelte Simon genauso leise und ging ein Schritt auf ihn zu. Vorsicht legte er eine Hand auf Raphaels Schulter und als dieser nichts dagegen tat, zog er ihn langsam in seine Arme. Einen Moment stand der Latino bewegungslos da, ehe er langsam seine Arme um Simons Taille legte und sich schließlich in seine Jacke krallte. Doch schon nach kurzer Zeit, schob er Simon von sich. ,,Wie dem auch sei..." meinte Raphael mit rauer Stimme, die Tränen in den Augen. ,,Du solltest jetzt gehen. Ich hab Arbeit zu erledigen." ,,Sicher, dass du-"  ,,Simon," Es war das erste Mal seit Wochen, dass er seinen Vornamen benutzte.  ,,ich komm zurecht. Geh schon." sagte er und zeigte zur Tür. Simon nickte nur still und machte sich auf den Weg zu Maia.

In The ShadowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt