XXVI

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Simon konnte einfach nicht schlafen. Er konnte nicht mal mehr sagen, wie lang er nun schon hier lag und an die Wand starrte. Schließlich seufzte er, stand leise auf und zog sich eine Hose an. An der Tür drehte er sich nochmals um und sah auf das Bett. Eigentlich hatte er Isabelle gesagt, dass er nur sichergehen wollte, dass es Raphael gut ging. Er hatte ihr gesagt, dass er nur eine Nacht, höchstens zwei, in Magnus' Gästezimmer übernachten würde, doch so stur wie sie nunmal war, wollte Izzy davon nichts hören. Und so lag sie hier: In Magnus' Gästezimmer, schlafend, ihre schwarzen Haare über das Kissen ausgebreitet. Und Simon war dabei, sich aus dem Zimmer zu schleichen. Doch er redete sich ein, dass er sich nur um einen alten Freund sorgte. Er liebte Isabelle, ihre Beziehung lief toll, richtig? Richtig?

Leise schloss er die Tür und lief durchs Wohnzimmer. Er war auf dem Weg in die Küche, als er Jemanden auf dem Balkon entdeckte. Nach kurzem Zögern trat er ebenfalls nach draußen und stellte sich neben die Person. ,,Du kannst wohl auch nicht schlafen." murmelte er und lehnte sich an das Geländer. ,,Wie könnte ich?" erwiderte Magnus und nippte an seinem Martini. ,,Raphael ist wie ein Sohn für mich. Ich hab ihn direkt nach seiner Verwandlung gefunden, hab ihn bei mir wohnen lassen. Egal wie sehr er mich manchmal in den Wahnsinn getrieben oder wie oft er mir schon fast einen Herzinfarkt beschert hat, ich wollte ihm immer helfen. Das will ich immer noch. Aber ich kann es nicht. Ich hatte noch nie mit diesem himmlischen Feuer zu tun. Ich weiß nicht, was mit ihm los ist. Ich kann ihm einfach nicht helfen!"  ,,Ich weiß, was du meinst." murmelte Simon und sah hinunter auf die Stadt. Alicante lag ruhig und friedlich vor ihm. Keine Geräusche von fahrenden Autos oder betrunkenen Jugendlichen, die in Clubs tanzten; nur stille leere Straßen und dunkle Häuser. Keine bunten flackernden Lichter, die die Umgebung erhellten; nur das leichte Glitzern des Sees, der durch die Stadt floss. Kein Geruch von Abgasen oder anderen undefinierbaren Dingen; nur die Blumen und Bäume, die ihren Duft verströmten. Simon konnte gut verstehen, warum man es mochte, hier zu leben. Allerdings war es nichts für ihn. Er brauchte den Lärm und die Lichter, der Stadt, in der er aufgewachsen war. Er brauchte das Leben, der Stadt, die niemals schläft. Hier fühlte er sich einsam. Und dieses Gefühl konnte er in seiner jetzigen Situation gar nicht gebrauchen.
 ,,Warum bist du wirklich hier, Simon?" Verwirrt über die Frage, sah er den Hexenmeister an. Dieser ließ seinen Blick jedoch auf der gläsernen Stadt ruhen, während er geduldig auf seine Antwort wartete. ,,Was meinst du?" fragte Simon schließlich. ,,Du wolltest sicherstellen, dass es Raphael gut geht. Das hast du und trotzdem bist du noch immer hier. Warum?" fragte Magnus. ,,Er- Er hat mir geholfen, er hat mir ein Dach über dem Kopf und Nahrung angeboten . . . Das ich mich um sein Wohlergehen sorge, ist doch wohl das mindeste!" erwiderte Simon, doch Magnus schüttelte nur leicht den Kopf. ,,Ich hab gesehen, wie er dich ansieht." meinte der Hexenmeister. ,,Und ich hab gesehen, wie du versucht hast seinen Blick zu meiden. Ich kenne Raphael, ich lese ihn, wie ein offenes Buch. Und wenn ich mich bei dir nicht täusche..." Er ließ den Rest des Satzes in der klaren Nachtluft hängen. Er wusste, mehr Worte waren nicht nötig. Und auch Simons bitteres Schweigen erwies sich als Bestätigung auf Magnus' unausgesprochene Vermutung.  ,,Seit wann?" Simon lachte freudlos auf und antwortete nur: ,,Ja, das wüsste ich auch gern..." Da hörte der Vampir plötzlich einen dumpfen Knall. In dem Moment, in dem er realisierte, dass es aus Raphaels Zimmer kam, rannte er auch schon los. Ohne anzuklopfen riss er die Tür auf und was er dort sah, ließ ihm das fremde Blut in den Adern gefrieren. Raphael lag bewusstlos am Boden, mit Schweiß bedeckt und in seiner Hand eine goldene Kette mit einem Kreuz daran. Wie in Zeitlupe sah er Magnus ins Zimmer stürzen. Er warf sich neben dem Jungen auf die Knie und ließ sofort seine bläulich leuchtende Hand über seinen Kopf fahren. Nach ein paar Minuten spürte Simon eine Hand auf seiner Schulter und zuckte zurück. Vor ihm stand Izzy und versuchte ihn zu beruhigen: ,,Hey, Simon, ich bin's. Ganz ruhig, okay?" Simon rieb sich aufgewühlt durchs Gesicht und sah zu Magnus, der nun wieder auf beiden Füßen stand. ,,Er ist aufgrund starker Schmerzen ohnmächtig geworden." erklärte dieser.  ,,Er müsste bald wieder aufwachen. Ich leg ihn wieder ins Bett und-" ,,Nein." fiel Simon ihm ins Wort. ,,Nein, ich- ... Ich mach das schon. Geht ihr wieder ins Bett."  ,,Bist du sicher?" fragte Isabelle. Simon nickte nur stumm und wartete, bis alle wieder aus dem Raum waren, ehe er Raphael vorsichtig hochnahm und ihn ins Bett legte. Einen Moment stand er einfach nur da und sah auf den Älteren hinab, während er versuchte sich zu entscheiden, ob er bleiben oder zu seiner Freundin ins Bett gehen sollte. Schließlich kam er zu dem Schluss: Er sollte sich wieder zu Izzy ins Bett legen. Das hätte er definitiv tun sollen. Doch stattdessen legte er sich neben Raphael und nahm vorsichtig seine Hand.

Als Simon das nächste Mal aufwachte, war das Bett neben ihm leer. Verwundert setzte er sich auf und sah sich im Raum um. Als er die Dusche aus dem angrenzenden Badezimmer hörte, atmete er erleichtert auf und ließ sich wieder zurück auf die Matratze fallen. Schlafen konnte er nun nicht mehr, also lauschte er einfach dem Geräusch des fließenden Wassers, bis es irgendwann aufhörte und Raphael auf nackten Füßen durch das Bad tapste. Simon stand auf und streckte sich, als sich plötzlich die Badezimmertür öffnete und Raphael ihn aus großen Augen ansah. ,,Du bist wach..."  ,,Du auch." erwiderte Simon, die Augen fest auf Raphaels gerichtet. ,,Allerdings ist das bei dir auch etwas erwähnenswerter, angesichts der Tatsache, dass du ohnmächtig warst." Einen Moment war es still zwischen den Beiden, ehe Simon schließlich mit etwas sanfterer Stimme fragte: ,,Wie geht's dir?"  ,,Gut." antwortete Raphael schlicht. Simon zog eine Augenbraue hoch. ,,Gut?" machte er. ,,Es geht dir gut?! Du warst Gott weiß wie lange bewusstlos! Oh und wo wir gerade dabei sind: Was hat dir solche Schmerzen bereitet, dass du- . . ." Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er sah Raphael ungläubig an. Aber natürlich! Wieso war er nur nicht früher darauf gekommen?! ,,Du hast es wieder versucht, richtig?" fragte Simon. Raphael wendete schweigend den Blick ab. ,,Du hast so lange versucht, deine Fangzähne auszufahren, bis du bewusstlos geworden bist?! Ist das dein Ernst?!" Raphael räusperte sich. ,,Nicht direkt..." murmelte er. ,,Meine Fänge, meine Krallen . . ." Am liebsten hätte Simon den Latino angeschrien, ihn geschüttelt und ihn gefragt, was zur Hölle er sich dabei gedacht hatte. Gleichzeitig hätte er ihn am liebsten in seine Arme genommen, ihn fest an sich gedrückt und ihm gesagt, dass alles wieder gut werden würde. Schlussendlich seufzte er jedoch nur, ließ sich aufs Bett fallen und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Er wollte gerade etwas sagen, als er Raphael leise etwas murmeln hörte. Simon sah auf und setzte sich aufrecht hin. ,,Wie bitte?"  ,,Dije 'Lo siento'..." Simon konnte nicht viel Spanisch, aber er wusste, was 'Lo siento' bedeutete. Verwirrt fragte er: ,,Was tut dir leid?" ,,Dass ich dich erschreckt habe." erwiderte Raphael. ,,Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst."  ,,Und um dich machst du dir keine Sorgen?" Simon sah den Älteren verständnislos an. ,,Du hast dir selbst solche Schmerzen angetan und alles was dir einfällt, ist 'Entschuldige, dass ich dich erschreckt hab'?! Raphael, was zum- . . . " Der Vampir schüttelte leicht den Kopf und sah dem Älteren stur in die dunklen Augen.  ,,Das würdest du nicht verstehen." war alles, was dieser antwortete. Simon seufzte, beließ es aber dabei. Eine Weile war es still, bis Simon realisierte, dass Raphael nur mit einem Handtuch um die Hüften bedeckt war. ,,Oh!" machte er, stand auf und ging zur Tür, während er sagte: ,,Entschuldige. Ich geh mal, dann kannst du dich anziehen." Raphael nickte nur und ging zu seiner Komode. Simon schloss die Tür hinter sich und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer, wo Magnus, Alec und Isabelle schon auf der Couch saßen. Als Izzy ihn sah, sprang sie sofort auf und ging auf ihren Freund zu. ,,Guten Morgen, Baby." sagte sie und wollte ihm einen Kuss geben, doch Simon legte seine Hände auf ihre Schultern und schob sie sanft von sich. ,,Ich fühle mich nicht besonders." entschuldigte er sich. Doch als sein Handy klingelte, hob sich seine Stimmung etwas. Es war Clary.

Noch vor einem Jahr hatte er gedacht, er würde seine beste Freundin nie wieder sehen. Die Engel hatten ihr ihre Erinnerungen genommen und sie in eine andere Welt verbannt. Jace jedoch besuchte sie, wann immer er konnte; selbstverständlich mit Zauberglanz. Er ging davon aus, dass Clary ihn nicht sehen könne. Doch als er eines Abends eine ihrer Ausstellungen besuchte, entdeckte sie ihn, lief ihm nach und als sie eine seiner Runen berührte, kamen all ihre Erinnerungen zurück.

Simon war froh, dass er seine beste Freundin wiederhatte, nur von ihrer neuen Frisur war er nicht sehr begeistert. Er fand, das Pony stand ihr nicht. ,,Hey, Fray." begrüßte er sie, auf dem Weg nach draußen auf den Balkon. ,,Hey, Simon." Sie klang erschöpft. ,,Hör mal, ich will ja nicht stören, bei was auch immer grade mit Raphael los ist, aber wir brauchen Izzy zurück. Die Leute reden, ich bin nicht besonders gut im Leiten eines Instituts und Jace meckert die ganze Zeit, er bekäme zu wenig Missionen." Da hörte Simon Jace im Hintergrund rufen: ,,Ich meckere gar nicht!"  ,,Oh doch, Jace, du meckerst wie ein kleines Kind!" erwiderte Clary. ,,Wie dem auch sei, ich weiß ja nicht, was Izzy sich dabei gedacht hat, uns zu den Leitern des Instituts zu machen, während sie weg ist, aber ich weiß, dass ich es nicht mag. Und Jace auch nicht. Könntest du sie mir mal bitte ans Telefon holen?"  ,,Ja, klar, warte kurz." Simon winkte Isabelle auf den Balkon, gab ihr das Handy und ging wieder nach drinnen.

In The ShadowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt