XI.

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Raphael knallte das Telefon zurück auf den Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer und las sich weiter den Vertrag in seinen Händen durch. Da hörte er Schritte auf dem Flur, nahm Simons Geruch wahr und kurz darauf folgte ein Klopfen.  ,,Komm rein, Frischling." rief Raphael. Die Tür öffnete sich und Simon sah ihn verwundert an.  ,,Woher..." setzte er an, schüttelte dann aber den Kopf, trat ein und schloss die Tür.  ,,A-also, Alec feiert morgen Hochzeit und Clary hat mich gefragt, ob ich mit ihr hingehe und ich war noch nie-"  ,,Simon, komm zum Punkt." fiel Raphael ihm seufzend ins Wort.  ,,Ich hab nichts zum Anziehen. Und da du so viele Anzüge hast, dachte ich . . ." Raphaels Blick fiel zurück auf die Papiere in seiner Hand, während er antwortete: ,,Ich werde dir eine Auswahl zusammenstellen und sie dir in den ersten Wohnraum bringen." Simon bedankte sich leise und ging wieder. Einen Moment starrte Raphael auf die geschlossene Tür, ehe er aufstand und zu seiner Suite ging. Er packte ein paar Anzüge, die er Simon ausleihen würde auf eine Kleiderstange und brachte diesen nach unten, wo Lily gerade einen großen Spiegel aufstellte.  ,,So, bitte schön." sagte sie an Simon gerichtet, tätschelte ihm kurz die Schulter und ging. Der Frischling bedankte sich erst bei ihr für den Spiegel, dann bei Raphael für die Anzüge. Mit einem einfachen 'De nada.' machte sich der Ältere wieder auf den Weg in sein Arbeitszimmer, als er plötzlich einen fremden Geruch wahrnahm. Es dauerte einen Moment, bis er ihn wiedererkannte; es war Engelsblut. Zwar nicht so penetrant, wie das von der kleinen Fairchild aber dennoch ohne jeden Zweifel ein Shadowhunter. Raphael blieb mitten auf dem Flur stehen und wartete.  ,,Schick." sagte eine weibliche Stimme.  ,,Scharfer Schnitt. Siehst elegant aus, wer hätte das gedacht."  ,,Isabelle." sagte Simon nur, woraufhin Raphael lautlos ein Stück näher an die Tür trat.  ,,Moment, ist alles okay mit Clary?" fragte Simon besorgt, doch Isabelle antwortete nur:  ,,Ihr geht's gut. Ich wollte dich nur kurz um Rat fragen."  ,,Das ich das noch erleben darf!" spaßte Simon und Raphael konnte das Grinsen förmlich heraushören.  ,,Du kannst gehen Stan." meinte Simon, woraufhin ein Mitglied des Clans einmal durch die Flure lief, ehe er schließlich an Raphael vorbeikam.  ,,Mr. Santiago." begrüßte er seinen Clanführer.  ,,Kann ich ihnen irgendwie behilflich sein?"  ,,Nein, danke." erwiderte Raphael.  ,,Ich bin nur gerne informiert. Vor allem, wenn ein Shadowhunter ohne ersichtlichen Grund unser Hotel besucht." Er war sich nicht sicher, ob er sich vor seinem Gegenüber oder sich selbst rechtfertigte. Genau genommen wusste er nicht, warum es ihn so interessierte, was Isabelle Lightwood dem Vampirfrischling zu sagen hatte. Doch Stan schien sich nicht weiter Gedanken darum zu machen, denn er nickte nur und führte seinen Weg fort. Raphael konzentrierte sich wieder auf das Gespräch.  ,,Es gibt nicht das Patentrezept für einen Junggesellenabschied." erläuterte Simon gerade.  ,,Es kommt drauf an, wer da ist. Eigentlich geht's dabei um beste Freunde, die sich treffen und sich versichern, dass sie immer beste Freunde bleiben. Auch wenn einer von ihnen heiratet."  ,,Also darum, die Verbindung zu den Menschen um dich herum zu verfestigen."  ,,Das," stimmte Simon ihr zu.  ,,und 'n Haufen Alkohol. Wenn beides zusammenkommt, wird dein Junggesellenabschied zum Erfolg." Nachdem Isabelle sich für den Rat bedankt und die beiden sich verabschiedet hatten, ging sie wieder.

Als Simon in der nächsten Nacht zurückkam, saßen Raphael und Lily gerade in einem der Wohnräume auf einer schwarzen Couch und unterhielten sich. Strahlend kam Simon in den Raum, ließ sich neben Lily nieder und streifte sich das Jackett von den Schultern.  ,,Warum so gut gelaunt?" fragte Lily und musterte den Jüngeren aufmerksam.   ,,Ihr glaubt nicht, was auf der Hochzeit passiert ist!" Simon erzählte ihnen die ganze Geschichte, wie Alec Lydia vor dem Altar hatte stehen lassen und stattdessen Magnus geküsst hatte.  ,,Oh, wow!" machte Lily nach dem Vortrag, wohingegen Raphael schon vorher von Magnus' Plan gewusst hatte und dementsprechend nicht ganz so überrascht war.  ,,Oh, und Clary wollte noch mit dir reden, Raphael." merkte Simon an, als wäre es nichts. Lily entschuldigte sich kurz und ging nach oben. Raphael wusste genau, wie die Vampirin zu den Shadowhuntern stand und dass sie schon viele schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht hatte. Es überraschte ihn nicht, dass sie Interaktionen mit den Nephilim zu vermeiden versuchte.  ,,Wie wär's wenn du dich umziehst, ich hol uns etwas zu trinken und du erklärst mir erstmal, worum es bei diesem Treffen gehen soll." Simon gehorchte, zog sich um und als er wiederkam, stand Raphael bereits mit zwei Bloody Marys an einem der runden Tische. Der Jüngere setzte sich, nahm ein Schluck von seinem Drink und erklärte sich:  ,,Wir haben vielleicht eine Möglichkeit gefunden Clarys Mutter aufzuwecken. Aber dafür brauchen wir deine Hilfe." Raphael verdrehte die Augen; natürlich ging es wieder um eine Fairchild.  ,,Hey!" protestierte Simon, als er die genervte Geste bemerkte.  ,,Jocelyn bedeutet mir auch einiges! Sie war immer wie eine zweite Mutter für mich." Regungslos sah Raphael auf Simon hinunter. Diese Frau bedeutete ihm etwas. Und man unterstützt sich gegenseitig in einem Clan, oder nicht?  ,,Sie sollen vorbeikommen, dann werde ich mir anhören, was sie zu sagen haben." Simon schrieb Clary schnell eine Nachricht und nicht lange danach waren sie und Isabelle auch schon angekommen.  ,,Für Shadowhunter kümmert ihr euch wenig um Dämonen." merkte Raphael an. Er achtete nicht groß darauf seine Gemütslage zu verstecken. Für seinen Geschmack waren diese Nephilim viel zu oft hier, und das durften sie ruhig mitbekommen. Isabelle grinste nur und erwiderte:  ,,Es gehört schon mehr dazu, als Dämonen umzubringen."  ,,Wir müssen mit Camille reden." wechselte Clary das Thema.  ,,Ihre Spur führt ins Hotel Dumort."  Raphael weigerte sich, also nahm Simon ihn kurz zur Seite und redete auf ihn ein.  ,,Sie ist viel zu gefährlich!" erwiderte der Ältere.  ,,Was ist denn das letzte Mal passiert, als du mit ihr reden wolltest?!" Doch Simon gab nicht auf, bis Raphael sich schließlich dazu entschied, Camilles Sachen aus dem Gebäude zusammen zu sammeln und sie den anderen zu zeigen. Zumindest war das der Plan, doch als er im Keller ankam, fand er nur Isabelle vor, die sich sorgsam alle Sachen anschaute.  ,,Interessant."  ,,Ich dachte, du suchst ein Zauberbuch."  ,,Tun wir auch." erwiderte die Nephilim.  ,,Wir..." murmelte Raphael.  ,,Wo sind deine Freunde?" Sie antwortete nicht, da bestätigte sich Raphaels Vermutung.  ,,Habt ihr wirklich gedacht, dass diese Hinhalte-Taktik funktioniert?"  ,,Nein." erwiderte Isabelle.  ,,Aber das hier schon!" Sie schlug mit ihrer Peitsche nach dem Vampir, welcher jedoch schneller war und schon am Fuße der Treppe stand. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er sagte:  ,,Typisch Shadowhunter; Immer unterschätzt ihr die Vampire!" Isabelle holte ein weiteres Mal zum Schlag aus, doch da war Raphael schon die Treppe hinauf und verriegelte die Tür. Er trommelte ein paar Vampire zusammen und machte sich auf den Weg, um Simon und die Anderen zu finden. Schließlich konnte er ihn vom Flur aus hören.  ,,Kein Problem." Mit jedem Schritt wurde die Stimme deutlicher und Raphaels Ärger wuchs.  ,,Wir gehen nach unten und verschwinden durch die Tunnel."  ,,Wo willst du denn hin?!" fragte Raphael schließlich, als er um die Ecke bog und direkt vor dem Frischling stand. Für einen Moment sahen sich die beiden Vampire in die Augen und Raphaels Fassade fing an, zu bröckeln. Man konnte den Schmerz des Verrates in seinen dunklen Augen sehen. Doch seine kalte Maske war schnell wieder da, als eine weibliche Stimme die Stille durchbrach.  ,,Raphael!"  Angesprochener drehte sich zu Camille um und meinte kühl:  ,,Du hättest drin bleiben sollen." Dann wandte er sich wieder an Simon:  ,,Du hast mich wirklich enttäuscht!"  ,,Wie wär's, wenn wir sie wieder zurückbringen?" fragte Simon nur, doch Raphael hatte für so etwas nun keine Geduld mehr.  ,,Das wird nichts!" sagte er und drängte die Anderen zurück.  ,,Unsere Allianz ist Geschichte. Das Abkommen verbietet zwar Mundis zu töten, aber kein Wort zu Vampiren mit Sonnenbrand. Simon hat uns hintergangen, genau wie Camille. Sie verdienen das selbe Schicksal." Der Vampir grinste, wobei er seine Fangzähne entblößte.  ,,Adios. Tötet sie!" Die Vampire wollten sich gerade aufeinanderstürzen, als plötzlich etwas durch die Wand krachte. Betonstücke flogen durch die Gegend und ein Lichtstrahl erhellte das Zimmer. Schnell zog Raphael seine Hand zurück, da ertönte auch schon eine weibliche Stimme:  ,,Ach, kommt schon, Leute!" Isabelle trat in das Zimmer und stellte sich mitten in den Lichtstrahl, den die beiden Gruppen voneinander fernhielt. Sie bedachte Raphael mit einem abfälligen Blick und sagte:  ,,Typisch Vampire; Immer unterschätzt ihr Shadowhunter!" 

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