XXII.

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Raphael lachte, als er Simons verlegenen Gesichtsausdruck bemerkte. ,,Oh, bitte, führ deinen Satz zu Ende!" grinste er. ,,Wieder tun ...?" Simon räusperte sich ein paar Mal, ehe er leise anfing, zu stottern: ,,Na-naja, also . . . I-ich-ähm... A-also, ich... Ich-ich würde . . . Also wenn D-du .. Ich meine nicht, dass . . Also, was I-ich- ähm..." Raphael musste sich hart auf die Lippe beißen, um nicht laut loszulachen. Als Simon das bemerkte, schnaubte er etwas verärgert und murmelte: ,,Du bist gemein!" Da konnte Raphael sich nicht mehr halten. Simon klang wie ein kleines Kind und sein Ausdruck und seine verschränkten Arme machten es nicht besser. Er wollte gerade aufstehen, doch da packte Raphael ihn am Handgelenk und zog ihn zurück aufs Bett. ,,Nein, nein, warte." lachte er. ,,Tut mir leid, okay? Lo siento, lo siento... Ich wollte nicht-... Du warst nur grade so... Dios, du klangst wie ein kleines Kind. Das war einerseits total süß aber eben auch total witzig!" ,,Süß?" fragte Simon und zog grinsend eine Augenbraue hoch. Sofort hörte Raphael auf, zu lachen und ging seine Worte nochmals durch. Da er wusste, dass er sich nun nicht mehr herausreden konnte, spielte er einfach mit und grinste. ,,Ja, es war total niedlich." meinte er. Simons Grinsen wurde etwas kleiner und er lehnte sich langsam nach vorne. Doch kurz bevor ihre Lippen sich berührten, neigte Raphael den Kopf zur Seite und küsste stattdessen Simons Hals. Fast schon unkontrolliert bohrten sich seine Fangzähne durch sein Zahnfleisch, als er die Hauptschlagader unter seinen Lippen spürte und das süßliche Blut roch. Simon krallte eine Hand in Raphaels lockige Haare und drückte sich ihm entgegen, eine nonverbale Antwort auf seine unausgesprochene Frage. Langsam ließ Raphael seine Fänge in die weiche blasse Haut des Jüngeren gleiten und als das süße Blut in seinen Mund strömte, seufzte er wohlig auf. Er wusste nicht, woran es lag, aber er liebte Simons Blut; schon seit dem ersten Biss. Simons Griff in Raphaels Haar wurde fester und er drückte sich ihm entgegen. Raphael wusste, was Simon gerade spürte. Er selbst hatte sich auch schon mal beißen lassen. Es war zwar schon etwas länger her, aber das Gefühl vergisst man nie. Wird man als Mensch gebissen, wird man in einen rauschartigen Zustand versetzt. Es ist wie ein High. Wird man jedoch als Vampir gebissen, ist es so viel mehr. Es ist nicht nur wie ein High, es ist, als würde man fliegen. Man fühlt jeden einzelnen Teil seines Körpers kribbeln. Man spürt jede noch so kleine Berührung, seien es nun die Bettlaken oder das Gewicht des Körpers, dass über einem lag. Aber am heftigsten war das, was in seinem Körper passierte. Eine gewaltige Welle von jeder positiven Emotion, die man sich vorstellen konnte, durchflutete seinen Körper und ließ seine Sicht kurz aussetzen. Für diesen Moment konnte er nicht mehr denken, nichts mehr sehen und nichts mehr hören. Er konnte nur noch fühlen, und das viel zu viel. Simon zitterte nun in Raphaels Armen, woraufhin er seine Fänge aus ihm zurückzog. Er legte sich neben ihn und schaute den Jüngeren mit etwas vernebelter Sicht an. Simons Augen waren geschlossen, sein Mund leicht geöffnet und in seiner Hose war eine Beule. Als er etwas von seinem High runtergekommen war, öffnete er die Augen und sah Raphael an. Raphael konnte deutlich sehen, wie er schluckte.  ,,Also, . . ." setzte Simon an und räusperte sich. ,,Ich denke, ich sollte . . ." Er gestikulierte Richtung Tür. Raphael nickte. ,,Ja, das denke ich auch."  ,,Okay..." murmelte Simon und stand auf. Doch gerade, als er die Tür öffnete, hielt er nochmals inne. Der Tageslichtler drehte sich in der offenen Tür um, sah dem Älteren direkt in die Augen und fragte:  ,,Was sind wir?" Raphael sah ihn etwas perplex an. ,,Was meinst du?" fragte er. Simon machte einen Schritt zurück in den Raum. ,,Was sind wir? Mitglieder des selben Clans? Freunde? Was sind wir, Raphael?" Angesprochener setzte sich etwas auf. Er öffnete den Mund, um zu sprechen, schloss ihn jedoch wieder, als er bemerkte, dass er keine Antwort auf diese Frage hatte. Was waren sie? Freunde? Feinde? Beides? ,,Familie." sagte Raphael schließlich. ,,Der Clan, du und ich. Wir sind Familie, Simon." Doch Simon schüttelte den Kopf. ,,Das meinte ich nicht. Ich meine-" ,,Ich weiß." fiel der Ältere ihm ins Wort. ,,Aber eine bessere Antwort hab ich auch nicht." Die Beiden sahen sich einen Moment an, ehe Raphael weiter sprach: ,,Du kannst mich jederzeit besuchen, aber bitte fühl dich nicht dazu verpflichtet. Geh zurück nach New York, führ dein Leben unabhängig von mir weiter. Versuch dein Glück bei Isabelle, ich glaube, sie mag dich. Hilf deiner Freundin Clary, sie braucht dich. Leg dich mit der Elbenkönigin an, finde den Vampir und werde dieses Mal los. Nur bitte, stirb nicht nochmal, ja?" Simon nickte traurig lächelnd. ,,Okay..." murmelte er und verschwand mit einem letzten Blick über die Schulter durch die Tür. Raphael sah ihm einen Moment hinterher. Er hätte am liebsten noch so viel mehr gesagt, doch er wollte es nicht noch schwerer machen.

Als Raphael ein paar Nächte später wieder im Gemeindezentrum war, vernahm er einen sehr bekannten Geruch aus Richtung Flur; Engelsblut. Nachdem alle Leute aus dem Gebäude verschwunden waren, rief er: ,,Du kannst jetzt rauskommen." Er drehte sich um, als er die Absätze der Schuhe über den Boden klackern hörte. Erneut erblickte er ein bekanntes Gesicht, diesmal jedoch nicht Simons. ,,Isabelle..." Er lächelte. Sie jedoch wirkte ernst und als sie die Handschellen herausnahm, verstand er auch wieso. ,,Im Auftrag des Rats, stelle ich dich hiermit unter Arrest." Isabelle entschuldigte sich vielmals, doch Raphael versicherte ihr, dass es in Ordnung wäre.

Im Institut wurden die Gefangenen durch ein Portal in das Gefängnis in Idris gebracht. Auf dem Weg dorthin dachte Raphael darüber nach, was er Simon hätte sagen können, hätte er gewusst, dass er heute hier stehen würde. Doch gerade als er in den Raum gebracht wurde, wurden seine Gedanken durch eine weibliche Stimme unterbrochen. Isabelle kam mit einem entschuldigenden Ausdruck in den Augen auf ihn zu. Da realisierte er: Das war seine Chance. Er konnte es zwar nicht Simon sagen, aber er konnte es zumindest laut aussprechen. Wenn auch vor der falschen Person. ,,Jeden Tag in dieser Suppenküche hab ich mir gewünscht, dass du zur Tür herein kommst." fing er an. ,,Ich hab überlegt, was ich sagen soll." ,,Du weißt, Worte wären nicht nötig." erwiderte Isabelle, doch Raphael machte unbeirrt weiter: ,,Das ist meine letzte Chance. Dein Gesicht nie wieder zu sehen, ist der Preis, den ich zahlen muss." ,,Raphael, ich-" ,,Ich will nur, dass du weißt," fiel er ihr ins Wort. ,,dass ich dich nie vergessen werde."  ,,Ich werde dich auch niemals vergessen."  Sie nahm Raphaels Hände in ihre und er wünschte, dass es Simons Hände wären.  ,,Leb wohl, Raphael." sagte sie. ,,Leb wohl."       ',Simon.'

Man brachte ihn in ein Gefängnis für Unterweltler, doch es war anders, als er es erwartet hatte. Er hatte die UV-Strahlen-Schutzmechanismen erwartet, die Wärter und auch die bedrückte Stimmung, jedoch nicht, den Raum aus dem Schreie pures Schmerzens durch die Gänge hallten und auch nicht, dass die Gefangenen vereinzelt aus dem Raum gezerrt wurden, ohne jemals zurückzukehren. Er verbrachte ein paar Tage dort unten, bevor er vollständig das Zeitgefühl verlor. Jedes Mal, wenn die Tür aufging, versuchten die Anderen zu flüchten, doch bisher hatte niemand Erfolg. Raphael versuchte es gar nicht erst, er akzeptierte seine Strafe. Jedoch änderte sich alles, als der neuste Gefangene in den Raum geschubst wurde.  ,,Wo zur Hölle sind wir?" murmelte der Neuling. ,,Das ist nicht die Hölle," erwiderte Raphael. ,,eher das Fegefeuer." Der Neuling drehte sich um und Raphael starrte direkt diese zwei wunderschönen braunen Augen, die er nur zu gut kannte. ,,Simon?" fragte er verwirrt. ,,Raphael?!" Der Ältere ging auf den Tageslichtler zu und musste bei der Ironie der Situation etwas grinsen. ,,Was könnte Simon Lewis angestellt haben, um hier drin zu landen?" Da kam Simon plötzlich näher und machte ein zischendes Geräusch, das ihm signalisierte, dass er leise sein sollte. ,,Bitte nenn mich Zeke."  Nun war Raphael komplett verwirrt. ,,Zeke?" ,,Ja." nickte Simon. ,,Ich hab 'ne alte Lady ausgesaugt." ,,Du hast was?!"  ,,Äh- Zeke natürlich." erklärte Simon. ,,Das ist nur Tarnung." Langsam fing das Ganze an, Sinn zu machen. ,,Also bist du freiwillig hier?" ,,Ja. Ich suche nach einem Engelsschwert namens 'Glorious', es brennt angeblich mit himmlischen Feuer. Sagt dir das irgendwas?" ,,Überraschenderweise reden die Wärter nicht mit den Insassen." erwiderte Raphael etwas harsch. ,,Komm schon, es ist ein riesiges Flammenschwert, nicht zu übersehen!" Da kam eine blonde Shadowhunter ans Gitter und sah auf die Gefangenen hinab. ,,Was passiert jetzt?" fragte Simon perplex, doch Raphael zog ihn nur etwas in den Schatten und zischte: ,,Geh weg von der Tür! Na los!" Die Blondine sah auf ein Tablet, dann in die Menge. ,,Freitag." sagte sie. ,,Elle Freitag." Die Wärter packten eine junge Frau und zerrten sie aus dem Raum. Sie schrie und wehrte sich, doch vergebens. ,,Wo bringen sie sie hin?" fragte Simon. ,,Keine Ahnung." erwiderte Raphael. ,,Das passiert alle paar Stunden. Wo sie auch hingehen, sie kommen nie zurück." Simon nickte nur stumm und zog die Augenbrauen zusammen, als er nachdachte. Das machte er oft beim Nachdenken, wie Raphael auffiel. Kurz überlegte er, ob er ihm sagen sollte, was ihm schon so lange auf der Zunge brannte, doch da meinte Simon, er würde mit Isabelle Kontakt aufnehmen und drehte sich weg. Raphael entschied, dass es besser wäre, ihm nichts zu sagen. Schließlich würde Simon hier wieder rauskommen, im Gegensatz zu ihm. Da wollte er ihm nicht solch eine Bürde mitgeben. Als schließlich sein Name aufgerufen wurde, protestierte Simon, doch Raphael hielt ihn zurück. ,,Halt!" er zerrte den Jüngeren etwas zurück und sah ihm in seine unschuldigen braunen Augen. Es gab so viel, was er ihm sagen wollte, doch alles, was er schließlich herausbrachte war: ,,Ich bin jetzt dran." Die Wärter packten ihn an den Armen und geleiteten ihn Richtung Tür. Doch Simon lief hinterher. ,,Raphael, nein! Nein!" Einer der Wärter drehte sich um und verpasste Simon einen Stromschlag, der ihn auf den Boden beförderte. Damit schloss sich die Tür und Raphael wurde in einen anderen Raum gebracht, wo er auf einem Stuhl angekettet wurde. ,,Ach was, keine Henkersmahlzeit?" scherzte Raphael trocken. ,,Ich wäre ja für Engelsblut." Ohne Vorwarnung wurden ihm plötzlich in beide Handgelenke ein goldenes Mittel gespritzt.

In The ShadowsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt